Black or White. Hanspeter Künzler

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Black or White - Hanspeter Künzler

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nebenher eine kleine Baumwollfarm. Mit achtzehn Monaten wurde Katherine von der Kinderlähmung befallen, einer manchmal tödlichen Krankheit, gegen die es damals noch keinen Impfstoff gab. Auf der Suche nach besserer Arbeit zog die Familie 1934 in den Norden nach Chicago. Wenig später trennten sich die Eltern, die beiden Töchter blieben bei der Mutter Martha. Als Teenager verbrachte Katherine wegen der Spätfolgen der Kinderlähmung viel Zeit im Krankenhaus, was ihre Schulbildung erheblich beeinträchtigte. Dafür ging sie in der Musik auf. Sie spielte Klarinette und Klavier, war Mitglied im Schulchor und im Chor der lokalen Baptistengemeinde. Ausgerechnet der kontroverse und tragische Country & Western-Pionier Hank Williams war das Idol der gottesfürchtigen jungen Frau (später galt ihre Vorliebe dem rebellischen Willie Nelson). Mit siebzehn Jahren lernte sie auf einer Party den ein Jahr älteren und bereits verheirateten Joseph Walter Jackson kennen. Dieser – geboren am 26. Juli 1929 – war der Sohn eines autoritären High School-Lehrers mit zutiefst antisozialen Neigungen. So war es ihm und seinen vier Geschwistern strengstens verboten, sich außerhalb des Hauses mit Freunden zu tummeln. Als er ein Teenager geworden war, trennten sich die Eltern. Er wohnte zuerst beim Vater in Oakland, zog dann zur Mutter nach Chicago. Der Schule kehrte er frühzeitig den Rücken und verbrachte dafür umso mehr Zeit im Amateur-Boxring. Seine erste Ehe ging nach einem Jahr in die Brüche. Am 5. November 1949 fand die Hochzeit von Joseph Jackson und Katherine Scruse statt.

      Das frisch vermählte Paar ließ sich in Gary, Indiana, nieder, einer Satellitenstadt von Chicago am Lake Michigan, die in den frühen Jahren des Jahrhunderts von der United States Steel Corporation aufgebaut und nach dem damaligen Firmenpräsidenten Elbert H. Gary benannt worden war. Anfang der 50er Jahre hatte Gary rund 130 000 Einwohner. Der Großteil war in der Stahlindustrie tätig, die einerseits die Baufirmen von Chicago, andererseits die Automobilhersteller von Detroit belieferte. Seit beide Industrien in den 60er Jahren langsam, aber sicher in die Krise schlitterten, haben Arbeitslosigkeit und Gewalttätigkeit um sich gegriffen. Heute sind 85% der Bevölkerung afro-karibischer Abstammung, 20% sollen bewaffneten Gangs angehören, die Mordrate liegt 8,75-mal höher als der amerikanische Durchschnitt. Die Jacksons erlebten Gary noch in den besseren Tagen. Die schwarze Bevölkerung der Stadt entwickelte früh ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein und eine starke politische Tradition. 1967 wurde Richard G. Hatcher zum Bürgermeister gewählt – er gehörte zu den ersten schwarzen Bürgermeistern im amerikanischen Norden. Er hatte sich an der Seite Martin Luther Kings in der amerikanischen Civil Rights-Bewegung hervorgetan. 1972 fand unter der Regie Hatchers, des Politikers Charles Diggs und des militanten Dichters Imamu Amiri Baraka in Gary die National Black Political Convention statt, eine wegweisende überparteiliche Versammlung von mehreren tausend schwarzen Politikern und Civil-Rights-Kämpfern. 1984 leitete Hatcher die Präsidentschaftskandidatur des Reverend Jesse Jackson, ein Mann, der auch im Leben des Michael Jackson noch eine Rolle spielen sollte.

      Die Distanz zur Musikmetropole Chicago betrug nur fünfzig Kilometer. So florierte auch in Gary eine rege Musikszene. Auf der Suche nach Arbeit waren über die vergangenen Dekaden hinweg allerhand Blues-Musiker aus dem Mississippi-Delta in den Norden gewandert und hatten ihren Sound der hektischen urbanen Umgebung angepasst. Die traditionelle Mundharmonika wurde in Chicago nun über das Mikrophon gespielt, die akustische Gitarre elektrisch verstärkt oder gar durch eine elektrische Gitarre ersetzt. Bass, Drums, Klavier und manchmal das Saxophon prägten ebenfalls, den druckvollen neuen Chicago Blues. In der Stadt war auch das wegweisende Plattenlabel Chess Records beheimatet. Gegründet im Jahre 1950 von den Gebrüdern Chess, Phil und Leonard, erschien hier von Muddy Waters (dem „Vater des Chicago Blues“) über Howlin’ Wolf bis Willie Dixon und Little Walter alles, was im Blues Rang und Namen hatte und später die Rolling Stones und die Beatles so nachhaltig beeinflussen sollte. Bei Chess waren auch Chuck Berry aus St. Louis und der Lokalmatador Bo Diddley untergebracht, die, wenn es im Musikgeschäft fair zuginge und wenn ihre Hautfarbe eine Spur bleicher gewesen wäre, heute als Pioniere des Rock’n’Roll im gleichen Atemzug genannt würden wie Elvis und Bill Haley. Diverse Blues-Künstler lebten in den 50er Jahren in Gary, darunter Jimmy Reed und Albert King. Berühmter waren indessen The Spaniels, die erste Doo-Wop-Truppe, bei der sich der Leader – in ihrem Fall hieß er Pookie Hudson – an sein eigenes Mikrofon stellte, derweil sich seine Kollegen zu viert um das zweite scharten. Doo-Wop war eine vorab von schwarzen Stimmen gepflegte Mischform aus Gospel, Rhythm & Blues, Swing und Pop, deren kapitaler Einfluss auf die Entwicklung von Rock’n’Roll, Funk und Soul heute ebenfalls oft unterschätzt wird. Sie war in den 40er Jahren aus den Industriestädten des Nordostens und des Mittleren Westens erwachsen, schaffte aber erst in den 50er Jahren so richtig den Sprung in die Hitparade. Die Spannbreite des Stiles reichte von der schmalztriefenden Schnulze, die eher ein älteres Publikum entzückte, bis zum swingenden Rockabilly für die Strizzis an der Straßenecke. Vom Rock’n’Roll unterschied sich Doo-Wop vor allem durch die subtil arrangierten, gospelartigen Gesangsharmonien, die hier im Vordergrund standen. Auch gehörte es zum Doo-Wop, dass die Gruppen supercoole Anzüge trugen und kleine Tänzchen inszenierten, bei denen alle Mitglieder im Gleichtakt die gleichen Bewegungen ausführten. Diese bereiteten nicht nur Vergnügen, sie waren auch eine billige und dabei eindrückliche Art, wie man zeigen konnte, dass man etwas zustande brachte, auch wenn man keinen Cent in der Tasche hatte.

      The Spaniels hatten sich in der Roosevelt High School an der 25th Avenue in Gary formiert und gaben dort 1952 auch ihr Live-Debut – buchstäblich um die Ecke von der Adresse 2300 Jackson Street, wo sinniger-, aber zufälligerweise die junge Jackson-Familie wohnte. Anfang 1953 unterschrieb die Gruppe einen Vertrag beim soeben gegründeten, ebenfalls in Gary ansässigen Plattenlabel Vee-Jay. Es ist dies keine Nebensache: Vee-Jay war das erste größere unabhängige Plattenlabel in den USA, das ganz im Besitz von Schwarzen war: Es gehörte dem Ehepaar Vivian Carter und James C. Bracken, das in Gary einen Plattenladen führte. Mit „Baby It’s You“ landeten die Spaniels auf Anhieb in den Top 10 der Rhythm & Blues-Charts. Im Frühjahr 1954 gelang mit „Goodnite Sweetheart, Goodnite“ auch noch der Sprung in die Pop-Top-30. In der Folge gehörten zum Repertoire von Vee-Jay nebst Doo-Wop auch Blues (Jimmy Reed, John Lee Hooker, Gene Allison etc.), Soul (Jerry Butler) und die Beatles (Capitol Records, die amerikanische Abteilung von EMI, hatte sich geweigert, mit den frühen Singles der Schreihälse aus Liverpool ihren respektablen Ruf zu ruinieren!). Michael Jackson nannte früh den Doo-Wop-Sänger Frankie Lymon als großes Vorbild, und zwar im positiven wie im abschreckenden Sinn. Lymon war erst dreizehn Jahre alt, als er mit seiner Gruppe The Teenagers und der Nummer „Why Do Fools Fall In Love“ in der Hitparade landete. Er zeigte also, dass eine junge Stimme nicht unbedingt Lieder mit Kinderthemen anstimmen musste, um Erfolg zu haben. Andererseits konnte Lymon mit dem Erfolg nicht umgehen. Er war erst 25 Jahre alt, aber bereits zum dritten Mal verheiratet, als er im Februar 1968 in Harlem, New York, an einer Überdosis Heroin verstarb.

      Joe und Katherine Jackson verfolgten die popmusikalischen Entwicklungen so gut es eben ging mit ihren bescheidenen Mitteln. Das Paar hatte alle Hände voll zu tun damit, die rasant anwachsende Familie über die Runden zu bringen. Am 29. Mai 1950 kam die erste Tochter zur Welt – Maureen, alias Rebbie. Es folgten Sigmund Esco (genannt Jackie, 4. Mai 1951), Tariano Adaryl (Tito, 15. Oktober 1953), Jermaine LaJuane (11. Dezember 1954), LaToya Yvonne (29. Mai 1956), Marlon David (12. März 1957; ein Zwillingsbruder verstarb am Tag nach der Geburt), Michael (29. August 1958), Steven Randall (29. Oktober 1961) und schließlich noch Nesthäkchen Janet Dameta (16. Mai 1966). Joe verdiente sein Brot als Kranführer in den Stahlwerken und nahm zusätzlich Gelegenheitsjobs auf den Kartoffelfeldern und als Schweißer an. Wenn das Geld besonders knapp wurde, arbeitete Katherine im Kaufhaus Sears. Die Musik war eine Passion, mit der Joe und Katherine auch gewisse Hoffnungen verbanden. Katherine träumte davon, Sängerin zu werden. Joe formierte mit seinem Bruder Luther die Rhythm & Blues-Band The Falcons, um mit Auftritten in Lokalbars ein paar zusätzliche Cents in die Haushaltskasse zu bringen – und danach, wer weiß?

      Zu ihrem Programm gehörten die druckvolleren Rhythm & Blues-Hits von Chuck Berry und Little Richard (was angesichts von Joes kapitaler Homophobie nicht einer gewissen Ironie entbehrt). Aber die Band war offenbar nicht imstande, das Interesse von Plattenlabels zu erwecken oder sich einen überregionalen Ruf zu schaffen. Wann genau Jackson die Falcons aufgab, ist unklar. Seine Söhne Jackie, Tito und Jermaine können sich alle noch daran

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