Black or White. Hanspeter Künzler
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Nie wird Michael Jackson müde, die Vorzüge seiner Mutter Katherine zu preisen. „Es ist eine alte Story“, heißt es in „Moonwalk“: „Jedes Kind glaubt, seine Mutter sei die beste Mutter auf der ganzen Welt. Wir Jacksons haben dieses Gefühl nie verloren. Wenn ich an die Güte, Wärme und Aufmerksamkeit von Katherine denke, kann ich mir nicht vorstellen, was es heißt, ohne die Liebe einer Mutter aufwachsen zu müssen.“ Katherine scheint die Gewalttätigkeit ihres Ehemannes mit erstaunlichem Gleichmut hingenommen zu haben – zumal Joseph sie selber mehr oder weniger in Frieden ließ nach einer frühen Episode, in der sie angedroht hatte, ihn zu verlassen. Auch scheint der Mann eine Art Dr. Jekyll/Mr. Hyde-Figur gewesen zu sein, die insbesondere im Umgang mit Frauen, die ihm gefielen – und dazu gehörte durch dick und dünn auch Katherine – mächtig den Charme aufdrehen konnte.
Katherine verfügte über starke religiöse Überzeugungen und wollte schon deswegen keine Trennung oder gar eine Veränderung in den viktorianischen Machtverhältnissen in ihrem Haushalt. So ist es bezeichnend, dass sie sich 1963 während einer Zeremonie in der Roosevelt High School zur Zeugin Jehovas taufen ließ. Die Sekte versteht sich als Gottes Organisation auf Erden und glaubt, der Mann sei durch göttliche Anordnung zum Oberhaupt der Familie bestimmt und als solches für alle Beschlüsse zuständig. Zuvor hatte Katherine den Baptisten, dann der lutheranischen Kirche angehört – aus beiden war sie ausgetreten, weil sie herausgefunden hatte, dass ihre Pfarrer außereheliche Affären hatten. Rebbie, LaToya und vor allem Michael waren die einzigen Sprösslinge, die in der Folge gern mit der Mutter am Sonntag die Gottesdienste in der örtlichen „Kingdom Hall“ besuchten – Joe und den anderen waren die Predigten zu langweilig. Die Zeugen Jehovas sind überzeugt, alle Aspekte ihres Glaubens aus Bibelzitaten herleiten zu können. Außerehelicher Geschlechtsverkehr ist ebenso strikt verboten wie Masturbation, Homosexualität, Alkohol, Tabak und andere Drogen. Verboten ist auch Götzenverehrung – es bedeutet, dass Jehovas Zeugen keine Flagge grüßen. Im neunzehnten Jahrhundert vermochte die Sekte einigen Einfluss auf gewisse Formulierungen in der amerikanischen Verfassung auszuüben, nicht zuletzt im Zusammenhang von Militärdienst und Gewissensfragen; Zeugen Jehovas sind seither von der Militärpflicht befreit. Konsequente Zeugen Jehovas verweigern jegliche Form von Bluttransfusion. In den Augen der Zeugen Jehovas wird die Welt derzeit von Satan regiert, der schon Adam und Eva mit seiner Schlauheit auf Abwege geführt hat. Bald aber werde die Erde durch einen von Gott geführten Weltkrieg und der alles entscheidenden Schlacht von Armageddon von ihrem Joch befreit. Exakt 144 000 Auserwählte – ausschließlich Zeugen Jehovas – würden danach im Himmel an der Seite Gottes Gutes leisten. Eine zweite Klasse von Glaubenden werde auf Erden paradiesische Zustände ohne Krankheiten, Gebrechen und anderes Elend erleben. Die Vorstellung eines solchen spirituellen Schlaraffenlandes ist nicht so weit entfernt von der Geschichte von Peter Pan, dem Knaben, der sich weigert, aufzuwachsen, und in seinem Neverland auf ewige Zeiten kindlichen Abenteuern nachhängt. Sie wird auf den fünfjährigen Michael Jackson mächtig Eindruck gemacht haben, so, wie sich jedes Kind in dem Alter von „großen“ Storys packen lässt.
Im Gegensatz zu seinen älteren Geschwistern, die doch schon auf einige Erfahrung im Umgang mit anderen Kindern und Lebenshaltungen zurückblicken konnten, war seine Welt zu dem Zeitpunkt fast ausschließlich auf die vier Wände des Bungalows an der 2300 Jackson Street beschränkt gewesen. Es erfordert keinen großen Gedankensprung, sich vorzustellen, wie intensiv Klein Michael, für den die Mutter alles bedeutete, dem Weltbild der Zeugen Jehovas Glauben schenken wollte. Wie verquer Michaels Verhältnis zu seiner Umwelt zu diesem Zeitpunkt war, zeigt eine Anekdote aus seinen Memoiren. Am Ende des Schuljahres, so erzählt er, hätten die Lehrerinnen geweint, wenn sie von ihm Abschied nehmen mussten. Die Zuneigung dieser Lehrerinnen war ihm derart wichtig, dass er ihnen zum Geschenk Schmuckstücke brachte, die er aus der Schatulle von Katherine stibitzt hatte: „Dass ich diesen Drang verspürte, ihnen etwas zurückzugeben für all das, was ich von ihnen erhalten hatte, zeigt wie sehr ich sie und die Schule liebte.“
Es ist eine bemerkenswerte Eigentümlichkeit der Popgeschichte, dass es sich bei zwei Gruppen, welche auf quasi archetypische Weise die Hoffnungen und Möglichkeiten des „American Dream“ verkörpern, um Familientruppen handelte, die von brutalen Vätern regelrecht zum Erfolg geprügelt wurden. Denn so, wie Joseph Jackson in Gary, Indiana, Anfang der 60er Jahre mit dem Gürtel auf seine Söhne eindrosch, wenn diese den rechten Ton nicht erwischten, kannte Murry Wilson in Hawthorne, Kalifornien, in den 50ern keine Gnade, wenn seine Söhne, die späteren Beach Boys, nicht spurten. Beide Väter meinten, nur das Beste zu wollen für ihre Söhne, und konnten später auf eine stolze Hitparadenbilanz verweisen, wenn jemand ihre Verdienste anzweifelte.
Beide Väter fügten aber den begabtesten Talenten in ihrer Familie bleibenden Schaden zu. Im Falle von Brian Wilson waren es nicht nur psychische Schäden, sondern auch physische: Mit sechs Jahren wurde er von Murry dermaßen verprügelt, dass er auf seinem rechten Ohr praktisch taub wurde und so nie die Stereoeffekte seiner Produktionen genießen konnte. Vater Jackson fügte keinem seiner Söhne einen bleibenden körperlichen Schaden zu, aber das war eher Glücksache. Marlon Jackson erinnert sich an eine besonders traumatische Episode, in der Joseph den dreijährigen Michael am Fußgelenk in der Luft zappeln ließ, um mit der freien Hand endlos auf ihn einzuschlagen. Als der Vater Michael endlich gehen ließ, habe dieser geschrieen „I hate you!“ – worauf er gleich noch mal drangekommen sei, noch härter und noch länger. Ein anderes Mal sperrte Joseph den aufmüpfigen Michael stundenlang in einen Schrank. Am häufigsten sei Marlon drangekommen, erklärte ein von der Erinnerung immer noch über den Rand der Selbstbeherrschung hinausgetriebener Michael in „Living With Michael Jackson“, dem Dokumentarfilm von Martin Bashir: „Mir ging es nicht so schlecht“, sagte Michael dort, „denn ich wurde von Joseph als Exempel hingestellt.“ Ihm sei es leichter gefallen als den anderen, die Töne zu erwischen und die Tanzschritte auszuführen. „Aber Marlon, der Arme, der kam am häufigsten dran. Er gab sich ja solche Mühe, wahnsinnige Mühe. Und immer wieder sagte Joseph: „Mach’s wie Michael!“ Und wenn er es nicht schaffte, kam der Gürtel. Es war hart. So hart!“
Genau wie Murry Wilson warf auch Joseph Jackson seine Söhne im Zorn einfach gegen die Wand. Und ebenfalls wie Wilson gefiel er sich darin, den Kindern einen Schreck einzujagen: Während Wilson beim Essen unerwartet sein Glasauge aus der Höhle entfernte, um eine grausige Fratze in die Runde zu werfen, zog sich Joseph eine Monstermaske über den Kopf, kletterte mitten in der Nacht ins Zimmer der Kinder und brüllte ihnen so laut es ging ins Ohr: eine Lektion, das Fenster nicht offen zu lassen, nannte er das. Seit den frühen 80er Jahren kam Michael Jackson bei jedem seiner raren Interviews früher oder später auf die Brutalität des Vaters zu sprechen. Im Jahr 2002 stellte der britische Journalist Louis Theroux auch Joseph Jackson (der ihm für das kurze Gespräch $ 5000 abgeknöpft hatte) einige Fragen zu dem Thema. „Was denken Sie, wenn Michael sagt, er habe dermaßen Angst gehabt vor Ihnen, dass er sich manchmal erbrechen musste, wenn er Sie kommen hörte?“, fragte Theroux. „Soll er doch – auf dem ganzen Weg zur Bank!“, kam die Antwort. „Michael sagt, Sie hätten ihn mit Ruten und Gürteln geschlagen …“, fuhr Theroux weiter. Jackson brauste auf: „Geschlagen habe ich ihn nie mit Rute und Gürtel! Gepeitscht habe ich ihn damit! Schlagen tut man jemanden mit einem Stock, nicht doch mit Rute und Gürtel!“ (zu sehen im Dokumentarfilm „Louis, Martin & Michael“). Joseph Jackson und Murry Wilson teilen noch eine weitere Eigenschaft: Beide waren sie einst Musiker gewesen, deren Hoffnungen auf Karriere und