Arkadiertod. Thomas L. Viernau
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In den Folianten waren jede Menge Briefe, die das kaiserliche Wappen im Kopfbogen führten. Korrespondenz zwischen dem Kaiserhaus und diversen Dienststellen in Potsdam und anderen preußischen Städten. Es ging um Gelder, die wohl dem Kaiserhaus zugesagt worden waren und noch nicht bei den zugehörigen Amtsstellen eingetroffen waren.
Kieselblatt oblag die Koordinierung der Finanzen dieser großangelegten Geldsammlung. Wozu das Kaiserhaus die Gelder benötigte, ging aus der Korrespondenz nicht hervor.
Neben den Briefen waren in den Folianten noch zahlreiche Rechnungen aufgelistet. Verwirrende Ausgaben, die getätigt wurden: Kupferblech, Bandstahl, zahlreiche Werkzeuge, Transportrechnungen für diverse Güterwagenladungen, Lohnabrechnungen für Handwerker, alles in schönster Sütterlin-Schrift fein säuberlich aufgelistet.
Am interessantesten waren jedoch die Papiere im dritten Folianten. Die waren deutlich älter, stammten wahrscheinlich aus der Zeit der französischen Okkupation während der Napoleonischen Kriege vom Anfang des 19. Jahrhunderts. Dicke Kladden, eng beschrieben mit einer schwungvollen Schreibschrift, alles jedoch in Französisch. Scholetzki war sichtlich elektrisiert von diesen schwarzen Kladden. Es handelte sich offenbar um Gerichtsakten eines französischen Militärgerichts, das kurz nach der Eroberung Preußens durch Napoleon tagte.
Der Historiker ärgerte sich wieder einmal, während seiner Schulzeit kein Französisch gelernt zu haben. Er hatte die Möglichkeit, diese Sprache fakultativ zu erlernen, aber das war ihm damals zu anstrengend, zumal er mit Russisch und Englisch schon genug ausgelastet war.
Aber er wusste, dass seine Assistentin, Fräulein Seidelbast vorzüglich Französisch sprach. Sie hatte sich in ihrem Studium intensiv mit der Sprache beschäftigen müssen. Die Brüder Grimm pflegten vielseitige Kontakte zu französischen Gelehrten. Um ihren Schriftwechsel zu lesen, brauchte sie eben auch Französisch.
Scholetzki klaubte sein Handy aus der Jackentasche. Leider ging nur der Anrufbeantworter an. Ärgerlich schnaufend sprach er einen kurzen Text aufs Band.
Dann kraulte er dem Kater Oblomow noch ein bisschen das Fell hinter den Ohren. Der fing auch sofort zu schnurren an. Ein Geräusch, das Scholetzki zutiefst mochte. Sofort entspannte er sich und genoss die vorweihnachtliche Stille. Die Häuser waren mit Lichterketten, Leuchtsternen und illuminierten Weihnachtsbäumen festlich geschmückt. Am Vorabend zum Weihnachtsfest war vom Verkehr kaum noch etwas zu spüren.
Der Himmel klarte auf. Die dunkelgrauen Wolken verzogen sich und am Firmament leuchteten ein paar Sterne. Scholetzki blickte nach oben, nickte dem Kater zu und setzte sich nach ziemlich genau fünf Minuten Sternegucken in Bewegung.
Der Abstieg vom Hügel war im Dunkeln nicht ganz so einfach. Glitschig war der Weg und Unebenheiten konnten zu bösen Stolperfallen werden. Oblomow schnürte neben seinem Herrchen den Hügel hinab. Ihm war kalt und in seinem Fressnapf wartete ein zartes Lammragout mit feinem Gelee.
Noch bevor der Morgen dem Heut‘ reicht die Hand,
wirst du betrauern deiner Krone welke Blüte.
Qi Bai Xi 1930
II
Petzow am Schwielowsee
Sonntag, 24. Dezember 2006
Heiligabend! Scholetzki schlief sich aus. Gestern war er erst spät nach Mitternacht ins Bett getorkelt. Die Kieselblatt-Akten beschäftigten ihn. Er war auf ein erstaunliches Dokument gestoßen. Es ging um den Ankauf einer Statue für den Park Sanssouci.
Scholetzki kannte dieses Kunstwerk, alle kannten dieses Kunstwerk, es stand an exponierter Stelle im Park, direkt auf der großen Wiese vor der Orangerie. Der Grüne Bogenschütze war von der Kaiserfamilie als Großstatue in Auftrag gegeben worden.
Kieselblatt oblag es, den ganzen Kauf von Auftragserteilung bis zur Aufstellung der Statue im Park zu überwachen und zu organisieren. Was nun die eng beschriebenen Kladden aus der Napoleonschen Besatzungszeit mit der Aufstellung der Statue zu tun hatten, war ihm rätselhaft. Aber es musste da wohl einen Zusammenhang geben, denn Kieselblatt hatte die Kladden aufbewahrt.
Scholetzkis Kater Oblomow machte sich bemerkbar. Er hatte Hunger. Eine kleine Assiette mit feinstem Kaninchenragout wanderte aus Scholetzkis Küchenschrank in Oblomows Fressnapf. Dazu gab es noch Streicheleinheiten, die von dem Prachtstück gnädig akzeptiert wurden.
Gerade als Scholetzki darüber nachdachte, einen Morgentee zu sich zu nehmen, meldete sich sein Handy.
Fräulein Seidelbast hatte die Nachricht auf dem Anrufbeantworter abgehört und meldete sich.
Ja, natürlich würde sie helfen, gern sogar. Wann? Ja, eigentlich …
Also heute wäre zwar Heiligabend, aber so richtig hätte sie ja nichts vor. Ihre Nichten würden erst am ersten Feiertag, also, wenn er nichts dagegen hätte …
Scholetzki hatte nichts dagegen.
Ob sie so gegen Mittag …? Er würde auch ein kleines Menü vorbereiten, also, immerhin, es wäre ja schließlich Heiligabend …
In seiner Tiefkühltruhe hatte er noch ein paar Entenkeulen. Rotkohl und Grünkohl waren in seinem wohlgefüllten Konservenlager und Klöße traute er sich ebenfalls zu. Scholetzki schaute auf die Uhr. Beruhigend. Es war erst Neun Uhr. Genug Zeit zum Zaubern.
Scholetzkis Wohnung war in einer Doppelhaushälfte untergebracht. Alle Wände waren mit Bücherregalen vollgestellt. Seine Leidenschaft fürs Papier war auch im Privaten unverkennbar.
Allerdings waren die Schätze seiner Privatsammlung klassische Romane und moderne Erzählungen. Scholetzki war ein Literaturbesessener. Er mochte die russischen Klassiker, Tolstoi, Lermontow, Dostojewski; hatte ein Faible für moderne Amerikaner, Fitzgerald, Steinbeck, Baldwin, sammelte mit Leidenschaft Erstausgaben der Weimaraner Klassik und der schwarzen Romantik. Zu den Raritäten seiner Sammlung gehörten chinesische Tuschmalereien. Gleich nach der Wende hatte er sich einen Traum erfüllt und war auf eine vierwöchige Studienreise durch das Reich der Mitte aufgebrochen. Diese Reise beeindruckte ihn tief. Nachdem er wieder zurückgekommen war, begann er sich für chinesische Holzschnitte und Tuschmalereien zu interessieren. Er begann anfangs wahllos alles zu sammeln, was er bekommen konnte.
Je mehr er sich mit dieser so fremden, eleganten Kunst beschäftigte, desto mehr entdeckte er seine Leidenschaft für die filigranen Meisterwerke des Altmeisters der chinesischen Moderne, Qi Bai Xi.
Scholetzki griff ein dünnes Büchlein mit den für den Meister so typischen Bildern der kleinen, alltäglichen Dinge: Küken, Libellen, Garnelen, Krabben, Früchte … Jedes ein perfekt komponiertes Bild, der Pinselstrich dennoch federleicht, fast zufällig, um in flüchtigen Schwüngen und Linien zu einer solchen Meisterschaft zu führen, die nur ihm eigen war.
Lächelnd blätterte er in dem dünnen Büchlein. Jede Seite ein Fest für die Augen. Sorgsam packte er das Büchlein in Weihnachtspapier, holte eine schöne grüne Teedose hervor, die mit einem großen chinesischen Schriftzeichen verziert war. Beides verstaute er in einer bunten Weihnachtstüte.
Dann wandte er sich dem Festessen zu.
III