Frühlingstochter. Isolde Kakoschky
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Stefanie beobachtete am Nachbartisch eine junge Familie mit einem kleinen Mädchen, das munter plappernd zwischen dem Spielplatz und ihren Eltern hin und her sprang.
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht und plötzlich war ihr, als wäre sie aus der Zeit gefallen. Sie sah sich selbst als Fünfjährige, die ständig zwischen dem Spielplatz und ihren Eltern hin und her rannte, um ihnen ja auch alles zu berichten, was dort geschah, ob die Schaukel quietschte oder die Wippe ruckelte oder ob ein Kind das andere geschubst hatte. Es war »ihr« Spielplatz, direkt vor der Gaststätte, die ihre Eltern für die HO, die Handelsorganisation der DDR, betrieben. Ihre kleine Welt war ein Paradies. Im Sommer duftete es nach Wald, Beeren und Pilzen. In ihrer Erinnerung schien irgendwie immer die Sonne. Im Winter lag wunderbar weißer Schnee, dann ging sie mit den anderen Kindern zum Rodelhang. Später lernte sie Skifahren im Winter und Fahrradfahren im Sommer. Mutti und Vati lasen ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Sie waren nicht mehr ganz jung gewesen, als Stefanie zur Welt kam, und so blieb sie auch ein Einzelkind, über alles geliebt und verwöhnt. Stefanie war ihnen so unendlich dankbar für diese wundervolle, glückliche Kindheit.
Schon früh fand sie Spaß an der Arbeit in der Gaststätte und half gerne ihren Eltern aus. Mit zehn konnte sie bereits eine Festtafel perfekt eindecken. Ihr Berufswunsch stand fest, solange sie darüber nachdachte.
Als sie vierzehn war, fiel in Berlin die Mauer und wenig später hinter ihrem Wald der Stacheldrahtzaun. Plötzlich mochte niemand mehr ein Jägerschnitzel aus leckerer Wurst essen. Die Menschen wollten nur noch in den Westen fahren und die HO die Gaststätte schließen. Ihre Eltern, nun schon um die fünfzig, nahmen allen Mut zusammen und einen Kredit auf, um ihr Lebenswerk, wie es der Vater gerne nannte, zu kaufen. »Dann hat unser Mädchen etwas Eigenes!«, hörte sie die Eltern zum Berater der Bank sagen.
Mit Feuerwerk und vielen Reden war inzwischen aus zwei Ländern wieder eins geworden und Stefanie begann eine Hotel-Lehre in Bayern. So oft sie konnte, fuhr sie heim, in ihr kleines Paradies, das mit der neuen Zeit Risse bekam. Ihr Spielplatz wurde gesperrt und musste später abgebaut werden, weil ihm der TÜV die Sicherheit nicht mehr bestätigte. Generationen von Kindern hatten hier getobt, nun war er also unsicher. Unsicher wie die ganze neue Zeit. Ach, hätte der TÜV doch lieber das Auto ihrer Eltern genauer geprüft!
Eine Träne bahnte sich den Weg aus Stefanies Augen und rann über ihre Wange. Sie spürte die sanfte Berührung von Marcos Hand und sah ihn dankbar an.
»Hast du an deine Eltern gedacht?«
Stefanie nickte. Jetzt war hier ihr Paradies. Hier, wo
Marco war. Ohne ihn, wer weiß…
»Ja, an meine Eltern. Sie hat mich dran erinnert.« Sie deutete auf das kleine Mädchen, das immer noch munter durch die Gegend hopste.
»… und an meine Mutter«, sagte sie leise mehr zu sich selbst.
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