Sklaverei. Michael Zeuske
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Kuba, vor allem die Cuba grande der technologisierten Plantagenwirtschaft im Westen der Insel, war die ›modernste‹ Sklaverei des 19. Jahrhunderts. Deshalb findet sich die globalhistorisch erste Visualisierung einer Sklavereiwirtschaft nach den Regeln der Modernität im Werk eines Akteurs der Sklaverei: Justo Canteros Los Ingenios – aus diesem Buch stammen noch heute fast alle ›authentischen‹ Illustrationen in Büchern über Plantagensklaverei.18
Die erste wirkliche Kulturgeschichte der Sklaven, nicht so sehr der Sklaverei, erwuchs aus reichlich dubiosen kriminalethnologischen Ansätzen zu Beginn des 20. Jahrhunderts (Cesare Lombroso). Die erste ›postkoloniale‹ Geschichte einer Gesellschaft wiederum, die ihren welthistorischen Aufstieg Sklavinnen und Sklaven, Menschenhandel und der Sklaverei verdankt, die Ex-Sklaven allerdings mehr oder weniger alle als »Hexer« und Verbrecher verunglimpft, stammt aus der Feder von Fernando Ortiz (1881–1969), dem Schöpfer des heute wieder so wichtigen Konzepts der transculturación (Transkulturation).19
In einer Linie der verborgenen Transkulturation folgte ihm der Literat Miguel Barnet 1966 mit seinem weltweit erfolgreichen Prototypus der Testimonio-Literatur unter dem Titel Biografía de un Cimarrón (dt. Der Cimarrón). Darin spricht ein weißer Autor für einen Ex-Sklaven (span. cimarrón), eine Technik der realhistorischen Transkulturation, die es auch im 19. Jahrhundert schon gegeben hatte. Heute würde man das wahrscheinlich im Postkolonialismus als Mimikry-Subjektivierung bezeichnen.20 Barnets »authentische« Geschichte wurde geschrieben vor dem breiten Hintergrund der Arbeiten von José Luciano Franco, Pedro Deschamps Chapeaux und Juan Pérez de la Riva.21 Sie bezieht sich aber auch auf die wichtigste Struktur- und Sozialgeschichte einer konkreten Sklavereigesellschaft El Ingenio22 (im Grunde wird darin nur die Entstehung um 1790 bis etwa 1860 behandelt), deren erster Band 1964 von Manuel Moreno Fraginals (1920–2001) publiziert worden war. Moreno Fraginals gehörte einer der Schulen kubanischer Sklavereiforschung an, die im Unterschied zu Fernando Ortiz auf Strukturen und Demografie setzte. Diese Historiografie war vor allem verbunden mit dem Namen Ramiro Guerra y Sánchez, der auch das englisch-karibische und französisch-karibische Konzept der Sugar Revolution einbrachte. Sein Schüler war Raúl Cepero Bonilla; in gewisser Weise gehören auch die Sklavereihistoriografie sowie Wirtschaftsgeschichte Puerto Ricos und der Dominikanischen Republik dazu.23 Die ›große‹ Sklaverei hat längst auch eine substanzielle Sklavereigeschichtsschreibung hervorgebracht, die ›kleinen‹ Sklavereien hingegen nicht.
Weltsklavenhandel 1500–1900
Sollte nach Lektüre des vorliegenden Buches der Eindruck entstehen, es gebe »überall Sklaverei«, obwohl uns bisher immer erzählt wurde, mit »der« Abolition der Sklaverei sei alles in grauen Vorzeiten vorbei gewesen, so ist er nicht ganz falsch. Es war nicht »überall Sklaverei«, aber es gab viel mehr und viel länger unterschiedlichste Sklavereien, als wir glauben. Sklaverei ist Teil der Menschheitsgeschichte, und dies ist ein Buch, das sich auf Versklavte und Sklaverei konzentriert. Es zeigt, dass es viel mehr Versklavte gab, als wir uns möglicherweise vorstellen können oder wollen – und es gibt sie vor allem heute noch. Versklavte sind bis auf einige heutige Formen von »moderner« Sklaverei vor allem im »Westen« auch in der Weltgeschichte meist und klar ersichtlich von jedem und jeder erkennbar gewesen. Ein von Aristoteles inspirierter römischer Sklavenbesitzer würde bei einem Besuch (per Zeitmaschine natürlich) eines durchschnittlichen »westlichen« Gebiets wahrscheinlich uns alle für Sklaven halten – weil wir alle oder zumindest die übergroße Mehrheit für andere Menschen arbeiten.
Definitionen
»Es ist gefährlich, das Wort Sklaverei zu benutzen.«24
Eine Definition von Sklaverei als Institution für die gesamte Welt- und Globalgeschichte ist schwierig. Ich will es trotzdem versuchen, obwohl ich kein großer Freund von Definitionen bin.25 Angesichts der Ubiquität von Sklavereien kann, wie gesagt, dieser niedere und rechtlose Status nicht an irgendeine klar abgrenzbare soziale Großformation gebunden werden, noch kann Sklaverei nur als Rechtsform definiert werden. Es geht nur anthropologisch-historisch.
Sklaverei war und ist in der gesamten Weltgeschichte ubiquitär: es gab sie überall und fast immer in alltäglichen Situationen. Die anthropologische Universalie besteht in der Herauslösung von Menschen aus ihrer sozialen Umgebung (also ihrer wie auch immer definierten und kulturell kodierten Gemeinschaft, etwa: Clan, Dorf, Stamm, Gruppe, Familie) und der auch durch Hunger oder Strukturen erzwungenen Unterordnung in niedrigem Status oder »ohne Status« in einer anderen Gemeinschaft. Je weiter die Entfernung zwischen beiden sozialen Umgebungen (Gemeinschaften) ist, desto mehr kommen Fremdheit und »Anderssein« sowie extreme Abhängigkeit ins Spiel.
Wir können mit diesen Definitionslinien auch slaving erfassen, das in Zeiten der Atlantic slavery nicht auf »römischem« Recht der Konstruktion eines ›privaten‹ Herr-Sklave-Verhältnisses beruhte. Und wir können mit dieser anthropologisch-historischen Definition weit in die Geschichte zurückgreifen (bis zum Neolithikum). Diese Dimensionen ermöglichen den Verweis auf innere und äußere Statusminderungen, die sich im Laufe der Weltgeschichte der Sklavereien herausgebildet haben und die vor allem seit Beginn der Globalgeschichte im 16. Jahrhundert ideologische Ausgangspunkte neuer Sklavereien sein konnten, am deutlichsten wohl im fünften Plateau der großen Lagersklavereien. Wir können so auch globale Dimensionen der Sklaverei außerhalb der atlantischen Chronologie und Hemisphäre erfassen (etwa: Russland, China, Indien, Südostasien, Indischer und Pazifischer Ozean), und wir können darüber hinaus heutige Sklavereien beschreiben.
Das Problem meiner weiten Definition von Versklavten und Sklaverei ist: Wie weit reichen die Kriterien, die es uns erlauben, von Versklavten zu sprechen? Lässt sich eine global existierende prozessuale Institution der Gewalt mit jeweils lokalen, regionalen und überregionalen Wurzeln und Ausprägungen annehmen, deren Kern in der bereits mehrfach erwähnten Verfügung über Körper besteht? Die Antwort ist im Allgemeinen einfach, aber sie ist, historisch wie auch heute, in den konkreten Ebenen der Realität von lokalen Versklavungen und bewussten Marginalisierungen schwer zu geben. Ich werde im Laufe des Textes immer wieder auf die realen Probleme von Status und Statuszuschreibungen zurückkommen.
Menschen in Sklavereiarbeit, Menschen in Gewaltsituationen, Menschen, deren Körper von anderen benutzt werden, Menschen, die aus ihren Familien herausgerissen sind, finden sich meist (außer z. B. bestimmte hochrangige Opfer- und Elitesklaven) in den lokalen oder regionalen Sozialordnungen und in Texten über bestimmte Gesellschaften an Stellen, an denen Unterschichten (Arbeitende) und Arbeitssysteme beschrieben werden. Alle Sozialordnungen sind auch Körper- und Raumordnungen. Körperordnungen werden in sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Arbeiten eher selten thematisiert, zumal über diese niedrigen Sozialkategorien wenig gesprochen und schon gar nicht geschrieben wurde. Zudem erhoben Menschen aus diesen oft sehr großen Gruppen von Versklavten selbst kaum ihre Stimme (im Sinne von selbst verfassten Dokumenten über ihre Situation). Besonders deutlich wird das Nichtsprechen über Sklaverei bzw. das Zur-Seite-Drängen des eigentlich Offensichtlichen unter dem Druck von Zivilisations-, Nations- und Modernisierungsdiskursen des 19. Jahrhunderts, wie sie etwa mit der großen Erzählung der britischen Abolition verbunden sind.
Es ist auch ein Problem der Perspektive. Vorliegendes Buch ist eines über Versklavte und Sklavereien und eben keines über Freiheit oder Menschenrechte bzw. nur über die »Freiheit« (Abolition, Emanzipation) und Rechte von Versklavten. Also konzentriere ich mich weniger auf Menschen, die »frei« waren (rechtlich) oder real mehr »Freiheiten« genossen als die in der jeweiligen Gesellschaft Versklavten. Den potenziell Versklavbaren (meist Fremde, Bauern oder