Das Haus der Freude. Edith Wharton
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Unter dem georgianischen Eingangsvorbau hielt sie wieder an und blickte die Straße hinauf und hinunter auf der Suche nach einer Droschke. Es war keine zu sehen, aber als sie den Bürgersteig erreichte, stieß sie fast mit einem kleinen, geschniegelt aussehenden Mann mit einer Gardenie im Knopfloch zusammen, der seinen Hut mit einem erstaunten Ausruf zog.
»Miss Bart? Ja, dass ich gerade Sie hier treffe. Das nenne ich Glück«, erklärte er, und sie entdeckte ein Funkeln amüsierter Neugier zwischen seinen zusammengezogenen Lidern.
»Oh, Mr. Rosedale, wie geht es Ihnen?«, sagte sie und bemerkte dabei, dass der unbezähmbare Ärger in ihrem Gesicht mit einer plötzlichen Vertraulichkeit in seinem Lächeln beantwortet wurde.
Mr. Rosedale stand da und betrachtete sie von oben bis unten mit Interesse und Wohlgefallen. Er war ein dicklicher rosiger Mann vom Typ des blonden Juden in eleganter Londoner Kleidung, die ihm wie eine Polsterung passte, und kleinen, schrägen Augen, die ihm einen Ausdruck verliehen, als würde er Menschen wie Nippsachen abschätzen. Er schaute fragend auf den Eingang des Benedick.
»Schätze, Sie waren in der Stadt, um ein paar Einkäufe zu erledigen?«, sagte er in einem Ton, der die Vertraulichkeit einer Berührung hatte.
Miss Bart wich ihm ein wenig aus und stürzte sich dann in voreilige Erklärungen.
»Ja, ich bin in die Stadt gekommen, um meine Schneiderin aufzusuchen. Ich bin gerade dabei, den Zug zu den Trenors zu nehmen.«
»Ah, Ihre Schneiderin, natürlich«, sagte er höflich. »Ich wusste gar nicht, dass irgendwelche Schneiderinnen im Benedick wohnen.«
»Im Benedick?« Sie sah ein wenig verwirrt drein. »Ist das der Name dieses Gebäudes?«
»Ja, das ist sein Name; ich glaube, es ist ein altes Wort für Junggeselle, nicht? Ich bin zufällig der Besitzer des Gebäudes, deswegen weiß ich das.« Sein Lächeln vertiefte sich, als er mit stärkerem Nachdruck hinzufügte: »Aber Sie müssen mir erlauben, Sie zum Bahnhof zu bringen. Die Trenors sind sicher auf Bellomont. Sie haben kaum noch Zeit genug, den Zug um fünf Uhr vierzig zu erreichen. Ich nehme an, die Schneiderin hat Sie warten lassen.«
Lily erstarrte bei dieser kleinen scherzhaften Bemerkung.
»Oh, danke,« stammelte sie; und im selben Moment wurde sie einer Droschke ansichtig, die langsam die Madison Avenue entlangfuhr. Sie winkte mit verzweifelten Gesten.
»Sie sind sehr freundlich, aber ich möchte Sie wirklich nicht bemühen«, sagte sie, wobei sie Mr. Rosedale ihre Hand hinstreckte; und ungeachtet seiner Einwände sprang sie in das rettende Fahrzeug und rief dem Fahrer atemlos zu, wohin er sie fahren solle.
II
In der Droschke lehnte sie sich mit einem Seufzer zurück.
Warum musste man als Mädchen so teuer für das geringste Abweichen von der Normalität bezahlen? Warum konnte man nie etwas ganz Natürliches tun, ohne es hinter einem kunstvollen Gebäude kleiner Listen verbergen zu müssen? Sie hatte einem Impuls nachgegeben, als sie in Lawrence Seldens Wohnung mitgegangen war, und es war so selten, dass sie sich den Luxus impulsiven Handelns erlauben konnte! Diesmal würde es sie jedenfalls mehr kosten, als sie sich leisten konnte. Es beunruhigte sie sehr, dass sie erkennen musste, dass sie trotz jahrelanger Wachsamkeit zweimal innerhalb von fünf Minuten einen Fehler begangen hatte. Die dumme Geschichte von der Schneiderin war schlimm genug – es wäre so einfach gewesen, Rosedale zu erzählen, dass sie mit Selden Tee getrunken hatte! Die reine Feststellung der Tatsache hätte diese in harmlosem Licht erscheinen lassen. Aber nachdem sie sich einmal bei einer Unwahrheit hatte ertappen lassen, war es doppelt dumm gewesen, den Zeugen ihrer Verwirrung so schroff abzufertigen. Hätte sie Geistesgegenwart genug bewiesen und Rosedale erlaubt, sie zum Bahnhof zu fahren, so hätte dieses Zugeständnis vielleicht sein Schweigen erkaufen können. Er verfügte über die Genauigkeit seiner Rasse im Abschätzen von Werten, und zu einer lebhaft bevölkerten Nachmittagsstunde in Gesellschaft von Miss Lily Bart den Bahnsteig entlangzugehen, wäre bares Geld in seiner Tasche gewesen, wie er es vielleicht selbst ausgedrückt hätte. Er wusste natürlich, dass auf Bellomont eine große Gesellschaft gegeben würde, und die Möglichkeit, für einen von Mrs. Trenors Gästen gehalten zu werden, hatte er bei seinen Kalkulationen sicher berücksichtigt. Mr. Rosedale war zurzeit noch in einem Stadium seines sozialen Aufstiegs, in dem es wichtig war, solche Eindrücke hervorzurufen.
Das Ärgerliche war, dass Lily all das wusste, wusste, wie einfach es gewesen wäre, ihn auf der Stelle zum Schweigen zu bewegen, und wie schwierig es werden würde, dies im Nachhinein zu tun. Mr. Simon Rosedale gehörte zu den Menschen, die es sich zur Aufgabe machen, alles über jedermann in Erfahrung zu bringen; er glaubte, seine Zugehörigkeit zur Gesellschaft dadurch unter Beweis stellen zu können, dass er eine lästige Vertrautheit mit den Gewohnheiten derjenigen zeigte, die er gern als gute Bekannte hingestellt hätte. Lily war davon überzeugt, dass innerhalb von vierundzwanzig Stunden die Geschichte von ihrem Besuch bei ihrer Schneiderin im Benedick unter Mr. Rosedales Bekanntschaft in regem Umlauf sein würde. Das Schlimmste bei alledem war, dass sie ihn immer abweisend behandelt oder ganz ignoriert hatte. Bei seinem ersten Auftreten in der Gesellschaft – als ihr unbedachter Cousin Jack Stepney ihm eine Einladung für eine der ausufernden, unpersönlichen Van-Osburgh-»Riesengesellschaften« besorgt hatte (zum Ausgleich welcher Art von Gefälligkeiten war nur zu leicht zu erraten) –, war Rosedale mit dieser Mischung aus künstlerischem Einfühlungsvermögen und geschäftlicher Cleverness, die seiner Rasse eigen ist, instinktiv zu Miss Bart hingezogen worden. Sie durchschaute seine Motive, denn ihr eigenes Vorgehen wurde von ebenso hübschen Berechnungen gesteuert. Erziehung und Erfahrung hatten sie gelehrt, sich gegenüber Neuankömmlingen gastfreundlich zu verhalten, da sogar ganz und gar nicht Vielversprechende ihr später von Nutzen sein konnten; außerdem gab es genug »Verliese«, die sie verschlucken würden, wenn sie es nicht waren. Aber ein instinktiver Widerwille hatte all die Jahre gesellschaftlicher Disziplin zunichtegemacht und sie Mr. Rosedale ohne jegliche Anhörung in sein »Verlies« abschieben lassen. Er hinterließ nur noch die kleine Welle des Amüsements, das sein schleuniges Abgefertigtwerden bei ihren Freunden hervorrief; und obwohl er später (um die Metapher zu wechseln) weiter unten im Strom wieder auftauchte, war es doch nur für flüchtige Augenblicke mit langen Zwischenzeiten, in denen er unter der Oberfläche blieb.
Bisher war Lily nicht von Skrupeln geplagt worden. In ihrem unmittelbaren Kreis hatte man Mr. Rosedale für »unmöglich« erklärt und man ließ Jack durchaus die Verachtung spüren, die man für seinen Versuch empfand, seine Schulden mit Abendeinladungen zu bezahlen. Sogar Mrs. Trenor, deren Sinn für Abwechslung schon zu einigen riskanten Experimenten geführt hatte, weigerte sich, auf Jacks Bemühungen einzugehen und Rosedale als gesellschaftliche Neuheit auszugeben; sie erklärte, dass dieser kleine Jude ja wohl, soweit sie sich erinnern konnte, bereits ein Dutzend Mal der Gesellschaft serviert und von ihr zurückgewiesen worden war; und solange Judy Trenor unbeugsam blieb, waren Mr. Rosedales Chancen äußerst gering, über den äußeren Kreis der Van-Osburgh-Riesenempfänge hinaus in die Gesellschaft einzudringen. Jack gab das Rennen mit einem lachenden »Ihr werdet schon sehen« auf, blieb aber mannhaft bei seinen Waffen und zeigte sich mit Rosedale in den Restaurants, die gerade in Mode waren, in Gesellschaft persönlich sehr farbiger, gesellschaftlich aber eher obskurer Damen, die für solche Zwecke jederzeit zur Verfügung stehen. Seine Bemühungen waren bisher jedoch umsonst gewesen, und da Rosedale ohne Zweifel für die Dinners zahlte, hatte der Schuldner bisher den größeren Gewinn von der Sache.
Mr. Rosedale war daher, wie unschwer zu erkennen ist, noch kein Faktor, den man fürchten musste –, es sei denn, man begab sich in seine Gewalt. Und das war genau, was Miss Bart