Die Sphinx des digitalen Zeitalters. Rainer Patzlaff

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Die Sphinx des digitalen Zeitalters - Rainer Patzlaff

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Michaeli 2020 Dr. Rainer Patzlaff

       Einführung: Vom Schöpferwort zum «Achten Schöpfungstag». Der Weg zur digitalen Technik

      Sprache ist seit Urzeiten das wichtigste Medium der Menschheit. Gleichwohl unterliegt auch sie den Veränderungen, welche die Menschheit im Laufe der Entwicklung durchmacht. Schon eine oberflächliche Betrachtung zeigt, dass Sprache heute vollkommen anders erlebt wird als in den Jahrtausenden zuvor. Denn wie war es früher?

      Die Menschen hatten noch ein sicheres Empfinden, dass in der Sprache Kräfte wirksam sind, die nicht vom Menschen stammen und auch nicht aus der irdischen Welt. Je weiter wir historisch zurückblicken, desto stärker tritt dieses Empfinden in den vorhandenen Dokumenten hervor. Allbekannt ist der Beginn des Alten Testaments, wo Gottvater spricht: «Es werde Licht». Das galt der frühen Menschheit nicht als ein Wunsch, sondern als eine Schöpfungstat, als das Erschaffen einer Wirklichkeit, wie die anschließende Feststellung «Und es ward Licht» bezeugt. Im Neuen Testament finden wir das Entsprechende in den Krankenheilungen, die Christus vornahm; sie geschahen durch nichts anderes als durch sein Wort.

      Noch bis weit ins Mittelalter hinein wurde dem Wort magische Kraft zugeschrieben, und das nicht nur im göttlichen Bereich, sondern auch unter den Menschen. Im Reich Karls des Großen z. B. waren im einfachen Volk zahlreiche, rein mündlich tradierte Zaubersprüche im Schwange, die zu einem großen Teil noch aus vorchristlicher Zeit stammten. (Wir kennen die Texte durch die Aufzeichnungen der Mönche in den Klöstern.)

      Für den modernen Menschen freilich ist das alles Phantasterei. Er weist mit einigem Recht auf die Tatsache hin, dass heutzutage niemand mehr in der Sprache übernatürliche Kräfte wahrnimmt; und was man nicht wahrnehmen kann, so die Schlussfolgerung, das existiert nicht. Wenn aber in der Sprache nichts Übernatürliches zu finden ist, dann gebührt ihr auch keine besondere Ehrfurcht mehr. Folglich darf man nach Belieben mit ihr umgehen. Führende Köpfe sahen im 19. Jahrhundert sogar einen Fortschritt darin, die menschliche Sprache auf ein Zeichensystem zu reduzieren, das sich in technische Signale umwandeln lässt und dadurch der maschinellen Verarbeitung zugänglich wird.

       Telegraphie

      Den Weg dazu ebnete die am Beginn der Neuzeit einsetzende praktische Anwendung der Elektrizität. (Bekannt war sie schon seit dem Altertum.) Aufbauend auf dem neu entdeckten Elektromagnetismus entwickelte Samuel Morse 1837 seinen Schreibtelegraphen, der folgendermaßen funktionierte: Über einem langsam fortlaufenden Papierstreifen war ein Schreibstift angebracht, der mit einem Elektromagneten auf das Papier heruntergezogen wurde und dort je nach Dauer der Stromzufuhr kurze oder lange Striche zeichnete. Die elektrischen Impulse dazu kamen durch Metalldrähte von einer weit entfernten Person, und zwar nach einem von Morse erfundenen Code, der für jede Zahl und jeden Buchstaben des Alphabets eine bestimmte Abfolge von langen und kurzen Strichen festlegte, die am Empfangsort von geschulten Kräften decodiert werden mussten (siehe Abb. 1). Dieser Code wurde zum internationalen Standard der Telegraphie.

      Abb. 1: Der internationale Morse-Code

      Als sich zeigte, dass Nachrichten, die früher mühsam von der Briefpost an den gewünschten Ort gebracht werden mussten, jetzt wie von Zauberhand in Minutenschnelle ankamen, wurde die Öffentlichkeit von einem Fieber der Begeisterung gepackt: Immer mehr und immer längere elektrische Kabel wurden verlegt, überall entstanden «Telegraphenämter», die eine ständig wachsende Flut von Telegrammen zu bewältigen hatten, und schon gegen 1870 überzogen Kabelnetze weite Teile der Erde; Tiefseekabel verknüpften sogar die Kontinente miteinander. Ab dem 20. Jahrhundert konnten die Morsezeichen dann auch akustisch per Kurzwellenfunk in alle Winkel der Welt gelangen und wurden besonders im Schiffs- und Flugzeugverkehr eingesetzt. Eine erste, die ganze Menschheit überspannende Kommunikationstechnik war geschaffen – und mit ihr ein früher Vorläufer des heutigen Internets.

      Dass die Sprache durch den Morsetelegraphen in einen Wust kurzer und langer Striche verwandelt wurde, die mit dem grafischen Bild der Buchstaben nicht mehr die geringste Verwandtschaft zeigten – daran nahm niemand Anstoß, denn so wie die Sprache hier behandelt wurde, so empfand man sie auch in der Realität des Alltags: als ein System von Zeichen zur Informationsübermittlung und nichts sonst.

      Die Faszination, die von dem elektrischen Telegraphennetz ausging, bewirkte, dass deren Technik unreflektiert auf die gesprochene Sprache übertragen wurde, indem man den Sprecher als «Sender» bezeichnete und die von ihm geformten Sprachlaute als «codierte Schallwellen», die der Empfänger decodiert. Ein durch und durch mechanistisches Bild von Sprache entstand, das sich in den grassierenden Materialismus des Zeitalters einfügte.

       Telephonie und Grammophon

      Rückblickend ist zu bemerken, dass beim Morsealphabet bereits ein wesentliches Merkmal digitaler Technik zur Anwendung kam: Sämtliche Codezeichen bestehen aus einer geregelten Abfolge immer derselben zwei gegensätzlichen Elemente, in diesem Falle Kurz und Lang bzw. Punkt und Strich. Bei der heutigen Digitaltechnik wird dafür der sogenannte Binärcode eingesetzt, der mit nichts anderem als den Werten 0 und 1 die gesamte Datenübermittlung bestreitet (Näheres dazu später). Das bedeutet allerdings nicht, dass damals bereits die «Digitalisierung» einsetzte, von der heute die Rede ist. Dazu waren noch weitere Entwicklungsschritte notwendig, die im Folgenden skizziert werden sollen.

      Nach der Etablierung der Telegraphie bemühten sich zahlreiche Forscher um eine praxistaugliche Technik zur Übermittlung auch der gesprochenen Sprache und der Musik. Viele verschiedene Möglichkeiten wurden untersucht. Der Durchbruch gelang Philipp Reis 1861 durch die Erfindung eines Kontaktmikrophons, aus dem in den 1870er-Jahren das Kohlemikrophon entwickelt wurde, das sogar noch in der Frühzeit des Rundfunks Verwendung fand.

      Im Kohlemikrophon erzeugen die vom Schall bewirkten Schwingungen der Membran in den darunterliegenden Graphitteilchen Druckschwankungen, durch die der angelegte Gleichstrom moduliert wird. Die daraus resultierenden elektrischen Schwingungen werden zum Hörgerät weitergeleitet und bringen dessen Membran elektromagnetisch zum Schwingen, sodass eine Reproduktion des Schallereignisses entsteht. Da die vom Mikrophon kommenden elektrischen Schwingungen genau analog zu den ursprünglichen Schallschwingungen verlaufen, wird diese Technik im Unterschied zur späteren Digitaltechnik als Analogtechnik bezeichnet.

      1877 stellte der Erfinder Thomas Edison ein Gerät vor, mit dem man Schallwellen aufzeichnen und reproduzieren konnte. Er nannte es Phonograph. An der Membran eines Schalltrichters hatte er eine Nadel befestigt, die in eine mit Stanniol überzogene drehbare Walze die Schallschwingungen einritzte. Zur Wiedergabe der Aufnahme wurde die Walze an den Ausgangspunkt zurückgedreht und dort die Nadel eingesetzt; diese wurde dann durch die bewegte Tonspur in Schwingungen versetzt, die sich auf die Membran übertrugen und somit hörbar wurden. Auch hier wurde das analoge Verfahren angewandt, nur dass dabei zunächst noch keine Elektrizität im Spiele war. Daraus entstand später die Schallplatte, die auf dem Grammophon abgespielt werden konnte.

       Von der analogen zur digitalen Sprachübertragung

      Für Radio und Telefon, Fernsehen und Schallplatten wurde das

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