Lou Reed - Transformer. Victor Bockris
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„Ich fand, dass dieser ganze Geschlechtskram immer eine Möglichkeit für Kids war, es ihren Eltern so richtig heimzuzahlen“, sagt Lou. „Das taten nur Kids, die auf Protest aus waren. Genau dasselbe bedeutet Rock ’n’ Roll für einige Leute: Musik hören, die deine Eltern nicht mögen, sich so anziehen, dass es deinen Eltern nicht gefällt.“
In seiner frühen Jugendzeit galt Lous größtes Interesse aber seiner wahren Leidenschaft, dem Rock ’n’ Roll. 1954, mit zwölf Jahren, war er begeistert vom neuen Rhythm-&-Blues-Sound und fing auf der Stelle an, selbst Songs zu schreiben. Genau wie der gleichaltrige Teenager Paul Simon, der im nahe gelegenen Queens aufwuchs, gründete Lou eine Band und veröffentlichte mit fünfzehn eine erste Single, die er passenderweise „So Blue“ nannte. Lous Eltern fanden diese frühen Vorboten einer musikalischen Karriere eher bedenklich. Im Dunstkreis pulsierender Musik und heftiger Stimmungsumschwünge sahen sie ihre Zukunftsträume von Lou, dem Arzt, dahinschwinden. Seit er in die Pubertät gekommen war, befand sich Lou auf Konfrontationskurs und verletzte seine Eltern, indem er sie öffentlich und auch zuhause beschimpfte. Als Teenager gab Lou seinen Eltern Anlass zu der Befürchtung, dass er Rockstar und homosexuell werden würde – der Stoff also, aus dem die Albträume aller Eltern der Fünfzigerjahre gemacht waren.
Lou hatte Spaß daran, dass der Schock und die Sorge darüber, einen homosexuellen Sohn zu haben, seine Eltern zermürbte, während er sich gleichzeitig mit Mädchen verabredete und auf seine Freunde durchaus den Eindruck machte, heterosexuell zu sein. „Seine Mutter war sehr unglücklich“, erinnert sich ein Freund. „Sie verstand einfach nicht, warum er sie so sehr hasste und woher seine Wut kam. Zuerst waren sie nicht böswillig, sie versuchten zu verstehen, was da vor sich ging. Aber irgendwann hatten sie die Nase voll von ihm.“
Während seiner Teenagerjahre versuchte Lou alles, um die Gleichförmigkeit des Lebens in Freeport zu durchbrechen, besonders Dinge, die außerhalb der Konvention lagen. Dabei traf er auf Leidensgenossen, die ebenfalls verzweifelt versuchten, der Langeweile zu entkommen. Ein indirekter Anlass dazu war beispielsweise sein Interesse an Musik. Jeden Abend klinkte sich der aufregendere Teil der Highschool-Jugend von Freeport in das WGBB-Radioprogramm ein, um die neueste Musik zu hören, Musikwünsche zu äußern und irgendjemandem Lieder zu widmen. Oft riefen so viele Teenager an, dass die Telefonverbindungen zusammenbrachen und sich überkreuzten; so entstand eine Art Teenager-Party-Line, über die sich dann Freundschaften entwickelten. Bei einer dieser Gelegenheiten erwärmte sich Lou für eine Anruferin. „Da war dieses Mädchen, sie lebte in Merrick“, erinnert sich Allen Hyman. „Sie war für die damalige Zeit ziemlich fortschrittlich, und es endete damit, dass Lou sich mit ihr verabredete. Er kam von seinem Date zurück, rief mich an und sagte: ‚Ich habe gerade eine irre Erfahrung gemacht. Ich bin mit dem Mädchen zum Valley Stream Drive-In gefahren und sie holte einen Joint raus.‘ Ich sagte: ‚Ist sie süchtig nach Marihuana?‘ Zu der Zeit glaubten wir ja noch, dass man von Marihuana süchtig wird. Er sagte: ‚Nein, es war cool. Ich hab den Joint geraucht, es war echt super.‘“
Die Zeit, in der Lou aufwuchs, die Fünfziger- und die frühen Sechzigerjahre, waren gekennzeichnet durch ein fehlendes Problembewusstsein der Mittelschicht und ihrem ausgeprägten Bedürfnis nach Sicherheit. Fast genauso wie in der TV-Serie Happy Days waren die meisten Teenager mehr daran interessiert, sich zu amüsieren, als die Welt zu verstehen. „Es wurde nicht sonderlich viel darüber nachgedacht, was auf dem Planeten so vor sich ging“, kommentiert Allen Hyman. „Aber Lou war immer daran interessiert, Autoritäten zu hinterfragen, zu provozieren, und er war auf jeden Fall ziemlich exzentrisch.“
Diese exzentrische, rebellische Seite von Lou fand in der weißen, konservativen Nachbarschaft so einiges, mit dem sie sich auseinander setzen konnte. Hyman erinnert sich, dass Lou alles um ihn herum hasste, obwohl er sich nach außen höflich verhielt. Dieser Hass konzentrierte sich insbesondere auf Allens Vater, der politisch rechts außen stand. „Der Grund, warum er meinen Vater überhaupt nicht mochte, war der, dass er in ihm den typischen republikanischen Anwalt sah. Politisch unterschiedliche Haltungen bei Menschen waren ihm schon ziemlich früh bewusst. Wir lebten in einer Zeit, die republikanisch und konservativ war, und dagegen rebellierte er. Ich konnte nicht begreifen, warum ihn das so sehr beunruhigte. Meinen Eltern gegenüber hat er sich aber immer respektvoll verhalten.“
Mr. Reed und Mr. Hyman hielten nicht viel von einer musikalischen Karriere ihrer Söhne. „Er war der Ansicht, dass sich da übles Gesindel herumtrieb, was ja auch stimmte“, erinnert sich Lou. „Die Angst der Erwachsenen vor der Rockmusik sagt mehr über die Paranoia und Unsicherheit der Fünfziger- und Sechzigerjahre aus als die Rockmusik selbst“, schreibt Richard Aquila in That Old Time Rock And Roll. „Dieselben Erwachsenen, die sich vor Ausländern fürchteten, weil der Kalte Krieg sich zuspitzte, und die die Rosenbergs und Alger Hiss als den letzten Beweis für die bedrohte innere Sicherheit betrachteten, sahen die Rockmusik als ausländische Musik an, die eine Bedrohung der amerikanischen Gesellschaft darstellte.“ Lewis kam durch seine Mittelstandserziehung in den Genuss aller möglichen Annehmlichkeiten, aber er verhielt sich so, als habe er keinerlei Beziehung zu den geltenden Wertmaßstäben des amerikanischen Vorstadtlebens. Einige seiner berühmtesten Songs, die eine Reaktion auf diese Wertmaßstäbe seiner Eltern darstellen, sprechen eine deutliche, verzweifelte Sprache, die ebenso für Millionen anderer Kinder gilt, die im Überfluss der wie betäubten Fünfzigerjahre des Nachkriegsamerika aufwuchsen.
Immer wieder wird Lou, in einem Versuch, sich selbst zu definieren, über seine Kindheit schreiben. Alles, was er jemals geschrieben hat, untersuchte die Kräfte, die auf seine Persönlichkeit einwirkten und sie formten. Tatsächlich handelte es sich bei Lou Reed um einen Songwriter, der sich seiner selbst sehr bewusst war. Sein einziges Thema war und ist er selbst. „Meine Eltern bringen uns noch alle ins Grab“, beklagt er sich in dem klassischen „Rock And Roll“. „Zwei Fernseher und zwei Cadillacs helfen da auch nicht weiter.“ Eine Freundin legt den Finger auf den wunden Punkt, wenn sie darauf hinweist, dass Lou ein besonderer Fall von Shpilkes war – ein Ausdruck aus dem Jiddischen, der seine widersprüchliche Persönlichkeit ausgezeichnet auf den Nenner bringt: „Eine Person mit Shpilkes kratzt sich nicht nur da, wo es ihn selbst juckt, sondern muss ihre Nase in alles stecken, unter jeden Deckel gucken. Wenn Lewis als Teenager in dein Haus gekommen wäre, hättest du gesagt: ‚O Gott, er hat aber wirklich Shpilkes. Er ist ja ganz niedlich, kuschelig und liebenswert, aber schafft ihn bitte raus, er stiftet nur Unheil, und ich wage nicht, ihn eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Er macht nur Ärger, er nervt mich entsetzlich, er ist wirklich die Pest.‘“ Lou zufolge hatte er niemals ein gutes Gefühl, was seine Eltern anbelangte. „Ich gab mir wirklich alle Mühe, um der ganzen Geschichte zu entfliehen“, sagte er, als er vierzig Jahre alt war. „Ich hatte damals keine Beziehung dazu und habe es auch jetzt noch nicht.“ Oder, wie er sich selbst in einem seiner Lieblingsgedichte von Delmore Schwartz sieht: „… Er saß da / auf der Fensterbank und war zehn Jahre alt / den ganzen Nachmittag, unglücklich, einsam und verzweifelt / allein, mit schweren Augen …“ Ein anderer Vorwurf, den Lou seinen hilflosen Eltern machte, war ihr elender Reichtum. Das war jedoch pure Erfindung. Wie gewöhnlich dramatisierte Lou die Situation. Während Lous Kindheit war das Gehalt seines Vaters nach amerikanischen Maßstäben eher bescheiden. Die genügsame Familie besaß ein Auto und lebte in einem einfach, aber geschmackvoll eingerichteten Haus, ohne jede Spur von Luxus oder anderen Zeichen von Verschwendung. Tatsache war, dass Ende der Fünfzigerjahre, mit den Gebühren für die Elektroschocktherapie, den Collegegebühren für Lou und den Kosten für Tochter Elizabeth, die inzwischen auch zehn Jahre alt geworden war, die Reeds ihre finanziellen Möglichkeiten voll ausgeschöpft hatten.
Das Jahr, in dem er sich der Elektroschocktherapie unterzog, 1959 bis zum Sommer 1960, war ein verlorenes Jahr für Lou. Von