Lou Reed - Transformer. Victor Bockris

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Lou Reed - Transformer - Victor Bockris

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für Studenten beiderlei Geschlechts zugelassene Universität, die von über neunzehntausend Studierenden der Natur- sowie der Geisteswissenschaften besucht wurde, war im Jahr 1871 gegründet worden. Sie erstreckte sich auf einem Gebiet von über sechshundertvierzig Morgen, auf einem Hügel mitten in der Stadt. Mit achthundert Dollar pro Semes­ter lagen die Studiengebühren relativ hoch für eine private Universität. Die meisten Studenten lebten in nach Männlein und Weiblein getrennten Verbindungshäusern und erfreuten sich einer letzten, vier Jahre währenden Party, bevor sie ihr kindisches Gehabe ablegten und gegen die Verantwortung des berufstätigen Erwachsenendaseins eintauschten. Unter ihnen gab es eine große und gut betuchte jüdische Fraktion, die größtenteils aus eingefleischten Verbindungsleuten bestand, die fest auf Juristen- oder Medizinerkarrieren abonniert waren. Außerdem existierte eine kleine Truppe von bildenden Künstlern, Schriftstellern und Musikern, denen sich Lou anschloss. Dort fand er zum ersten Mal in seinem Leben eine Nische, in der er sich bis zu einem gewissen Grad heimisch fühlen konnte. In Reeds Jahrgangsklasse machten 1964 neben vielen anderen talentierten und erfolgreichen Leuten der bildende Künstler Jim Dine, die Modeschöpferin Betsey Johnson und der Filmproduzent Peter Gruber ihren Abschluss. Als Neuzugang wurde Lou in die äußerste Südwestecke des North Campus, in die Sadler Hall verwiesen, ein nüchternes, kastenförmiges Wohnheim, das an ein Gefängnis erinnerte. Die meiste Zeit verbrachte er jedoch in dem herrlichen, großen Steingebäude der Hall of Languages, das die University Avenue und den University Place überblickte und in dem das Englische, das Historische sowie das Philosophische Institut untergebracht waren.

      Reed genoss außerdem den Vorteil, dass ihn sein großartiger Freund aus der Kindheit, der sanfte Manipulator und Prinz der guten Zeiten Allen Hyman, in das Uni-Leben einführen konnte. Hyman, der gerade sein zweites Collegejahr begann und als verwöhntes Vorstadtkind nicht nur einen Cadillac, sondern auch einen Jaguar fuhr, war großzügig, immer gut gelaunt und äußerst scharfsinnig; obendrein mochte er Lou wirklich gern und setzte so einiges daran, auch weiterhin sein Freund zu bleiben. Hyman hatte gute Beziehungen zur konventionellen Studentenschaft, einer Szene, in die er selbst aufsteigen wollte, und er war versessen darauf, auch Lewis dort einzuführen.

      Zunächst kam es jedoch dabei zu einer unangenehmen Situation, als Allen versuchte, Lou in seine Verbindung, die Sigma Alpha Mu (genannt „The Sammies“) einzuschleusen. „Die Initiation in eine solche Verbindung war ein schreckliches Erlebnis und die meisten Leute waren mächtig eingeschüchtert davon“, erinnert sich Hyman. Neuankömmlinge wurden gezwungen, sich bis zur Bewusstlosigkeit zu betrinken, und wurden zudem physisch, sexuell und geistig von den Verbindungsbrüdern bloßgestellt. Als Allen Lou erzählte, was er alles durchgemacht hatte, um in die Verbindung aufgenommen zu werden, sah Lou ihn fassungslos an und schnauzte: „Stehst du jetzt auf Masochismus, oder was?“

      „Er sagte, er wolle nichts damit zu tun haben, dass es faschistisch und widerlich sei“, erzählt Hyman. „Er konnte sich nicht vorstellen, dass sich jemand so schikanieren ließ, ohne zu versuchen, die Person umzubringen, die einen schikanierte.“ Trotzdem – typisch pervers – willigte Reed ein, an solch einer Aufnahmeprüfung teilzunehmen.

      Von Beginn an war klar, dass er die Absicht hatte, großen Eindruck zu machen. Er erschien zu dem Aufnahmeritual in einem schmutz­bespritzten und drei Nummern zu kleinen Anzug. Damit verabschiedete er sich radikal vom Erscheinungsbild der anderen Rekruten mit blauem Blazer, schicker Krawatte und glatt gekämmtem Haar. Allen begriff sofort, dass Lou sich vorgenommen hatte, so herausfordernd wie nur mög-lich aufzutreten. Als eines der Mitglieder Lous Aufmachung kritisierte, erwiderte Lou „Fuck you“, und damit kam seine Karriere in einer Verbindung zu einem abrupten Ende. Hyman musste seinen Freund hinausbegleiten. Ein bekümmerter Allen ließ auf dem Weg zu Lous Zimmer den Kopf hängen, aber Lou, alles andere als verzweifelt, schien sich sehr über das Erlebnis zu amüsieren. „Ich glaube, das ist wirklich nicht deine Sache“, sagte Allen.

      „Stimmt genau“, erwiderte Lou. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich mit diesen Idioten nicht klarkomme. Wie kannst du es da bloß aushalten?“

      Beim Aufnahmezeremoniell des Reserve Officer’s Training Corps fiel Lou ebenfalls durch. Als Neuzugang am College musste er bestimmte Kurse belegen, darunter auch entweder Leibeserziehung oder R. O. T. C. (in der Zeit wählte man im Allgemeinen das R. O. T. C., um später der Armee als Offizier und Gentleman beitreten zu können). Lou versuchte, beidem aus dem Weg zu gehen, indem er behauptete, er würde sich beim Turnen den Hals brechen und in R. O. T. C. jemanden umlegen, aber am Ende schrieb er sich widerwillig für R. O. T. C. ein. Die Aktivitäten dieses Korps bestanden aus zwei wöchentlichen Unterrichtsstunden, in denen es darum ging, wie man ein guter Soldat oder sogar eine Führungspersönlichkeit wurde. Lous militärische Laufbahn war jedoch fast genauso kurz wie sein Auftritt bei der Bruderschaft. Nur wenige Wochen nach Semesterbeginn wurde er auch schon wieder ohne größeres Aufhebens vor die Tür gesetzt, als er sich weigerte, einem Befehl des Offiziers Folge zu leisten.

      Er schaffte es jedoch auf anderem Weg, in seinem ersten Jahr einigen Eindruck zu machen. Mit seinem jungenhaften Charme gelang es Lou, die ernsten Bedenken der Programmdirektorin Katharine Griffin zu zerstreuen, und so drängelte er sich in die Syracuse University Radio Station WAER FM mit einer Jazzsendung hinein, die er Excursions On A Wobbly Rail (Ausflüge auf verzogenen Schienen) nannte – nach dem Titel eines verrückten Cecil-Taylor-Stücks, das auch gleichzeitig als musikalisches Intro diente.

      Der klassisch orientierte, konservative Radiosender befand sich in einer Art Hütte, die noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammte und versteckt hinter der Carnegie-Bücherei lag. Hier saß Lou dreimal die Woche zwei Stunden lang und fror sich an eiskalten Abenden den Hintern ab, während er zusammengekauert über seiner altmodischen technischen Ausstattung hing wie ein Widerstandskämpfer hinter der Front; von hier aus sendete er eine bunte Mischung der Musik seiner Lieblingsmusiker, die allesamt der Avantgarde des Freejazz angehörten, Ornette Coleman und Don Cherry, den Doo-Wop-Sänger Dion und den sexuell anrüchigen Hank Ballard ebenso wie James Brown und The Marvelettes. Diese Mischung enthielt Lous Quintessenz. „Ich war ein großer Fan von Ornette Coleman, Cecil Taylor und Archie Shepp“, erinnert er sich. „Dann kamen James Brown, die Doo-Wop-Gruppen und Rockabilly. Pack alles zusammen, und du hast mich.“

      Unglücklicherweise traf Lous Musikgeschmack nicht auf die Gegenliebe der anderen Mitarbeiter des Senders; zahlreiche Mitglieder der Fakultät, darunter auch der Dekan der Studentenschaft, beschwerten sich über die – ihrer Ansicht nach – entsetzliche und unzumutbare Kakophonie, die ihnen während Reeds Sendungen entgegendröhnte. Die negative Reaktion der Universitätsleitung war keineswegs Lous einziges Problem. Allen Hyman rief Lou häufig mit verstellter Stimme an und belästigte ihn mit lächerlichen Musikwünschen. Einmal, so erinnert sich Allen, „wollte ich ein Musikstück hören, von dem ich wusste, dass er es nicht ausstehen konnte und niemals spielen würde. Er sagte: ‚Nein, das spiele ich nicht, vergiss es.‘ Und ich sagte: ‚Hör mal, wenn du das jetzt nicht spielst, dann bring ich dich verdammt noch mal einfach um. Ich warte auf dich, und ich bring dich um!‘ Lou bekam es mit der Angst zu tun; er dachte, ich sei irgendein Wahnsinniger. Später habe ich ihn dann angerufen und gesagt, dass ich es war. Er hat mich angeschrien und gesagt, wenn ich das noch einmal machen würde, dann würde er nie wieder mit mir reden.“

      Wie sich herausstellte, hatte Allen jedoch nicht lange genug Zeit, um durch solche Scherze seine Freundschaft mit Lou aufs Spiel zu setzen; bereits nach kurzer Zeit kam Katharine Griffin, die wachsame Programmdirektorin, zu dem Schluss, dass „Excursions On A Wobbly Rail eine völlig verrückte Jazzsendung war, die sich mehr nach einer Art neuem Lärm als nach Musik anhörte. Es war einfach zu exzentrisch und überschritt eine bestimmte Grenze.“ Noch vor Semesterende wurde es ohne viel Federlesens aus dem Programm gestrichen, was Lou natürlich sehr ärgerte.

      Im Rückblick stellten Griffin und ihre Zeitgenossen fest, dass Reed seiner Zeit einfach voraus war. „Die meisten von uns, die auf dem Campus den Ton angaben, waren ganz normale Kinder ihrer Zeit, der Fünfziger“, erklärt sie. „Damals trugen die Jugendlichen Karohemden und Chinos, korrekt geschnitten.

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