Lou Reed - Transformer. Victor Bockris

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Lou Reed - Transformer - Victor Bockris

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Er befand sich genau am Scheidepunkt zwischen zwei Generationen. Und er war schon ein bisschen zu weit weg, um noch in den Fünfzigern bewundert zu werden.“

      In seinem ersten Jahr in Syracuse, so schließt die strebsame Griffin, hieß es „Lou gegen den Rest der Welt“.

      Lou stilisierte sich selbst als merkwürdigen Einzelgänger. Er ging allen studentischen Organisationen aus dem Weg und war damit beschäftigt, ein Image von sich aufzubauen, das schon bald als die Essenz des angesagten New-Yorker Szenegängers bekannt werden sollte. Lou war ein Jahr älter als die anderen Erstsemester und voll ausgewachsen. Er war 1,70 Meter groß (obwohl er behauptete, es seien 1,74 Meter), ein bisschen dicklich und noch einige Schritte von dem späteren Lou Reed von „Heroin“ entfernt. Er trug Mokassins, Jeans und T-Shirts und war meistens etwas schlampiger angezogen als die Mehrzahl der anderen Studenten, die die Bruderschaftsuniform, bestehend aus Anzug und Krawatte, trugen. Sein Haar war ebenfalls eine Spur länger als das seiner Kommilitonen. Ohne diese Accessoires wäre er in der Menge nicht aufgefallen. Sein Aussehen tendierte zum Niedlichen, Jungenhaften, Lockenköpfigen, Schüchternen, Kaugummi Kauenden hin. Unter seinem rechten Auge hatte er eine kleine Narbe. Am ungewöhnlichsten an ihm waren seine Finger. Kurz und kräftig, verbreiterten sie sich zu fast quadratischen Fingerkuppen hin, ideal zum Gitarrespielen.

      Die Syracuse University verfügte über ein ausgezeichnetes Lehrangebot. Obwohl Lou durch große Teile davon einfach schlafwandelte, stürzte er sich doch in die Philosophie-, Musik- und Literaturkurse und tat sich dort auch hervor. In Musikinterpretation, Theorie und Komposition saugte er alles wie ein Schwamm auf und machte sogar vor Oper nicht Halt. Zuerst versuchte er, im Journalismus einzusteigen, ließ aber die Finger davon, als sein Lehrer ihm mitteilte, seine persönliche Meinung sei ohne Bedeutung. Dann vertiefte er sich in Philosophie. Er verschlang alles über die Existenzialisten, war besessen von Hegels quälender Dialektik und fühlte sich innig mit Furcht und Zittern von Kierkegaard verbunden. „Ich beschäftigte mich sehr mit Hegel, Sartre und Kierkegaard“, erinnert sich Reed. „Wenn man Kierkegaard ausgelesen hatte, fühlte man sich, als sei etwas Schreckliches geschehen – Furcht und Zittern. Genau da kam ich her.“ Er liebte auch Krafft-Ebing und die Dichter der Beat Generation, besonders Kerouac, Burroughs und Ginsberg. Um seinen Eindruck als Erstsemester abzurunden, ließ er sich stilistisch durch die draufgängerischen, gequälten Vorbilder eines James Dean, Marlon Brando und vor allem Lenny Bruce inspirieren.

      Lou war sich bereits darüber im Klaren, dass er Rockmusiker und Schriftsteller werden wollte. Die reichhaltige Musikszene der Universität bestand aus einem vielfältigen Gemisch aus Talenten wie Garland Jeffreys, einem zukünftigen Songschreiber und Weggefährten Reeds, der zwei Jahre jünger war als Lou; Nelson Slater, für den Lou später ein Album produzieren sollte; Felix Cavaliere, dem zukünftigen Bandleader der Young ­Rascals; Mike Esposito, der die Blues Magoos und Blues Project formieren sollte; und Peter Stampfel, einem frühen Mitglied der Holy Modal Rounders, der ein Pionier der Folkmusik werden sollte. Während die Colleges in New York und Boston Folksänger in der Art von Bob Dylan hervorbrachten, kamen aus Syracuse eher die Vorläufer der Punkrocker.

      Musikalisch entscheidend für Lou war, dass er in Syracuse auf einen anderen Gitarristen namens Sterling Morrison stieß; er kam aus Bayport, Long Island, und hatte einen ähnlichen (sozialen) Hintergrund wie Lou. Kurz nachdem Lou aus dem R. O. T. C. hinausflog, besuchte Sterling, der niemals in Syracuse immatrikuliert war, sondern nur ab und zu dort herumhing, Jim Tucker, der ein Stockwerk unter Lou wohnte. Während Morrison eines Nachmittags aus Tuckers Fenster starrte und den R.-O.-T.-C.-Kadetten beim Marsch über den Hof zusah, hörte er plötzlich „ohrenbetäubende Dudelsackmusik“ aus irgendeiner Anlage schallen. Danach „warf sich jemand die Gitarre um und schlug ein paar quietschende Akkorde aus ihr heraus“. Aufgeregt dachte Morrison: „Oh, über uns wohnt ein Gitarrist“, und sofort begann er Tucker zu bedrängen, ihn vorzustellen. Als sie sich schließlich am nächsten Tag um drei Uhr morgens trafen, stellten Lou und Sterling fest, dass sie eine gemeinsame Vorliebe für schwarze Musik und Rock ’n’ Roll hatten. Beide verehrten auch Ike und Tina Turner. „Damals kannte sie noch kein Mensch“, erinnert sich Morrison. „Syracuse war sehr konservativ. Da gab es kaum mehr als eine Hand voll Verrückter.“

      Glücklicherweise war für diese Hand voll das Geschehen im Bereich Drama, Dichtung und Literatur genauso anregend wie im Bereich Musik. Bald verbrachte Lou einen Großteil seiner Zeit mit Gitarrespielen, Lesen oder Schreiben, oder er war in lange Diskussionen mit gleich Gesinnten verstrickt. Viele dieser ausgedehnten Unterhaltungen über Philosophie und Literatur fanden in Bars und Coffee Shops statt, in denen er und seine Freunde sich bald heimisch fühlten. Jedes Restaurant war Hauptsitz einer bestimmten Gruppierung. Lous Clique schlug ihre Zelte im Savoy Coffee Shop auf, dessen Besitzer ein liebenswerter alter Mann namens Gus ­Josephs war. Gus hätte direkt aus der Fernsehserie Happy Days stammen können. Nachts tranken sie in der Orange Bar, die vornehmlich von intellektuellen Studenten besucht wurde. Lou zufolge ging er zwei Schritte vor das College, und da war eine Bar. „Es war die Welt von Kant und Kierkegaard und metaphysischer Polemik, die bis in die Nacht hinein dauerte“, erinnert er sich. „Ich ging oft allein und trank auf alles, was in der Woche schief gegangen war.“ Er hatte sich daran gewöhnt, verschreibungspflichtige Medikamente zu nehmen und Marihuana zu rauchen, hatte aber noch nicht viel mit harten Drogen zu tun. Wenn es hoch kam, trank er einmal einen Scotch und ein Bier.

      Das Leben der Erstsemester verlief nach Regeln, die für die männlichen Studenten viel vorteilhafter waren als für die weiblichen. Während die Mädchen in ihren Zimmern auf dem Mount Olympus um neun Uhr abends eingeschlossen wurden und bei Missachtung der Sperrstunde einen sofortigen Hinauswurf riskierten, war es den männlichen Studenten, die keine Sperrstunde hatten, möglich, in der Nacht ein Leben zu führen, das sich vom Universitätsalltag abhob. Sie erforschten die Stadt, tranken in der Orange Bar oder in den Verbindungshäusern und gerieten in alle möglichen Schwierigkeiten. Lou, der die Angewohnheit entwickelt hatte, die Nächte mit Lesen, Schreiben und Musizieren zu verbringen, verlor selbstverständlich keine Zeit damit, seine neue Umgebung kennen zu lernen. Er sah sich kurz in Syracuse um und entdeckte im nahe gelegenen Ghetto der Schwarzen einen Klub namens The 800, wo funky Jazz und R & B gespielt wurde. Außerdem gab es hier eine Szene, die sich nur um Drogen, Musik und Gefahr drehte, was Lous Wunsch, die dunklen Seiten des Lebens kennen zu lernen, entgegenkam.

      Lous erste Freundin am College hieß Judy Abdullah; er nannte sie „die Araberin“. Vielleicht nahm er sie eher als exotisches Objekt denn als Person wahr. Judy brachte einen sonderbaren Zug in Lous Sexualität zum Vorschein: es stellte sich heraus, dass er auf „vollschlanke“ Frauen stand. Judy Abdullah war zweimal so breit wie er. Sie war eine leidenschaftliche Frau, und die beiden verstanden sich großartig im Bett, aber zumindest eine Bekannte fügte Reeds Persönlichkeit eine weitere Nuance hinzu, indem sie darauf hinwies, dass Lous Schwäche für dicke Frauen ebenso Herausforderung wie Fluchtmöglichkeit darstellte. Lou konnte die Einstellung haben, dass er ihr gegenüber keine ernsthaften Verpflichtungen hatte und sie auch sexuell nicht befriedigen musste. Die Beziehung verlief im Sand, bevor das Jahr zu Ende war. Lou, der keine Zeit mit Verabredungen vergeuden wollte, konnte ziemlich unangenehm werden, und er war gemein zu Judy. Als es mit den beiden auseinander ging, hatte sie allen Grund dazu, von ihm die Nase restlos voll zu haben. Trotz allem blieben sie in Kontakt, und Lou traf sich während seiner Collegezeit noch gelegentlich mit ihr. In Syracuse stellte sich Lou als gequälter, introspektiver, romantischer Dichter dar.

      Getreu dem Glaubenssatz, dass der erste Schritt, ein Dichter zu werden, darin besteht, wie einer auszusehen, lag Lou viel daran, den Eindruck zu erwecken, er sei ungewaschen, obwohl das nicht stimmte. Ein Freund berichtete: „Er ging niemals aus, ohne vorher zu duschen.“ Was seine Kleidung anbelangte, saß er zwischen zwei Stühlen: einerseits Teenager aus der Vorstadt mit Mokassins und Button-down-Hemd, andererseits verknitterte Arbeitskleidung und das grobe Hemd des Kerouac-Rebellen. Beobachter erinnern sich an einen eher molligen und engelhaften als dünnen und asketischen Jungen. Tatsache ist, dass er sich nicht ungewöhnlich anzog. Falls man überhaupt etwas dazu sagen kann, dann höchs­tens, dass er sich unauffällig kleidete und monatelang in den gleichen Jeans herumrannte.

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