Lou Reed - Transformer. Victor Bockris
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Shelley behauptet allerdings, Lou sei nach seinem Abschluss noch geblieben, einzig und allein, um sich um sie zu kümmern, da sie sehr krank war. Sie hatten seit einiger Zeit nur ein paar Häuser voneinander entfernt gewohnt. Shelley wohnte in der McDonald Street, zusammen mit ihrem wahnsinnig tollen Freund, und Lou lebte allein an der Ecke Adams Street. Am Ende des Semesters war Shelleys Freund auf Reisen gegangen. Lou besuchte sie und stellte fest, dass sie nicht zum Unterricht gehen konnte. Er packte sie und brachte sie in seine Wohnung. Er wusste, dass sie den Kurs, den sie bei Philip Booth belegt hatte, nicht schaffen würde, wenn er nichts Drastisches unternahm. Er brachte sie also zu der Wohnung von Booth. „Ich erinnere mich, dass ich da hingeschleppt und aufs Sofa gesetzt wurde, und er sagte: ‚Sitz bloß da und schau hoffnungslos aus der Wäsche‘“, erinnert sie sich. „Das fiel mir nicht schwer. Meine Augen müssen in meinem Kopf hin- und hergerollt sein. Er sagte nur zu Booth: ‚Lass sie durchkommen‘, und das tat er.“ Als die anderen Studenten das College verließen, war Shelley noch nicht in der Lage zu reisen, und deshalb blieb Lou bei ihr und „richtete sie wieder auf“, wie sie sagte.
Shelley erinnert sich daran, dass sie dachte: „Ich liebe ihn, er ist wirklich fantastisch“, aber sie war auch sehr durcheinander und erschöpft von der Krankheit. „Du weißt, wie es ist, wenn man sich plötzlich mit jemandem wieder gut versteht. Er war super. Wir fühlten uns wohl wie die Maden im Speck, wie zwei Kids, die gerade aus dem Gefängnis gekommen sind. Er war toll. Es war eine wunderschöne Zeit. Wir wunderten uns immer wieder, wie gut wir uns verstanden.“
Sie blieb ein bis zwei Wochen mit ihm zusammen. Unglücklicherweise war das etwas zu lang, und Shelley fühlte sich wieder auf unschöne Weise daran erinnert, dass Lou immer alles unter Kontrolle haben musste. Sie spürte, dass es zwischen ihnen niemals richtig gut laufen würde. Als er sie zum Flugzeug nach Chicago brachte, winkte sie ihm zum Abschied, ohne sich die Frage zu stellen, wann sie ihn wiedersehen würde.
Die Pickwick-Periode
Bei Pickwick International: 1964–1965
„Die Erfahrung, die Lou bei Pickwick sammelte, war der Schritt hin zum reifen Musiker. Was er hier lernte, war entscheidend für das, was später aus ihm wurde.“
— Donald Schupak
Lou ging nicht, wie die meisten der aufgeweckten Absolventen der Fakultät für englische Literatur, von Syracuse nach New York, sondern zog sich in die Bequemlichkeit und Sicherheit seines Elternhauses zurück. Im Sommer 1964 konzentrierte er sich darauf, seiner Einberufung in die Armee zu entgehen. Er wusste, dass er bei der Musterung eine gute Vorstellung geben musste, um der Militärbehörde glaubhaft zu machen, dass er krank oder verrückt oder beides gleichzeitig war. Er entschied sich dafür, sie von beidem zu überzeugen.
Durch schicksalhafte Fügung wurde er dabei von einer wirklichen Krankheit unterstützt, die einige Tage nach seiner Rückkehr in Freeport ausbrach. Er fühlte sich fiebrig und erschöpft, und man stellte fest, dass er sich eine gefährliche Form von Hepatitis zugezogen hatte; später behauptete er, er habe sich in einem Fixertreff infiziert, wo er sich die Spritze mit einem matschgesichtigen Schwarzen namens Jaw geteilt habe. Als er von der Diagnose erfuhr, führte Lou sofort ein teures Ferngespräch mit Shelley und warnte sie, dass sie sich eventuell bei ihm angesteckt haben könnte, da sie die letzte Zeit miteinander verbracht hatten. Dann machte er sich daran, genügend medizinische Beweise für seine Wehruntauglichkeit zusammenzutragen.
Lou zufolge erreichte er dieses Ziel in einer Rekordgeschwindigkeit von zehn Minuten: Er präsentierte sich vor der örtlichen Einberufungskommission und kaute dabei auf seinem bevorzugten Downer herum, eine Dosis von siebenhundertfünfzig Milligramm Placidyl in Form einer großen, grünen Pille, die aufgrund ihrer beruhigenden, für Hypnose empfänglich machenden, einschläfernden Wirkung verschrieben wurde. Diese Wirkung tritt ungefähr fünfzehn Minuten nach Einnahme ein und wird durch Alkoholkonsum, Barbiturate oder andere Beruhigungsmittel, die auf das zentrale Nervensystem einwirken, erheblich verstärkt.
Placidyl war in den Sechzigerjahren rezeptfrei erhältlich, heutzutage ist es aufgrund der schweren, zu Selbstmord führenden Depressionen und der Abhängigkeit, die es auslösen kann, verschreibungspflichtig. „Ich erzählte ihnen, dass ich ein Gewehr haben wollte, um alles und jeden vor meiner Nase umzuballern“, erinnert sich Lou. Falls diese superschlaue Behauptung nicht den Ausschlag für seine Ablehnung gab, dann waren es sicher seine angegriffene Leber und die durch das Anfangsstadium seiner Hepatitis hervorgerufene gelbliche Leichenblässe auf seinem Gesicht. „Ich wurde als geistig unreif eingestuft und so klassifiziert, dass ich nur dann eingezogen werden konnte, wenn wir gegen China in den Krieg zögen. Das war zumindest ein positives Ergebnis meiner Schockbehandlungen.“
Es war Sommer 1964. Sein Vater bot ihm einen Job in seinem Steuerberatungsbüro an, das Lou später übernehmen und weiterführen sollte. Aber Lou hatte keine Lust dazu, an einem Schreibtisch zu sitzen und auf eine Rechenmaschine zu starren. Er sagte Sidney, er solle Elizabeth (die zu der Zeit fünfzehn Jahre alt war) das Geschäft übergeben, sie hätte dafür den besseren Kopf. Stattdessen gründete Lou eine Band und spielte in den umliegenden Klubs und Bars, die während der Sommermonate mehr Auftrittsmöglichkeiten boten, und so häufig wie möglich für ein ausschließlich schwules Publikum.
Lou verübelte seiner Familie sowohl, dass sie die Elektroschockbehandlung zugelassen hatten, als auch ihre derzeitige Ablehnung seines Lebensstils, und er machte sich daran, sie mit dieser negativen Einstellung zu quälen. Oder, wie es in „Families“, einer seiner Verachtungstiraden, heißt: „Families who live out in the suburbs often make each other cry (Familien draußen in den Vorstädten machen sich oft selbst fertig).“
In jedem Fall war der Kampf noch nicht beendet. Dass wohlhabende Eltern großzügig darüber hinwegsahen, wie ihre Kinder die Sommermonate mit süßem Nichtstun auf der Insel verbrachten, war eine Sache, im Herbst jedoch wurde von allen erwartet, dass sie einer sinnvollen Tätigkeit nachgingen. Hyman war bereits an einer juristischen Fakultät eingeschrieben. Auch Lous Eltern nahmen an, dass sich ihr Sohn nun zu irgendeiner akzeptablen Karriere durchringen würde.
Sie hatten die Lage jedoch völlig falsch eingeschätzt: In einem Schachzug, der sowohl Delmore Schwartz als auch seine Eltern vor den Kopf stoßen sollte, nahm Lou einen Job als Pop-Songwriter bei einer drittklassigen Plattenfirma namens Pickwick International an. Dort hatte er auf Bestellung Popsongs zu liefern und warf damit in den Augen seiner Eltern eine teure Ausbildung über Bord. Pickwick hatte sich darauf spezialisiert, ein naives Massenpublikum mit Schummelaufnahmen zu Schleuderpreisen auf Wühltischen zu täuschen. Beispielsweise war auf dem Album Bobby Darin Sings The Blues der schmachtende Darin nur einmal zwischen zehn anderen von Jack Borgheimer gesungenen Songs zu hören; dann gab es ein Album der Roughnecks, bei dem auf der Hülle vier herumschäkernde Burschen (ohne Lou) abgebildet waren, die den Beatles ähnelten, in Wirklichkeit aber vier Studiomusiker mit teigigen Gesichtern und Pilzkopfperücken waren. Rückblickend stellte Phil Milstein, einer von Lous bestinformierten und aufmerksamsten Kritikern, der 1978 die Velvet Underground Appreciation Society gründete, fest: „In vieler Hinsicht ist das der verrückteste Teil einer völlig verrückten Geschichte. Nichts, was Lou je getan hat, war so trivial wie seine Arbeit für Pickwick.“
Der Song „You’re Driving Me Insane“ von den Roughnecks begann mit einem unmelodischen Brummen der Gitarren und fügte dann einem