Depeche Mode - Die Biografie. Steve Malins
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Clarke, 1961 in Woodford geboren, war damals Mitglied des Kirchenchors und lernte in der zur Kirche gehörenden Boys’ Brigade einen weiteren Schüler von Saint Nicholas kennen, den schon erwähnten Andrew „Fletch“ Fletcher. Fletch, ebenfalls 1961 geboren, war noch ein Kind, als sein Vater, ein Ingenieur, und seine Mutter mit seinem Bruder und seinen beiden Schwestern nach Basildon zogen. Mit acht Jahren trat er der Kirchenjugend bei, und er behauptet, er sei an sieben Abenden der Woche zur Kirche gegangen – „genauso wie Vince“, erinnert sich Fletcher Jahre später. „Der war ein richtiger Bibelfanatiker.“
Clarke war ein Einzelgänger und introvertierter Typ, während sein aggressiver Freund gern auf andere Menschen zuging, Fußball spielte und ein totaler Fan von Chelsea war, Londons in den späten Sechzigerjahren angesagtestem Fußballverein. Perry Bamonte erinnert sich zwar an Fletcher als ein recht fröhliches Kind; der junge Kirchgänger allerdings bemerkte dazu: „Ich war ein unverbesserlicher Pessimist, der nie die hellere Seite des Lebens sah. Ewig las ich Geschichtsbücher, und ich war damals felsenfest überzeugt, dass ich einmal Lehrer werden würde.“
Bamonte kann sich nicht erinnern, dass Fletcher sich in der Schule besonders für Musik interessierte: „Ich nehme an, dass sie ihm wohl etwas bedeutete, aber erkennbar war das nicht.“ Clarke jedoch, der in der Gesamtschule angefangen hatte, Oboe zu spielen, war vierzehn Jahre alt, als er die Popmusik – natürlich nicht die der harten, radikalen Art – entdeckte: „Es waren Simon & Garfunkel, glaube ich, deren Musik ich zu Beginn am liebsten hörte. Die haben mich wirklich beeindruckt, ich fand sie fantastisch. Deshalb fing ich an, akustische Gitarre zu lernen. Ich gründete mit ein paar Freunden eine Gospel-Folk-Gruppe, und wir beteiligten uns an einem Talentwettbewerb. In diesem Alter glaubt man ja wirklich, das Gelbe vom Ei zu sein, und eine Gitarre brauche man nur anzufassen, um schöne Klänge hervorzubringen, sodass wir uns einbildeten, brillant zu sein. Dann sitzt man da und plant schon im Voraus, was man sich alles kaufen wird, wenn man erst einmal berühmt ist – und all das nur wegen einer Talentshow. Aber wir waren schauderhaft und landeten abgeschlagen auf den Plätzen.“
Als Punk in Basildon Einzug hielt, zogen sich Clarke und Fletcher zu ihrer Sammlung von Beatles- und Eagles-Alben zurück und gründeten 1977 das Duo No Romance In China. Diese „Band“ bestand aus Clarke als Gitarristen und Sänger und aus Fletcher als Bassisten, der, wie Clarke es beschreibt, auch „eine jener Autorhythm-Beatboxen von Selmer mit den Tack-tack-tack-Geräuschen bediente, die man zu Hause auf sein Keyboard stellt“. Zu Beginn spielten sie zu den Klängen ihrer Lieblingsplatten wie „I Like It“ von Gerry and The Pacemakers, „The Price Of Love“ von den Everly Brothers und „Then He Kissed Me“ von den Crystals, produziert von Phil Spector.
Etwa ein Jahr danach hatte sich der Geschmack der beiden verdüstert, und Clarke war kurioserweise ein großer Fan der Postpunkband The Cure geworden. Perry Bamonte sah sich ihren ersten „Auftritt“ im Double Six, einem Pub in Basildon, an. Das Duo spielte drei Songs, einer davon war „Three Imaginary Boys“ von The Cure. Kurz nach dem Austritt des siebzehnjährigen Fletcher aus der Kirchenjugend sah ein Freund der beiden das Duo bei einem seiner seltenen Auftritte im Jugendklub von Woodlands vor einer Gruppe von vierzehnjährigen Kids musizieren.
Nach zwei Jahren lösten sich No Romance In China auf, und Fletcher ging abends meistens mit seiner neuen Freundin Grainne aus. Clarke gründete für kurze Zeit eine neue Gruppe, The Plan, zusammen mit dem stets einsatzfreudigen Perry Bamonte, der sein Leben lang von einer Band zur anderen wechselte. Clarke indessen wollte nicht immer nur im Hintergrund stehen und lieber alle Fäden in der Hand halten, weshalb er die Gruppe wieder verließ.
Er kam wieder auf Fletcher zurück, und zusammen mit Martin Gore gründeten sie eine weitere Band: Composition of Sound. Fletcher wurde zwangsweise dazu verdonnert, den Bass zu spielen, und er musste sich von seiner Bank einen Kredit von neunzig Pfund für den Kauf des Instruments holen, während die beiden anderen zunächst nur ihre Gitarren spielten. Als Clarke dann aber neue Songs schrieb, wechselten er und Gore zu einfachen Synthesizern von Moog und Yamaha über. Einige Monate später musste sich dann auch Fletcher einen Synthie kaufen, und damit wurden Composition of Sound zur vollelektronischen Band.
„Nach Punk wandten wir alle uns Gruppen wie Kraftwerk und A Certain Ratio zu“, entsinnt sich Perrys kleiner Bruder Daryl, der drei Jahre jünger ist als Fletch, Clarke und Gore. „Ich empfand die Electronic-/Futurismusszene, etwa die frühen Human League, als ziemlich schmutzig und undergroundmäßig“, sagt Daryl. Er kümmerte sich zum Dank dafür, dass die Band ihn in ihrem Kombi durch Basildon kutschierte, wenn er Zeitungen austragen musste, um ihr Equipment. „‚Being Boiled‘ von Human League war ein bisschen Avantgarde und klang recht hart. Ich mochte das Zeug von Some Bizzare und Gary Numan gern. Das war eine dunklere Art von Musik als die übliche Hitparadensoße.“
Gary Numan war 1979 als geheimnisvoller, wasserstoffblond gebleichter Rädelsführer der Gruppe Tubeway Army aufgetaucht, der mit dem dürren, außerirdisch wirkenden Song „Are ‚Friends‘ Electric?“ Platz 1 der UK-Charts erklomm. In den Siebzigerjahren hatte es einige ausgefallene Hits von elektronischen Bands gegeben; am erfolgreichsten davon die Single „Autobahn“ von Kraftwerk, die 1975 Platz 11 der UK-Charts erreichte. Numan aber festigte seinen Platz als erster großer Star des Synthie-Pop, als er die nächste Single, „Cars“, unter seinem eigenen Namen veröffentlichte, die dann ebenfalls die Poleposition der UK-Charts schaffte. In den folgenden drei Jahren hatte Numan fünf Alben in den Top 3 der britischen Charts, und er erreichte sogar die Top 10 in den USA. Die eher flüchtige, aber dennoch bemerkenswerte Bedeutung von Gary Numan für Clarke, Gore und Fletcher war die Erkenntnis, dass man auch als einundzwanzigjähriger Expunk und Nichtmusiker mit Synthesizermusik an die Spitze der Charts gelangen kann.
„Mein einziges musikalisches Talent besteht im Arrangieren von Geräuschen“, gab der Kommandant der Tubeway Army zu. „Gitarre konnte ich sowieso nicht gut spielen, und der Synthie ließ sich kinderleicht bedienen.“ Gore hatte in etwa dieselbe Einstellung: „Für uns war der Synthesizer ein Punkinstrument, eine Art Do-it-yourself-Sofortwerkzeug. Ohne es zu wissen, begannen wir, etwas ganz Neues zu tun. Wir hatten uns für diese Instrumente entschieden, weil sie praktisch waren. Man konnte sich einen Synthesizer unter den Arm klemmen und zu einem Gig gehen. Dafür brauchte man keinen Verstärker, also brauchten wir auch keinen Kombiwagen. Bald fuhren wir mit der Bahn zu unseren Gigs.“ In den folgenden Monaten eiferten Composition of Sound einer Reihe von mehr weltlichen, an der Kunstszene orientierten Electronic-Pop-Bands wie Soft Cell und Human League nach, die im Kielwasser des krassen Futurismus von Tubeway Army die Charts aufrollten.
Mittlerweile hatte sich Gore auch noch einer anderen lokalen Band angeschlossen, The French Look. Chef dieser Gruppe war Rob Marlow, ein ziemlich bekannter Typ in der Szene von Basildon. (Als einer von Clarkes besten Freunden war er später auch auf dessen Label.) Freunde haben ihn als „ein bisschen wie Gary Numan“ in Erinnerung, „weil er immer der Frontman war, Keyboards, Gitarre und alles andere gleichzeitig spielen wollte“. Bei The French Look bediente Gore im Hintergrund die Keyboards; ein bulliger Typ namens Paul Redman war dazugestoßen, weil er zwei Synthesizer besaß und kräftig genug war, diese herumzuschleppen.
Jeder kannte jeden, nur ein Typ war weniger bekannt. Er mixte bei einer Probe von The French Look in der Woodlands-Schule den Sound – ein magerer Expunk namens Dave Gahan. Auf ihn wurde Vince Clarke eines Tages aufmerksam, als The French Look probten und Gahan anfing, bei David Bowies „Heroes“ mitzusingen. Es war zwar nur eine Jamsession, aber Clarke, der nur äußerst ungern ganz vorn stand, dachte: „Der ist in Ordnung, vielleicht sollten wir ihn in die Band aufnehmen.“ Gahan sang niemals für Composition of Sound zur Probe, er konnte einfach mitmachen, falls er Lust dazu hatte. Clarke lud ihn ein, sich die Band bei einem Auftritt in Scamps, Southend, einmal anzusehen, wo die School Bullies, eine der Gruppen von Perry Bamonte, als Headliner spielten.
Der Auftritt von Composition of Sound fing nicht gerade gut an, weil Fletcher, dem man linkische Bewegungen