Lou Reed - Transformer. Victor Bockris
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Eine Geschichte von Schwartz öffnete Lou wirklich die Augen. Es geht darin um die Halluzinationen eines Sohnes, der sich in einem Kino wieder findet, wo er einen Dokumentarfilm über seine Eltern ansieht; er verliert völlig die Fassung und warnt sie schreiend davor, niemals einen Sohn zu haben. „In Dreams Begin Responsibilities beeindruckte mich sehr“, erinnert sich Lou. „Dass etwas so unglaublich Kraftvolles mit so wenigen Worten und auf so wenigen Seiten geschaffen werden konnte. So etwas konnte man auch schreiben, ohne unbedingt den größten Wortschatz der Welt haben zu müssen. In dieser Art wollte ich schreiben: einfache Worte benutzen, um Gefühle auszulösen und sie dann in Musik umzusetzen.“
Was Delmore anging, so war dieser davon überzeugt, in Lou einen Schriftsteller vor sich zu haben. Ihre Freundschaft befand sich auf dem Höhepunkt, als der ältere Dichter eines Abends in der Orange Bar seinen Arm um Lous Schultern legte und zu ihm sagte: „Ich werde bald in eine bessere Welt als diese hier verschwinden, aber ich möchte, dass du weißt, dass mein Geist dich verfolgen wird, wenn du dich für Geld verkaufst oder in der Werbung endest oder Mist schreibst.“
„Ich hatte mir überhaupt noch nichts überlegt, schon gar nicht, mich für Geld zu verkaufen“, erinnert sich Lou. „Ich nahm seine Worte sehr ernst. Er sah schon damals, dass ich in der Lage war, ganz anständig zu schreiben. Ich habe ihm nämlich nie etwas von dem gezeigt, was ich schrieb – ich hatte wirklich Angst davor. Trotzdem hielt er so viel von mir. Das war ein überwältigendes Kompliment, und ich habe es nie vergessen.“
So nahe sie einander auch gewesen sein mochten, so vertraten sie doch zu zwei Themen völlig unterschiedliche Meinungen. Als Mann, der in den Vierzigerjahren erzogen worden war, hasste Delmore alle Homosexuellen. Die verständnislose Einstellung gegenüber Schwulen in den frühen Sechzigern, die sie zusammen mit Kommunisten oder Drogenabhängigen in einen Topf warf, war bei konservativen männlichen Amerikanern sehr verbreitet. Aus diesem Grund konnte Lou viele seiner besten Geschichten nicht zeigen, da sie schwule Themen hatten.
Und dann war da noch der Rock ’n’ Roll. Delmore verachtete diese Musik und insbesondere die Texte, die er als eine Art Krebs der Sprache wahrnahm. Delmore wusste zwar, dass Lou in einer Band spielte, aber er schob es als eine kindliche Beschäftigung beiseite, der Lou entwachsen würde, sobald er sein Literaturstudium aufnehmen würde.
So war Delmore Schwartz von den beiden wichtigsten Einflüssen auf Lous Arbeit ausgeschlossen.
Im seinem dritten Collegejahr war Lous Beziehung zu Shelley auf ihrem absoluten Höhepunkt, zu einem Zeitpunkt also, da er wirklich Vertrauen zu sich selbst fasste und sich allmählich veränderte. In der Wohnung in der Adams Street, zwischen Gitarren, Verstärkern, Büchern, Kleidern und Zigaretten versteckt, lebte Lou jetzt in einer Welt, die sich ausschließlich um Musik drehte, begleitet von Shelley. Sie kannte seine geheimsten Winkel, besser als irgendjemand sonst, und sie hatte ihn gekannt, bevor er seine Panzer anlegte. Sie war sein bester Freund, der ihm direkt in die Augen sehen konnte, für den er schrieb und spielte.
Lou hatte es bitter nötig, geerdet zu werden, denn obwohl Lincoln so cool wie Schlagsahne und schlauer als jedes Amphetamin sein konnte, war er letztendlich ein Verrückter. Lou brauchte zwar immer einen Hofnarren, der ihn amüsierte, aber mindestens genauso dringend brauchte er die Gegenwart einer normalen Frau aus den Fünfzigerjahren, die ihn beruhigen konnte, wenn seine Fantasien allzu heftig wurden. Shelley Albin erfüllte für Lou sämtliche Rollen: Mutter, Schwester, Muse, Geliebte, Trösterin, Therapeutin, Drogenbeschafferin und ebenbürtig Verrückte. Alles spielte sich zwischen ihr und Lou ab – vierundzwanzig Stunden am Tag.
Während Delmore in der Orange Bar Geschichten über Perverse und Verrückte erzählte und über wirkliche oder eingebildete Vorgänge in Washington schäumte, trank Lou. Er flog auf seinem magischen Drogenteppich dahin. Unzählige Manuskriptseiten und anderer Schutt türmten sich in seinem Zimmer, das, Shelleys Empfindung nach, mit voller Absicht aussah wie ein Schweinestall. Lou hatte eine sehr intensive, aufregende Beziehung zu Lincoln, der immer mehr ausrastete, sich in einem langen, verdrehten Romanwerk verlor, das ihm die Stimmen in seinem Kopf diktierten, wobei sie widersprüchliche Anordnungen gaben. Lou zeigte auch, dass er die nur wenigen gegebene Fähigkeit besaß, sich drei- oder viermal in der Woche vor ein Publikum hinzustellen und guten Rock ’n’ Roll zu spielen; er spielte die Gitarre auf eine wilde und erfinderische Art, er war ein poetischer Mundharmonikaspieler, und seine Stimme wurde zu einer menschlichen Musikbox.
Alles stand im Begriff, sich zu ändern. Rockmusik bestand aus „Telstar“ von den Tornados, „Walk Like A Man“ von den Four Seasons, „He’s So Fine“ von den Chiffons – Lous Ansicht nach alles tolle Platten. Was auf den Colleges und den Universitäten in Amerika jedoch wirklich von sich reden machte, war Folkmusik. Dylan stand kurz vor dem künstlerischen Durchbruch und schlug Lou im Kampf um den Titel, Poeta laureatus einer Generation zu werden.
An diesem Punkt angelangt, gab es für Lou mehrere Möglichkeiten. Unter den Fittichen von Delmore Schwartz hätte er nach Harvard gehen und vielleicht ein großer Dichter werden können. Er hätte Shelley heiraten und ein Folksänger werden können. Er hätte mit jedem Musiker in Syracuse zusammen eine Band gründen können. Stattdessen begann er sich von all seinen Freunden und Verbündeten, von einem nach dem anderen, zu trennen.
Der Ärger begann damit, dass Lou sich eine Hündin anschaffte, eine Kreuzung aus Schäferhund, Beagle und Dackel, neunzig Zentimeter lang und zehn Zentimeter hoch. Wenn man daran glaubt, dass Hunde immer die Persönlichkeit ihrer Besitzer widerspiegeln, dann war Seymour, wie Shelley sagte, „ein Lou-Hund“. Mehr als jedem anderen gegenüber, der sich in seine Nähe wagte, schien sich Lou dem Hund zu öffnen und mit ihm auf freundschaftliche Weise kommunizieren zu können. Soweit Shelley es beurteilen konnte, schien Lou sich nur dann wohl in seiner Haut zu fühlen, wenn er sich mit Seymour über den Boden wälzte oder mit ihr gemeinsam auf dem Sofa saß und ins Nichts starrte. Bald schon aber nahm Lous Hundeliebe obsessiven Charakter an. Er fing an, Shelley Vorwürfe zu machen, sie sollte den Hund besser behandeln und ihm mehr Aufmerksamkeit schenken.
Unterdessen begannen sich immer mehr jener Eigenschaften Lous abzuzeichnen, mit denen sich auch Shelley auseinander setzen musste, sollte sie sich entscheiden, bei ihm zu bleiben. „Ich meine, er machte wirklich ein Riesen-Tamtam darum, nett zu dem Hund zu sein“, kommentierte sie später. „Aber er selbst verhielt sich unmöglich; ich zog also meine Schlüsse daraus.“ Bei der herrschenden Eiseskälte dachte Lou nicht daran, mit dem Hund Gassi zu gehen. Es stellte sich schnell heraus, dass es zu Shelleys Aufgaben gehörte, den Hund zu füttern und mit ihm hinauszugehen. Trotzdem beschloss Lou, ihn auszusetzen. Shelley überredete ihn, es nicht zu tun. Dann heckte Lewis einen anderen teuflischen Plan aus. Er würde den Hund nach Freeport mitnehmen und ihn ohne Vorwarnung seiner Familie aufs Auge drücken. Und er wusste genau, wie er dabei vorgehen musste.
An Thanksgiving kamen Lou und Shelley mit dem Überraschungsgeschenk nach Freeport. Schon auf dem Flughafen La Guardia gab der Hund eine Talentprobe seiner Seelenverwandtschaft mit Lou. Er stürmte aus dem Frachtraum, in dem er seine Reise hatte zubringen müssen, und begann sofort, den ganzen Boden voll zu pissen, während Lous Mutter losschrie: „Ein Hund! O mein Gott, ein Hund in unserem Haus! Bloß das nicht!“ Diesem Ausbruch begegnete Lou mit jener kunstvollen Selbstsicherheit, die auch seine späteren Mitarbeiter noch zur Verzweiflung bringen sollte: Er machte ihnen ein Angebot, das sie nicht ausschlagen konnten, indem er sagte, der Hund sei ein Geschenk für Bunny.
Zunächst waren die Reeds verstimmt, aber bald schon – sehr zu Lous Verärgerung – begannen sie an dem neuen Hausgenossen großen Gefallen zu finden. Es stellte sich heraus, dass der Hund wohl Lous Charme besaß, aber keine seiner anderen, weniger anziehenden Charaktereigenschaften. Bald schon jagte Seymour durch das Wohnzimmer der Reeds oder rollte sich auf Tobys Schoß zusammen, als hätte sie in ihr endlich die verlorene Mutter wieder gefunden. Kurz gesagt: Seymour war eine