Lou Reed - Transformer. Victor Bockris
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In den frühen Sechzigern war Homosexualität absolut tabu. Nichts war 1962 in Amerika ekelhafter als das Bild zweier Männer, die sich küssten. Der Durchschnittsamerikaner hätte einen Homosexuellen niemals in sein Haus gelassen, die Furcht, dieser könne eine fürchterliche Krankheit durch Kontakt mit dem Toilettensitz oder der Sessellehne übertragen, war riesengroß. An den amerikanischen Universitäten gab es Berichte darüber, dass gesunde junge Männer wie viktorianische Jungfrauen in Ohnmacht fielen, sobald ihnen ein Homosexueller körperlich zu nahe kam. Wie Andy Warhol bald beweisen sollte, galt der Homosexuelle Anfang der Sechziger als die größte Bedrohung und die subversivste Person überhaupt. Brad Gooch zufolge, dem Biografen von Frank O’Hara, war „schon im Januar 1964 eine Kampagne im Gange, um die schwulen Bars von New York zu observieren, und das Fawn in Greenwich Village war geschlossen worden. Als Reaktion auf diese Schließung, die durch Infiltrierung von Spitzeln – in der Szene ‚actors‘ genannt – möglich gewesen war, lautete die Schlagzeile der New York Times: ‚Große Betroffenheit in der Stadt durch Zunahme offener Homosexualität.‘“ Neben den großen Städten wie San Francisco und New York boten auch kulturelle Institutionen und besonders Privatuniversitäten vielen Homosexuellen die Möglichkeit, unterzuschlüpfen. Das College in Syracuse bildete hierin keine Ausnahme. Unter dem Schauspiellehrer Roberto Scarpatto, Lous Lieblingslehrer und von den Studenten liebevoll „Scarp“ genannt, hatte sich das College zu einer Brutstätte homosexueller Aktivitäten entwickelt.
„Als Schauspieler war ich nicht gerade das Gelbe vom Ei, wie man so sagt“, erzählt Lou. „Aber als Regisseur war ich gut.“ Lou entschloss sich, in The Car Cemetery (Der Autofriedhof) Regie zu führen. Um sein Leben zu illustrieren, hätte Lou keine bessere Form (das absurde Theater) und kein besseres Thema (das Stück basierte locker auf der christlichen Mythologie) finden können. Die Geschichte drehte sich um den Leidensweg eines begabten Musikers, der am Ende von einem Orchestermitglied an die Polizei verraten wird. Alles, was Lou schrieb oder tat, drehte sich um ihn selbst; hätte die Möglichkeit bestanden, so hätte er sicher nicht gezögert, eine Elektroschockfolterung als Höhepunkt einzubauen. Lou – dessen musikalische Karriere noch in den Kinderschuhen steckte – bearbeitete das Stück ganz nach seinem Geschmack, indem er dem Musiker die Rolle des Heilbringers in einer düsteren Welt voller grausamem Sex und Prostitution zuwies.
„Ich bin sicher, dass zwischen Lou und Scarpatto etwas lief“, bestätigt Richard Mishkin. „Dieser Typ holte sich die Burschen auf sein Zimmer und zog ihnen Damenunterwäsche an; dann machte er Fotos davon, und sie bekamen eine gute Zensur. Sogar der Dekan selbst hat sich entweder umgebracht oder er verschwand, weil er mit den Schwuchteln in der Fakultät in Zusammenhang gebracht wurde; später hat man sie dann angeklagt, weil sie komische Sachen mit den Studenten gemacht haben.“
Der „erste“ schwule Flirt kann nicht einfach übersehen und beiseite geschoben werden, wie es Morrison und Albin gern hätten. Einmal deshalb, weil es schon vorher passiert war. Während seiner Kindheit in Freeport hatte Lou des Öfteren beim Gruppenwichsen mitgemacht, und diese schwule Erfahrung hatte ihn auf eine Weise geprägt, die er später in seiner Karriere zu seinem Vorteil ausbauen würde. Besonders wichtig war der effeminierte Gang mit kleinen, vorsichtigen Trippelschritten, an dem man ihn schon von weitem erkennen konnte.
Obwohl er ursprünglich eher an eine Karriere als Schriftsteller dachte, hatte er die Gitarre immer in greifbarer Nähe und beschäftigte sich viel mit Musik. Seine erste Band in Syracuse war eine lose formierte Folkgruppe. Neben Lou spielte John Gaines, ein beeindruckend hoch gewachsener Schwarzer mit kräftigem Bariton; dann Joe Annus, hübsch, groß und weiß, ebenfalls mit einer guten Stimme; und ein sehr guter Banjospieler mit Afrolook, der aussah wie Art Garfunkel.
Die Gruppe spielte häufig auf einer kleinen Grünanlage in der Mitte des Universitätsgeländes, an der Kreuzung von Marshall Street und South Crouse. Gelegentlich traten sie auch in einer kleinen Bar namens Clam Shack auf. Lou sang nicht bei diesen Auftritten, da er seine Stimme nicht mochte, aber privat sang er Shelley seine eigenen Folksongs vor. Manchmal spielte er auch traditionelle schottische Balladen, die den Gedichten von Robert Burns oder Sir Walter Scott nachempfunden waren. Shelley, die Lou zu vielen seiner bekannten Songs inspirierte, war tief berührt von der Schönheit seiner Musik. Seine Akkorde waren für sie genauso fesselnd und verführerisch wie seine Stimme. Und oft war sie zu Tränen gerührt durch deren Empfindsamkeit.
Scarpatto brachte Lou nicht nur bei, wie man Regie führt, sondern auch, wie er seine Auftritte dramatischer gestalten konnte. Das kam Lou zugute, als er mit seiner Musik die ersten Bühnenauftritte absolvierte. Obwohl er sich selbst der Lyrik und den Folksongs verschrieben hatte, gab Lou den Ehrgeiz, ein Rock’n’Roll-Star zu werden, nicht auf. In seinem zweiten Jahr am College beschäftigte er sich dann auch weniger mit seinen Folksongs, sondern gründete seine erste richtige Rock’n’Roll-Band: L. A. And The Eldorados. L. A. stand für Lewis und Allen, die beide die Band gründet hatten. Lou spielte Rhythmusgitarre und sang, Allen saß am Schlagzeug, ein anderes Mitglied der Bruderschaft, Richard Mishkin, spielte Piano und Bass, und das Saxofon spielte Bobby Newman, den Mishkin in die Band geholt hatte. Stephen Windheim, ein Freund von Lou, spielte die Leadgitarre. Sie kamen gut miteinander aus, nur mit Newman, einem lauten, unangenehmen Typ, dem Mishkin zufolge „alles scheißegal war“, kam es zu Reibereien. Lou mochte Bobby überhaupt nicht und war sehr erleichtert, als Newman während des Semesters aus dem College flog. Sein Nachfolger war ein anderer Saxofonspieler namens Bernie Kroll, den Lou gut gelaunt als „Kroll, der Troll“ bezeichnete.
In der bis dato spießigen Musikszene war einiges Geld zu machen, und es dauerte nicht lange, bis die Geschäfte der Eldorados von zwei Studenten geführt wurden: Donald Schupak, ihrem Manager, und Joe Divoli, der ihnen die Auftritte in den örtlichen Klubs verschaffte. „Ich traf Lou, als wir beide Erstsemester waren“, erklärt Schupak. „Vielleicht hatten wir deswegen keine Probleme miteinander, weil wir als Erstsemester Freunde waren, denn er konnte immer sagen: ‚Mann, Schupak, das ist vielleicht ’ne blöde Idee‘, und ich sagte: ‚Hast Recht.‘“ Unter der Ägide von Schupak und mit Lou als Bandleader arbeiteten die Eldorados bald schon fast jedes Wochenende; sie spielten zwei- bis dreimal pro Woche auf Bruderschaftspartys, Tanzveranstaltungen, in Bars und Klubs und verdienten einhundertfünfundzwanzig Dollar pro Nacht.
Das Leben als Musiker und die Orte, an denen sie sich herumtrieben, besaßen für Lou eine große Anziehungskraft. Direkt neben dem College lag das Schwarzenviertel von Syracuse, der Fünfzehnte Ward genannt. Hier war er Stammgast in einem Kellerlokal namens Club 800, in dem schwarze Musiker und Sänger auftraten und improvisierten. Lou und seine Band waren dort gern gesehen und arbeiteten auch gelegentlich mit den Sängern der Gruppe The Three Screaming Niggers zusammen. „Das war eine ausschließlich schwarze Gruppe, die viel in den nördlichen Universitäten des Bundesstaates New York auftrat“, erinnert sich Mishkin. „Wenn wir zusammen spielten, traten wir unter ihrem Namen auf. Wir gingen ab und zu auch in den Norden. Die Leute da dachten, dass Weiße keinen Blues spielen können; dann kamen wir und spielten Blues. Da waren sie plötzlich nett zu uns.“ Manchmal traten die Eldorados auch zusammen mit einem schwarzen weiblichen Backgroundchor auf.
Was die Band aber besonders herausstechen ließ, war ihr Auto. Mishkin besaß einen Chrysler New Yorker, Baujahr 1959, mit gigantischen Heckflossen. An der Außenseite der Karosserie befand sich eine Zeichnung von roten Gitarren, aus denen Flammen hervorzüngelten, und auf dem Kofferraum stand „L. A. And The Eldorados“. Alle Mitglieder der Band kauften sich identische Westen mit Goldlurexpaspeln, Jeans, Stiefel und dazupassende Hemden. In diesem Salonlöwenpunk ausstaffiert und mit Mishkins goldener Kutsche, die sie zu ihren Auftritten brachte, machte die Band Furore, wenn sie durch die Straßen kreuzte. Wie es auf solchen Touren üblich war, erlebten sie eine Menge gemeinsamer Abenteuer, die sie noch mehr zusammenschweißten.
Mishkin