Die Sphinx des digitalen Zeitalters. Rainer Patzlaff

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Sphinx des digitalen Zeitalters - Rainer Patzlaff страница 8

Die Sphinx des digitalen Zeitalters - Rainer Patzlaff

Скачать книгу

der Möglichkeit einer Fälschung zu rechnen, sodass man seinen Augen und Ohren buchstäblich nicht mehr trauen kann.

      Was sich für Fälschungen aller Art verwenden lässt, ist andererseits aber auch geeignet zum Aufbau einer virtuellen Realität, also zu Szenarien, in denen nichts mehr das Abbild einer äußeren Wirklichkeit ist, sondern alles von Anfang bis Ende am Computer konstruiert wurde. Architekten beispielsweise können das künftige Haus schon detailgetreu auf dem Bildschirm erscheinen lassen, von allen Seiten betrachtbar, ja sogar in den Innenräumen begehbar – und vor allem: jederzeit nach Wunsch veränderbar, bevor man es gebaut und eingerichtet hat. Jeder wird darin einen großen Nutzen sehen.

      Wie ist es aber, wenn virtuelle Räume für Computerspiele aufgebaut werden, in denen Monster oder Aliens, Krieger von fremden Sternen, Zauberer und Hexen bekämpft werden können oder in denen monströse Kriegsszenen die Sinne gefangen nehmen, Spiele, in denen der Spieler mit einer eigenen Waffe Personen töten kann, jedwede Gewalt ausüben darf und dabei nicht die geringste menschliche Empathie zeigt, sondern nur die Sucht nach Punktegewinn auslebt?

       Kritische Fragen

      Die vorangegangenen Passagen konnten einen ersten Eindruck von den Möglichkeiten digitaler Technik vermitteln; viele weitere Bereiche sind noch zu besprechen. Doch dürfte schon deutlich geworden sein, dass wir es mit einem zweischneidigen Schwert zu tun haben: Auf der einen Seite sehen wir großartige Erfindungen, auf der anderen Seite öffnet sich zunehmend die Büchse der Pandora mit fragwürdigen oder sogar kriminellen Anwendungen, befeuert von Machtgelüsten und Allmachtsphantasien. Nicht zufällig sprachen Digital-Freaks schon vor Jahren vom «Achten Schöpfungstag», der erreicht sei, weil die Menschheit sich ab jetzt mit einer Sinneswelt umgeben könne, die nicht von Mutter Natur oder irgendwelchen Göttern erschaffen wurde, sondern vollständig des Menschen eigenes Werk sei, bis in jede Einzelheit seinem Geist entsprungen und mit höchster Intelligenz verwirklicht.

      Was ist von einer solchen Auffassung zu halten? Erfüllt sich jetzt tatsächlich ein alter Menschheitstraum, den schon Prometheus träumte? Oder droht ein Menschheitswahn, der sich bitter rächen könnte? Berechtigte Fragen brechen auf:

      Dürfen wir achtlos darüber hinwegsehen, dass die Sprache eines Menschen während der digitalen Übertragung abgetötet wird zu einem milliardenfachen Wechsel von «Strom an» und «Strom aus», aus dem dann ein Schallgebilde konstruiert wird, das nicht mehr eine vollmenschliche Realität darstellt, sondern ein technisches Scheingebilde, eine Art Gespenst?

      Kann es uns gleichgültig sein, dass diese Technik bei Musik und Sprache wie auch bei visuellen Vorgängen von Anfang an auf Sinnestäuschung angelegt ist und wir uns schleichend daran gewöhnen, keinen Unterschied mehr zu sehen zwischen Original und Imitat?

      Wohin führt es, wenn wir die Bilder von irgendwelchen Ereignissen noch immer ungeprüft als getreue Abbildungen der Wirklichkeit auffassen und in der Folge unser Urteil auf Fälschungen gründen? Wollen wir uns in einer Welt der Fake-News einrichten? Zugegeben, meistens können wir die Echtheit nicht prüfen. Aber dann müssten wir auch unser Urteil zurückhalten, uns nach anderen Quellen umschauen und die entstandenen Fragen bis zu einer möglichen Klärung offenlassen. Sind wir bereit, uns diese strenge Disziplin aufzuerlegen?

      Ein sachgemäßes Urteil zu diesen und vielen weiteren Fragen wird nicht zu erreichen sein, wenn man die Digitaltechnik einfach euphorisch in den Himmel hebt und sie unkritisch als immensen Menschheitsfortschritt preist. Ebenso wenig angemessen wäre es, sie schlichtweg zu verteufeln und möglichst von sich fernzuhalten, denn sie schafft schon jetzt Realitäten, denen wir uns gar nicht mehr entziehen können. Wir müssen sie nicht um jeden Preis in jedem Detail akzeptieren; eines aber ist in jedem Falle gefordert: begründet Stellung zu beziehen, um verantwortlich handeln zu können.

      Damit stehen wir vor einer Aufgabe, zu der wir uns Grundlagen verschaffen sollten, indem wir einerseits die geistesgeschichtlichen Hintergründe digitaler Technik erkunden, andererseits ihre konkreten Realisierungen kennenlernen und drittens deren soziale Auswirkungen zu beobachten versuchen. Dazu möchte dieses Buch einen bescheidenen Beitrag leisten.

Teil I Außenansicht der Menschheitskrise

       1. An der Schwelle zu einem neuen Zeitalter

      Das Zeitalter der Digitalisierung hat begonnen – so lautet das Mantra der Industrie, der Wirtschaft und Politik, das uns täglich entgegentönt. «Digitalisierung» ist zum Leitbegriff unserer Epoche geworden. Viele wissen zwar gar nicht, was er genau beinhaltet, doch meint man sicher zu wissen, dass in ihm der Schlüssel für die Zukunft der Menschheit liege. Nicht anders als die Industrielle Revolution, die vor mehr als 200 Jahren die moderne Industriegesellschaft heraufführte, werde jetzt die Digitale Revolution eine umwälzende Veränderung des gesamten Lebens auf der Erde bewirken, so die allgemeine Erwartung.

      In der Tat: Atemberaubend schnell sind in den letzten Jahrzehnten auf der Grundlage der Digitaltechnik elektronische Geräte und Systeme erfunden worden, die für unsere Großeltern noch jenseits des Vorstellbaren gewesen wären. Die Entwicklung schreitet derartig rasant voran, dass mit Recht von einem tiefgreifenden Wandel gesprochen wird, dessen Dimensionen gewaltig sein werden. Jedoch ist dieser Wandel – wie jeder große Umbruch in der Menschheitsgeschichte – nicht nur von Hoffnungen getragen, sondern auch von Ängsten begleitet. Begeisterung und Euphorie paaren sich zunehmend mit Furcht und Sorge. Paradoxerweise aber wirken im Falle der Digitaltechnik Angst und Sorge bisher nicht hemmend auf den Fortschritt, sondern sind selbst zu Triebfedern der Entwicklung geworden. Dieser überraschende Befund ergibt sich bereits bei einem Blick auf die Anfänge.

      Als sich nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA die Computertechnik zu etablieren begann, waren Forscher und Wissenschaftler fasziniert von den Möglichkeiten, die sich durch den Einsatz elektronisch gesteuerter Rechner eröffneten. Gefördert von der ARPA, einer Forschungsagentur des US-Verteidigungsministeriums, verbanden sie ab 1969 die Großcomputer mehrerer US-Universitäten zu einem Netz, das unter dem Akronym ARPANET bekannt wurde. Dahinter stand zunächst nur der Wunsch der Wissenschaftler, die Ressourcen dieser Rechner durch einen landesweiten Datenaustausch besser zu nutzen. Die US Air Force indes verfolgte damit noch ein ganz anderes Interesse, das sich nicht aus der Begeisterung für die neue Technik speiste, sondern aus der Angst vor einer drohenden militärischen Gefahr, die sich abzuzeichnen begann:

      Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten befanden sich zu jener Zeit im Kalten Krieg mit der Sowjetunion und ihren Vasallen und bangten nach dem Sputnik-Schock von 1957 sowohl um ihre globale technische und wirtschaftliche Überlegenheit wie auch um ihre nationale Sicherheit. Dass die Sowjets als Erste über eine Rakete verfügten, mit der man Satelliten in den Weltraum befördern konnte, bedeutete, dass sie künftig auch in der Lage sein würden, atomar bestückte Raketen auf das Gebiet der USA zu richten. Hätte man dort das militärische Computernetz zentral strukturiert, hätte ein Raketentreffer es möglicherweise auf einen Schlag vernichten können, mit verheerenden Folgen für die gesamte Kriegsführung der USA. Deshalb setzte die US Air Force auf die dezentrale Struktur, die ihr Forscher Paul Baran bereits zu Beginn der 1960er-Jahre zum Schutz gegen einen vernichtenden Atomschlag vorgeschlagen hatte, und eben dadurch wurde das ARPANET unbeabsichtigt zum Vorläufer des heutigen Internets.

      Schon bald aber entdeckte der US-Geheimdienst NSA (National Security Agency), dass die viel größere Gefahr in den Computern selbst lauerte, weil sie statt von außen auch von innen attackiert und zerstört werden konnten: Daniel J. Edwards, ein NSA-Mitarbeiter, stellte 1972 eine Studie vor, der zufolge es trotz oder gerade wegen der Dezentralisierung möglich sei, in den bestehenden elektronischen Datenverkehr ein feindliches

Скачать книгу