Die Göttinnen. Heinrich Mann
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"Der Kardinal," sagte die Blà, "er war immer nur ein Frauchen, wie seine Freundin sich ausdrückt. In den Duetten der beiden hat die Cucuru die Männerstimme gehabt. Jetzt ist ausgesungen, er hat sich den Vergewaltigungen durch ihr hartes Organ entzogen. Einzig seine Leidenschaft für teures altes Gerümpel war imstande, ihm dazu Kraft zu verleihen. Nun genießt er seine Selbständigkeit und gibt, mit dem Eigensinn der Schwachen, der alten Freundin nicht einmal das, was er ihr anständigerweise geben müsste."
"Also ein einfacher Egoist?"
"Kein einfacher: ein feiner, der unter Umstanden auch fähig wäre, Gutes zu tun, bloß aus Neugier, und ohne an das Gute zu glauben. Wenn man seine weibliche Neugier kitzelte, so könnte er vielleicht sogar Teilnahme fassen für den Freiheitskampf der Völker!"
"Aber die Freiheit lieben…?"
"Niemals. Sie wird ihm so gleichgültig bleiben wie die Frage, ob es in zwanzig Jahren noch Kirchenfürsten geben wird. Es genügt ihm, dass er selbst einer ist."
"Dieser alte Mann ist unheimlich eisig. Gehört er nicht zu den böhmischen Burnsheimb?"
"Er stammt von säbelrasselnden Draufgängern mit Stallduft, vor denen er sich verstecken musste in seiner Zartheit und Geistigkeit. Ich kann mir es denken, als Jüngling hat er viel geheuchelt, ist scheu geworden und krankhaft eigensüchtig. Das geistliche Gewand nahm er bloß, weil das in jener Umgebung für ein Wesen wie das seinige die einzige Art war, um anerkannt zu werden. Der neue Papst hat ihn recht gern, sie helfen einander beim Dichten von lateinischen Oden auf den Segen der Taubheit oder Episteln über die Bereitung von Radichiosalat. Haben Sie bemerkt, Frau Herzogin, wie er seine Medaillen und Gemmen anschaut? Mit tief beunruhigter Liebe, nicht wahr, und fast mit Neid."
"Mit Neid?"
"Weil sie ihn überleben werden."
Nach einer Pause setzte die Blà, etwas leiser, hinzu:
"Schließlich ist er von uns allen, die heute Abend beisammen waren, doch vielleicht der einzige, den man glücklich nennen kann."
"Sie vergessen Vinon Cucuru?" meinte die Herzogin.
"O, Vinon: ein Mädel, ahnungslos und hochgemut. Bei Tische, in der Pension zu sechs Lire, wo die fürstliche Familie Cucuru der Reklame wegen für fünf Lire wohnen darf, macht sie sich lustig über die Deutschen."
"Aber San Bacco?"
"Ganz glücklich ist er wahrscheinlich nur bei den parlamentarischen Duellen, von denen er allerdings jährlich zwei oder drei hat. Seine geredete Begeisterung, die Sie kennen, dient ihm nur als Ersatz für die gehauene und gestochene. Zwar liebt er die hohen Ideen und glaubt an sie, denn er ist ja Christ und Ritter. Aber sie müssen ihm auch die Berechtigung geben zu Handlungen, denen es einigermaßen an … wie soll ich sagen, an bürgerlicher Solidität gebricht,"
"Er ist arm. Wie lebt er eigentlich?"
"Er lebt von Freiheit und Patriotismus. Da er sein Vermögen dem Lande geschenkt hat, so hält er jeden Landsmann für seinen Schuldner. Seit Jahren wohnt er im Hotel Roma, beim Essen umringt ihn immer ein Schwarm von Deputierten, Journalisten, Neugierigen und Leuten, die es nötig haben, sich von dem alten Kämpen ihre Vaterlandsliebe oder ihren Radikalismus bescheinigen zu lassen. Ein einziges Mal hat der Wirt es gewagt, ihm eine Rechnung zu schicken. San Bacco hat ihn rufen lassen. ,Ist das für mich?' hat er stirnrunzelnd gefragt. ,Wie, Sie wollen Geld haben von mir … von mir? Verlange ich denn Geld von Ihnen dafür, dass täglich eine Menge Leute Ihr schlechtes Diner hinunterschlucken, die es nur mir zuliebe tun?' Und zorngerötet ist er hinausgegangen, mit Hinterlassung von fünf Lire für den Kellner."
Die Herzogin sagte, ohne zu lachen:
"Seine Ehre hängt ihm von Gesinnungen ab, nicht von Handlungen. Das ist das Vorrecht einiger."
"Einiger … die keine Bürger sind," sagte die Blà.
Die Umgebung des Forums schlief lichtlos und ohne Geräusche. Die langen Zeiten entrückten diese Steine um Welten aus dem Dasein des ehrsamen Volkes bei Wein und Morraspiel, der schleichenden Geächteten in den Neubauten, der blassen Genießer vor den Kaffeehäusern. Zuweilen wandelte über schattenhafte Tempelstufen eine hagere Säule, in Mondstrahlen gekleidet, dicht vorüber an den Wagenfenstern der Frauen. Am dunkel starrenden Mauerwall des Kolosseums, unter dem Konstantinbogen weckten die Hufe und die Räder einen Widerhall, so mühsam, als fei er von einem längst verschollenen Echo der verspätete Rest. Dann erstieg der Weg, weiß zwischen den schwarzen Wänden von Klöstern und Zypressen, den Caelius. Die Herzogin lehnte sich tiefer zurück.
"Und Sie selbst? Alles was ich von Ihnen erfahre, klingt mir offen und vertraulich wie ein Selbstgespräch. Aber wie wollen Sie, dass ich über Sie selbst denke? Was sind Sie, Contessa?"
"Keine Contessa. Mein Vater war ein Franzose und Kapitän bei den päpstlichen Zuaven. Noch nach seinem Tode litt meine Mutter unter seiner verjährten Untreue. Sie war schwach und launisch, und ich ertrug ihre Launen mit einer krankhaften Bereitwilligkeit. Kaum war sie gestorben, so heiratete ich einen schwindsüchtigen Engländer, ich hätte sonst das Leiden in meiner Nähe entbehrt."
"So gerne leiden Sie?"
"Für jemand zu sorgen und zu dulden, ist mir unglücklicherweise ein Bedürfnis, dessen ich mich schäme."
"Und Sie selbst, Contessa, Sie möchten nicht in die Arme genommen und getröstet werden?"
"Wenn ich mich nach einer Vergeltung meines Mitleids sehnte, wäre es dann noch etwas wert?"
"Sie haben recht. Und so haben Sie also gelebt?"
"Mein Mann, der Schriftsteller war, konnte wenig mehr arbeiten. Er lehrte mich diesen Erwerb, und ich schrieb als Contessa Blà anfangs Modebriefe, dann Plaudereien, schließlich sogar Politik, ich weiß nicht warum mit katholischem Anstrich. Man sucht sich seinen Geist nicht immer selbst aus. Der Kardinal fördert gern Talente, er gibt mir jeden Mittwoch eine Portion Gefrorenes oder eine Tasse Tee, und wenn ich darum bäte, würde er mir anstandslos beides gleichzeitig verabfolgen."
Wie sie ankamen, äußerte die Herzogin lächelnd:
"Wir sprechen miteinander, als ob wir uns lieb hätten."
"Gleich in den ersten Minuten unseres heutigen Abends sind Sie mir lieb geworden," erwiderte die Blà.
"Wie ist es gekommen?"
"Weil Sie lachten, Herzogin, weil Sie nach allem, was Ihnen begegnet ist, noch lachen konnten über die heuchlerischen, wichtigen Gebärden und Mienen der Bürger."
"Jetzt verraten Sie mir noch, was Sie mit ,Bürgern' meinen."
"So nenne ich alle, die hässlich empfinden und ihre hässlichen Empfindungen obendrein lügenhaft ausdrücken."
"Sie wollen mich lieb haben, das macht mir wahre Freude."
"Hoffentlich wird es Ihnen niemals Kummer machen. Von mir geliebt zu werden, ist ein fragwürdiger Vorzug. Bis jetzt haben eine leidende Grillenfängerin ihn genossen und ein englischer