Odessa-Komplott. Uwe Klausner

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Odessa-Komplott - Uwe Klausner

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ab. Dahinter befand sich ein Wandsafe, von dem man munkelte, dass er Bormann als Versteck diente. Was sie allerdings nicht wusste, war die richtige Zahlenkombination. Mit ein Grund, weshalb sie ihr Vorhaben rasch aufgeben musste.

      Die Blondine verzog das Gesicht. So einfach, wie sie sich das vorgestellt hatte, war die Chose also nicht. Hätte sie sich ja gleich denken können. Einer wie Bormann war mit allen Wassern gewaschen. Von ihm konnte man nur lernen.

      Sich aus dem Staub machen oder weitersuchen, das war die Frage.

      Lilian Matuscheks Atem ging rascher, und da ihr plötzlich heiß wurde, knöpfte sie ihre Bluse auf. Also gut, weitersuchen. Schließlich musste jeder sehen, wo er blieb. Ein paar Tage noch, und der Krieg wäre zu Ende. Führer tot, Zirkus vorbei. Und was dann? Dann würde sie etwas brauchen, wovon man profitieren konnte. Von ihrem Aussehen, so sehr es ihr auch genützt hatte, würde sie nicht leben können. Da musste sie sich schon etwas einfallen lassen.

      Scheißballerei. Lilian Matuschek fuhr mit den Fingerkuppen über ihr Gesicht. Kaum zum Aushalten, so etwas. Um hier unten nicht durchzudrehen, musste man Nerven wie Drahtseile haben.

      Oder abhauen, solange es noch ging.

      Lilian Matuschek hielt den Atem an. Schließlich griff sie zu. Volltreffer! Der Ledereinband, die SS-Runen und der vergoldete Schnappverschluss allein waren schon auffällig genug. Hinzu kam der Stempel ›streng geheim‹, der sich auf dem Aktendeckel im Inneren der Mappe befand. Und der Aufdruck ›Gruppe W 45‹, ebenfalls in Runenschrift. Kein Zweifel, sie war auf die erwartete Goldader gestoßen. Die Frage war nur, wer oder was sich hinter all den Namen, Zahlenreihen und offensichtlichen Codewörtern verbarg, auf die sie beim Durchblättern der Akte stieß. Das herauszufinden würde bestimmt nicht einfach werden. Lilian Matuschek verschloss die Mappe und lauschte nach draußen. Wie auch immer, das hatte bis später Zeit. Besser, jetzt zu verduften. Schließlich konnte man ja nie wissen, wer hier alles herumschnüffelte.

      In der Absicht, ihre Spuren zu verwischen, legte die Steno­­typistin die Mappe auf den Tisch, nahm das Hitlerbild und hängte es zurück an die Wand. Das Ganze dauerte keine Viertelminute, nahm sie aber derart in Anspruch, dass ihr der Sinn für Gefahr abhanden kam.

      Ein Fehler, der ihr um ein Haar zum Verhängnis geworden wäre.

      »Na, so spät noch bei der Arbeit?«, lallte die ihr bestens bekannte Stimme im Hintergrund, woraufhin sie vor Schreck zusammenzuckte.

      »Selbstverständlich, Reichsleiter«, antwortete Lilian Matuschek, bemüht, möglichst zackig zu klingen. Bei Bormann kam so etwas besonders gut an. Wäre er nüchtern gewesen, hätte sie sich gleich ihr eigenes Grab schaufeln können. So aber hatte die Blondine eine gewisse, wenn auch geringe Chance.

      Und die würde sie nutzen.

      »Lust auf einen Kognak, Süße?«, stieß Bormann mit schwerer Zunge hervor. »Zur Feier des Tages, sozusagen?«

      »Gerne, Reichsleiter«, säuselte Lilian, geistesgegenwärtig genug, um sich zwischen Bormann und den Schreibtisch zu schieben. »Warum nicht.«

      Martin Bormann, Herr der Geheimdossiers, knöpfte seinen Uniformkragen auf, unter dem ein schweißbedeckter Fettring zum Vorschein kam, holte eine Kognakflasche aus dem Schrank und schenkte ein. Dann nahm er einen kräftigen Schluck, grinste und vermachte Lilian den Rest.

      Die Handflächen auf der Schreibtischkante, wusste die 24-jährige Stenotypistin genau, was von ihr erwartet wurde. Wenn man nicht nach seiner Pfeife tanzte, konnte Bormann ziemlich ungemütlich werden. Davon konnte nicht nur sie, sondern alle, die ihm in die Quere gekommen waren, ein Lied singen.

      »Wie wär’s, wenn wir es uns ein bisschen bequem machen?«, schlug Hitlers Privatsekretär vor und ließ keinen Zweifel daran, wonach ihm der Sinn stand. »Um den Tag nach Gutsherrenart ausklingen zu lassen, meine ich.« Sprach’s, nahm Lilian das Glas aus der Hand und warf es über die Schulter, wo es laut klirrend an der Wand zerschellte. Dann öffnete er den Gürtel und grinste breit.

      Eingedenk der Erfahrungen, die sie mit Bormann gemacht hatte, zögerte die Stenotypistin nicht lange, schob das Kleid in die Höhe und entledigte sich ihrer Nylons. Anschließend lehnte sie sich zurück auf den Schreibtisch und zog mit laszivem Lächeln ihr Höschen aus, die Mappe mit dem Ledereinband unter sich begraben.

      »Bedienen Sie sich, Reichsführer«, hauchte sie mit gespreizten Beinen. »Wer weiß, vielleicht ist es das letzte Mal.«

      Martin Bormann, Vater, Ehebrecher und Trauzeuge Hitlers in einer Person, wischte sich den Speichel aus dem Mundwinkel und bleckte die Zähne. So etwas wollte er sich natürlich nicht zweimal sagen lassen. Gut möglich, dachte er, dass die miese Nutte da recht behalten wird.

      Ein Grund mehr, es sich noch mal richtig gut gehen zu lassen. »Na, dann wollen wir mal«, grunzte der Sekretär des Führers und ließ seine Hose fallen. »Auf uns beide, Süße.«

      6

      Britisches Hauptquartier in Lüneburg | 23.05.1945,23.14 h

      »Hitler: Selbstmord. Goebbels: Selbstmord. Bormann: Tod durch Giftkapsel, vermutlich Zyankali.« Michael Murphy, Offizier des Secret Service, warf einen Blick in seine Unterlagen, zündete sich eine John Player an und legte eine Kunstpause ein. Dann setzte er das Verhör Himmlers fort. »Pech, dass er anscheinend nur bis zum Lehrter Bahnhof gekommen ist, finden Sie nicht auch, Reichsführer?«

      Himmler verzog keine Miene. »Na, wenn schon«, antwortete er mit einem Achselzucken, bemüht, sich seine Zufriedenheit nicht anmerken zu lassen. »Ein subalterner Speichellecker, nichts weiter.«

      »So subaltern, dass Sie mit ihm aneinandergeraten sind?«

      Himmler nahm seine Brille ab, rieb sie am Ärmel und setzte sie mit demonstrativer Gelassenheit wieder auf. »Und woher wollen Sie das wissen?«

      »Von Ihrem Adjutanten, Reichsführer.«

      »Vorausgesetzt, Sie treiben kein doppeltes Spiel, Colonel – auf einen Verräter mehr oder weniger kommt es doch wohl nicht an.«

      »So, meinen Sie.« Klug genug, sich seinen Groll nicht anmerken zu lassen, fläzte sich Murphy in einen Sessel, schlug die Beine übereinander und zog an seiner Zigarette. »Reichlich merkwürdig, dass gerade Sie dieses Wort in den Mund nehmen.«

      Himmlers Blick verengte sich. »Was wissen Sie denn schon von Treue!«, zischte er, auf dem besten Wege, die aufgesetzte Maske der Jovialität abzustreifen. Und beantwortete seine Frage gleich selbst: »Rein gar nichts.«

      »Immerhin genug, um Ihnen keinen Meter über den Weg zu trauen«, konterte Murphy, streckte sich und stand wieder auf. Dann warf er einen Blick aus dem Erkerzimmer, das sich im Erdgeschoss des Backsteingebäudes in der Uelzener Straße 31a befand. »Anderes Thema, Reichsführer«, warf er abrupt ein.

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