Die Jugend des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die Jugend des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann страница 25
Aber er konnte nicht einschlafen: Gesichte erschienen hinter seinen Lidern - Feinde, Feinde, und dazwischen die zuletzt erblickten, seine eigenen Leibwächter. Einmal glaubte er, die Tür sich öffnen zu sehen - peinigend langsam, bis er bemerkte, daß seine Augen geschlossen waren. Dann blinzelte er vorsichtig, nichts, als nur das schwache Flackern eines Dochtes, der im Öl schwamm. Karl ertrug nicht länger diese Nacht, er verließ sein Lager, mit scheuen Bewegungen drückte er sich durch einen Nebenausgang, gelangte auf Umwegen zu seinem eigenen Vorzimmer, er war im Nachtgewand. Seine Leibwächter schliefen ringsum auf den Bänken, in der Mitte aber stand aufrecht der Hauptmann mit verschränkten Armen, und der unerwartet aufgetauchte Karl überraschte ihn bei einem viel zu tiefen Blick. Den haben nur Verschwörer! Der Mensch bekam auch sogleich eine ganz leere Miene, als er sich entdeckt sah; immer verdächtiger machte er sich seinem König. Dieser blieb halb draußen, und zuerst sah er sich um, als ob Hilfe nahe wäre. Dann flüsterte er durch die gerundeten Hände:
»Amaury, auf dich verlaß ich mich, du bist mein Freund. Als aber das Licht deiner Fackel deinen Leutnant traf, da erkannte ich einen Verräter. Mach Streit mit ihm, und daß ich ihn nie wiedersehe! Geh voran in den Hof! Ich schicke ihn dir.«
Der Hauptmann gehorchte; jetzt flüsterte Karl mit dem vom Schlaf erwachten Leutnant. Er empfahl ihm, den Raufhandel nicht erst abzuwarten. »Gleich zustoßen! Nachher aber schrei, als ob er dich angegriffen hätte!«
Hierauf schlich er zurück in sein Schlafzimmer und kam erst wieder hervor, als die Soldaten laut durcheinanderriefen. »Was geht hier vor! Platz für mich!« befahl er überaus herrisch, obwohl im Nachtgewand. Die Leute hinter ihm schwiegen, Karl beugte sich, vom Morgenwind und seinen Gefühlen fröstelnd, über die gewundene Treppe. In einem grauen Stück Tag lag tief dort unten ein Körper hingestreckt. Daneben fuchtelte jemand und schrie Mordio. Hinter Karl sagte die gelassene Stimme seiner Mutter: »Der Mensch soll still sein und heraufkommen.« Karl bemerkte erst jetzt, daß sie die Soldaten schon fortgeschickt hatte. Er gab dem Mörder dort unten ein Zeichen. Inzwischen erfuhr Madame Catherine durch mehrere kurze Fragen, was ihr schwerfälliger, aber ungebärdiger Sohn angestellt hatte.
»Ligneroles«, redete sie den jungen Menschen an, als sein Kopf über der Treppe erschien, »Sie haben dem König einen guten Dienst erwiesen.«
»Es ist gern geschehen, Madame«, leichtherzig sagte der junge Mann es. Er erwies sich alsbald als redselig. »Hauptmann Amaury war ein heimlicher Hugenott, wußten Sie es nicht, Madame? Ihre Pläne gegen seine Partei, er hatte sie erraten, er war sehr erregt vorhin, und durch ihn weiß auch ich, seit heute nacht, von dem, was bevorsteht. Ich bin dabei! Mit Freuden! Das soll mal eine fröhliche Schlächterei werden!«
Karl der Neunte, dies hören und schlottern in seinem Hemd. Er mußte sich anlehnen. Nur gut, daß der junge Ligneroles vor ihm stand und daß Madame Catherine sie beide sicher im Auge behielt. Sie sprach behäbig und fett: »Heute haben Sie sich bewährt und verdienen eine Stärkung, kommen Sie, junger Mensch!« Watschelnd führte sie ihn in ihr Schlafzimmer, öffnete einen niedrigen, breiten Schrank, der außen mit großen, eckigen Kegeln bewehrt war, und schenkte Wein ein.
»Jetzt aber gehen Sie schlafen«, sagte sie, als Ligneroles sein Glas ausgetrunken hatte und auf einmal völlig erschöpft aussah. »Heute haben Sie dienstfrei«, bemerkte sie freundlich, aber er verstand sie wohl nicht mehr, er taumelte hinaus. Sie blickte ihm nach bis zur Treppe, die er ganz plötzlich, steif und mit dem Kopf voran, hinunterfiel. Dann schloß Katharina von Medici befriedigt die Tür.
»Er hat sich den Hals gebrochen«, erklärte sie behaglich. »Es war auch angezeigt, damit du wieder deine roten Wangen bekommst, mein Sohn. Das ist vorbei. Gewiß macht nur noch der graue Morgen, daß wir beide fahl aussehen.«
Dieselbe Morgenstunde
Dieselbe Morgenstunde war rosig mit Tönen von Orange in dem Garten zu Nérac, wo sie Henri Navarra überraschte, da er sich noch immer nicht trennen konnte von Fleurette, der siebzehnjährigen Tochter des Gärtners.
»Du mußt gehen, mein Liebling. Schon steht mein Vater auf: Wenn er dich hier sieht, was wird er denken?«
»Nichts Böses, mein Herz. Ein treuer Diener meiner Mutter kann nicht glauben, daß ich ihn kränken will.«
»Und du kränkst ihn auch nicht, wenn du mich liebhast. Du wirst nur mich sehr kränken durch deine Abreise.«
»Ein Prinz aber muß immer durch das Land reiten, einmal in die Schlacht und das andere Mal -«
»Wohin das andere Mal?«
»Das brauchst du nicht zu wissen, Fleurette. Es würde dich nicht glücklicher machen, und wir beide sollen zusammen glücklich sein, so lange, bis wir nicht mehr zusammen sein sollen.«
»Ist es wahr? Du bist glücklich bei mir?«
»So sehr war ich es noch nie! Hab ich denn schon einen solchen Tag aufgehen sehen? Er ist schön wie deine Wangen. Ich werd ihn nie vergessen. Keine einzige von all den Blumen hier kann mir je aus dem Gedächtnis entschwinden.«
»Der Morgen ist kurz, und bald verblühen auch die Blumen. Ich bleibe da und warte. Wie weit du reiten magst und was dir alles begegnet, erinnere dich meiner - und der kleinen Kammer, in die der Garten duftete, während wir uns liebten, und meines Mundes, den du -«
»Fleurette!«
»Jetzt geküßt hast das letztemal. Und geh, sonst werden sie dich fortholen von mir, aber ich will nicht, daß andere deinen Abschiedsblick sehen!«
»Dann versenken wir unseren letzten Blick in den Brunnen. Komm, Fleurette! Deinen Arm um meinen Hals! Meinen um deine Hüfte! Jetzt sehen wir gemeinsam hinunter in den Wasserspiegel, darin begegnen sich unsere Augen. Du bist siebzehn Jahre, Fleurette.«
»Du achtzehn, lieber Knabe.«
»Aber wenn wir ganz alt sein werden, dieser Brunnen weiß von uns auch dann noch, und selbst bis über unsern Tod.«
»Henri, ich kann dein Gesicht nicht mehr sehen.«
»Auch deines trübt sich dort unten, Fleurette.«
»Aber einen Tropfen hörte ich fallen. Das war eine Träne. Ob es wohl deine war oder meine?«
»Unsere Träne«, sagte seine schon von ihr entfernte Stimme: noch trocknete sie ihr Gesicht. »Fleurette!« war sein letzter Ruf: da war er ganz verschwunden, und sie fühlte wohl, er hatte nicht mehr wirklich sie selbst gemeint; er schickte nur den Namen einer vergangenen Stunde in die kommende, die ihr unbekannt blieb und worin der schwache Name sich bald verlieren sollte.
Henri stieg zu Pferd. Der Maienwind kühlte angenehm seine große grade Stirn, die wenig eingesenkten Schläfen, und legte Wellen in seine dunkelblonden Locken. In der Kammer des Mädchens hatte er die Haare nicht an den Kopf kleben können, so formten sie sich nach ihrer Natur. Seine sanften Augen bewahrten noch hundert Meter weit die Spuren des Abschieds, dann hatte der Ritt sie aufgehellt. Seine Lippen umfaßten eine Blume: es war noch immer Fleurette. Als er zu seinen Begleitern stieß, entfiel ihm die Blume.
Fleurette dort hinten, Tochter eines Gärtners und siebzehnjährig, ging an ihre tägliche Arbeit. Sie tat es noch zwanzig Jahre lang, dann starb sie: da war ihr Geliebter ein großer König. Sie hatte ihn niemals wiedergesehen, oder nur als den hohen Herren, der einmal nach dunklen Schicksalen zurückgekehrt war in seine heimische Stadt Nérac, um hier wieder glücklich zu sein,