Das Haus der Freude. Edith Wharton
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Er setzte sich auf die Lehne des Sessels, neben dem sie gerade stand, und sie fragte ihn weiter nach den seltensten Ausgaben, ob Jefferson Gryces Sammlung wirklich für die beste der Welt gehalten werde, und was der höchste Preis gewesen sei, den man jemals für eine einzelne Ausgabe erzielt hätte.
Es war so angenehm dazusitzen und zu ihr aufzuschauen, während sie das eine oder andere Buch aus den Regalen nahm, und ihre Finger die Seiten schnell durchblätterten, wobei ihr zum Boden gewandtes Profil sich gegen den warmen Hintergrund der alten Einbände abhob, dass er weiterhin erzählte, ohne auf den Gedanken zu kommen, dass ihr plötzliches Interesse für ein so wenig aufregendes Thema doch eigentlich sonderbar war. Aber er konnte nie lange mit ihr zusammen sein, ohne den Versuch zu machen, für das, was sie tat, einen Grund zu finden, und als sie seine Erstausgabe von La Bruyère zurückstellte und sich vom Bücherschrank abwandte, begann er sich zu fragen, worauf sie hinauswollte. Ihre nächste Frage war nicht so geartet, dass sie ihm darüber Aufschluss gegeben hätte. Sie blieb vor ihm stehen mit einem Lächeln, das ihn gleichzeitig in eine gewisse Vertrautheit einzubeziehen und ihn an die Einschränkungen zu erinnern schien, die es ihm auferlegte.
»Tut es Ihnen nie leid«, fragte sie plötzlich, »dass Sie nicht reich genug sind, all die Bücher zu kaufen, die Sie gern haben möchten?«
Er folgte ihrem Blick durch das Zimmer mit dem abgenutzten Mobiliar und den schäbigen Wänden.
»Ja, tut es mir nicht sogar in eben diesem Moment leid? Halten Sie mich für einen Heiligen auf einer Säule?«
»Und dass Sie arbeiten müssen, stört Sie das nicht?«
»Ach, die Arbeit an sich ist nicht so schlecht; ich habe viel für die Juristerei übrig.«
»Nein, aber dass man so angebunden ist, die Routine. Möchten Sie denn niemals einfach wegfahren, um neue Gegenden und neue Leute kennen zu lernen?«
»Schrecklich gern, vor allem, wenn ich sehe, wie alle meine Freunde sich beeilen, um auf das Dampfboot zu kommen.«
Sie atmete mitfühlend auf. »Aber es stört Sie nicht genug – um zu heiraten, damit Sie aus dieser Situation herauskommen?«
Selden lachte auf. »Um Gottes willen!«, rief er.
Sie erhob sich mit einem Seufzer und warf ihre Zigarette in den Kamin.
»Ah, da liegt eben der Unterschied – ein Mädchen muss, ein Mann kann, wenn er sich dafür entscheidet.« Sie betrachtete ihn kritisch. »Ihr Mantel ist ein bisschen schäbig, aber wen kümmert das. Es hält die Leute nicht davon ab, Sie zum Essen einzuladen. Wenn ich schlecht gekleidet wäre, wollte mich niemand bei sich haben: Wenn eine Frau eingeladen wird, dann ebenso sehr um ihrer Kleidung wie um ihrer selbst willen. Die Kleidung ist der Hintergrund, der Rahmen, wenn Sie so wollen; sie garantiert nicht für den Erfolg, aber sie macht einen Teil davon aus. Wer will schon eine schäbige Frau? Von uns erwartet man, dass wir hübsch und gut gekleidet sind, bis wir umfallen – und wenn wir das nicht allein durchhalten können, müssen wir uns einen Teilhaber für das Geschäft suchen.«
Selden schaute sie amüsiert an. Es war unmöglich, auch wenn ihre Augen ihn noch so flehentlich ansahen, ihren Fall mit Sentimentalität zu betrachten.
»Na ja, es liegt sicher schon einiges an Kapital bereit für eine solche Investition. Vielleicht erfüllt sich Ihr Schicksal heute Abend bei den Trenors.«
Sie erwiderte seinen Blick fragend.
»Ich dachte, Sie würden vielleicht auch hinfahren – o nein, nicht in dieser Eigenschaft! Aber es werden viele aus Ihrem Kreis da sein, Gwen Van Osburgh, die Wetheralls, Lady Cressida Raith – und die George Dorsets.«
Sie machte eine kleine Pause vor dem letzten Namen und warf ihm unter den Wimpern einen kurzen forschenden Blick zu, aber er blieb ungerührt.
»Mrs. Trenor hat mich eingeladen, aber ich bin bis Ende der Woche unabkömmlich. Und diese großen Gesellschaften langweilen mich.«
»Ach, mich auch«, rief sie.
»Warum gehen Sie dann hin?«
»Das gehört zum Geschäft – Sie vergessen! Und außerdem, wenn ich nicht hinginge, würde ich mit meiner Tante in Richfield Springs Bésigue spielen müssen.«
»Das ist ja fast so schlimm wie eine Heirat mit Dillworth«, stimmte er ihr bei, und sie lachten beide aus reinem Vergnügen über ihre plötzliche Vertrautheit.
Sie schaute zur Uhr.
»Oje! Ich muss gehen. Es ist nach fünf.«
Sie hielt vor dem Kaminsims inne und betrachtete sich im Spiegel, während sie ihren Schleier zurechtsteckte. Ihre Haltung brachte die lange Biegung ihrer schlanken Silhouette zur Geltung, die ihren Umrissen eine Art urtümlicher Grazie gab – als wäre sie eine gefangene Dryade, für die Konventionen gesellschaftlichen Umgangs gezähmt. Selden dachte darüber nach, dass eben dieser Zug urwaldhafter Freiheit in ihrem Wesen ihrer Künstlichkeit den besonderen Reiz verlieh.
Er folgte ihr durch den Raum bis zum Eingang, aber an der Türschwelle hielt sie ihm ihre Hand mit einer Abschiedsgeste entgegen.
»Es war herrlich; und jetzt werden Sie meinen Besuch erwidern müssen.«
»Aber wollen Sie nicht, dass ich Sie zum Bahnhof begleite?«
»Nein, auf Wiedersehen hier, bitte.«
Sie ließ ihre Hand einen Moment lang in der seinen liegen und wandte ihm ein anbetungswürdiges Lächeln zu.
»Nun dann, auf Wiedersehen und viel Glück auf Bellomont!«, sagte er, indem er die Tür für sie öffnete.
Auf dem Treppenabsatz hielt sie an, um sich umzusehen. Die Chancen, dass sie jemanden treffen könnte, standen tausend zu eins, aber man wusste ja nie, und sie zahlte für ihre wenigen Unvorsichtigkeiten immer mit einem zumindest zeitweise betont umsichtigen Verhalten. Es war aber niemand zu sehen, außer einer Putzfrau, die die Treppe scheuerte. Deren eigene üppige Gestalt und die sie umgebenden Geräte nahmen so viel Raum ein, dass Lily, um an ihr vorbeizukommen, ihre Röcke hochnehmen und sich an der Wand entlangschieben musste. Als sie das tat, hielt die Frau in ihrer Arbeit inne und schaute neugierig auf, wobei sie ihre geballten Fäuste auf das nasse Tuch legte, das sie gerade aus ihrem Eimer gezogen hatte. Sie hatte ein breites blasses Gesicht, das mit einigen Pockennarben bedeckt war, und dünnes strohfarbenes Haar, durch das ihre Kopfhaut auf unangenehme Weise hindurchschien.
»Entschuldigen Sie«, sagte Lily, wobei ihre Höflichkeit Kritik am Benehmen ihres Gegenübers ausdrücken sollte.
Die Frau schob, ohne zu antworten, ihren Eimer zur Seite und starrte weiter auf Miss Bart, die mit einem leisen Knistern ihrer Seidenunterröcke vorbeischwebte. Lily fühlte, wie sie unter diesem Blick errötete. Was dachte dieses Wesen sich? Konnte man niemals auch nur etwas ganz Einfaches, völlig Harmloses tun, ohne gleich den hässlichsten Verdächtigungen ausgesetzt zu sein? Nach der Hälfte der nächsten Treppe lächelte sie darüber, dass es sie derart störte, von einer Putzfrau angestarrt zu werden. Das arme Ding war wahrscheinlich geblendet von einer so ungewohnten Erscheinung. Aber waren solche Erscheinungen etwas Ungewöhnliches auf Seldens Treppe? Miss Bart war mit dem Moralkodex in Junggesellenwohnungen nicht vertraut, und wieder stieg ihr die Farbe in die Wangen, als