Makabrer Augustfund im Watt. Manfred Eisner
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Читать онлайн книгу Makabrer Augustfund im Watt - Manfred Eisner страница 3
Nili richtet ihren Blick auf die beiden Kollegen. »Sagen Sie, Ferdl, haben wir etwas über den Fall der als vermisst gemeldeten Jugendlichen aus Oldenmoor? Wegen der turbulenten vergangenen Woche habe ich diese Meldung nur am Rande wahrgenommen.«
»Okay, Frau Chefin, mir schaun mal nach! Also, Timo, auf geht’s!«
Unter Anleitung des IT-Experten macht sich Timo eifrig an der Tastatur des PCs zu schaffen. Kurz darauf vermeldet er: »Bingo, gute Nachrichten, Frau Nili! Die Itzehoer Kollegen haben das Mädchen gefunden!« Dann berichtet er, dass man am Mittwoch in aller Frühe, nachdem ihr Handy geortet wurde, die körperlich unversehrte Jugendliche aufgefunden habe. Sie sei entführt worden, habe sich aber aus der Gefangenschaft befreien und vor ihrem Entführer fliehen können. Aus Angst, dieser könne sie verfolgen, versteckte sie sich in einer Scheune und schlief dort vollkommen erschöpft auf dem Heuboden ein. Damit sie zur Ruhe komme, habe man sie ins Itzehoer Klinikum gebracht und in der Psychiatrischen interniert. Weitere Erkenntnisse betreffend Tat und Täter gebe es derzeit noch nicht.
Nili greift zu ihrem brandneuen iPhone, das sie vor wenigen Tagen von ihren Dezernatskollegen zum Geburtstag geschenkt bekommen hat. Bevor sie wählt, überträgt sie mit einem melancholischen Seufzer die Rufnummern der Kollegen in der Bezirkskriminalinspektion Itzehoe von ihrem lieb gewonnenen alten ›Dampfhandy‹ und wählt die Nummer des dortigen Büros.
»Moin, Dörte, ich bin’s, Nili«, begrüßt sie die Kriminaloberkommissarin Westermann, die das Gespräch angenommen hat. »Ich wollte mich erkundigen, ob ihr inzwischen etwas Neues im Fall Anneke Schrader erfahren habt.«
Dörte berichtet von der Entscheidung der Ärzte, dass das Mädchen erst morgen früh befragt werden dürfe. Ihr Chef, Kriminaloberrat Stöver, habe sie und ihren Kollegen Hauke Steffens damit beauftragt.
»Darf ich euch begleiten, Dörte? Es ist meine Absicht, dass sich unsere Abteilung intensiv mit diesen und ähnlichen Misshandlungstaten an Kindern und Jugendlichen beschäftigt. Ich habe hier etliche ungelöste derartige Fälle vorliegen und möchte deshalb so viel wie möglich über die letzten einschlägigen Entwicklungen aus erster Hand erfahren.«
»Ich denke, das geht in Ordnung, vorausgesetzt, unser ›Hein Gröhl‹ hat nichts dagegen. Ich weiß, der Kriminaloberrat schätzt dich sehr, aber bei dem weiß man ja nie! Allerdings kann ich mir sein Plazet erst nachträglich am Montag einholen, denn soeben hat er uns ein gutes Wochenende gewünscht und ist gegangen. Na denn, in Gottes Namen, herzlich willkommen morgen um zehn Uhr vor dem Klinikum!«
Nili bedankt sich und beendet das Telefonat. Dann hebt sie für einen kurzen Moment die Fallakte hoch, die sie vorher durchgeblättert hat. »Okay, liebe Kollegen, dann bitte ich Sie, sämtliche Fälle von misshandelten sowie vermissten Kindern und Jugendlichen aus Ihren Cold-Case-Aktenstapeln herauszufischen. Ab sofort werden wir dieser entsetzlichen Gesellschaftspest näher rücken. Dann machen auch wir erst mal für heute Schluss! Und ich freue mich besonders, Sie alle morgen am frühen Nachmittag auf dem Holstenhof meines Onkels und meiner Tante in Oldenmoor begrüßen zu können. Ferdl, sind Sie so lieb …?«
»Aba selbstverständlich, Frau Chefin! Mir kemma alle zamma in mein Barockengel, Ehrensach!«
*
Wenig später fahren Nili und ihr Lebensgefährte und direkter Vorgesetzter, Erster Kriminalhauptkommissar Doktor Walter Mohr – von Vertrauten und nahestehenden Kollegen liebevoll ›Waldi‹ genannt –, in dessen Passat zu Nilis Heimatort. Auch Kollege Robert Zander begleitet sie, denn er ist seit einigen Monaten mit Habiba Mansour, der hübschen jungen Palästinenserin, liiert, die seit ihrer Entlassung auf Bewährung zusammen mit Nilis Großmutter Clarissa Keller und Mutter Lissy Masal im Onkel Suhls Haus wohnt und Ima Lissy bei der Arbeit auf deren Geflügelhof entlastet.7 Robert hat beim Nachbarn Friedl Jansen ein kleines möbliertes Zimmer gemietet, um mit Habiba zweisame Wochenenden verbringen zu können. An der Abfahrt Neumünster Mitte verlassen sie die A 7, um dann über Bundesstraßen zunächst die Kreisstadt Itzehoe und anschließend das Ziel am Elbdeich zu erreichen. Hocherfreut und wie immer herzlich wird das Trio von Abuelita und Ima Lissy bei ihrem Eintreffen begrüßt. Auch Habiba kann ihren Robert empfangen, sie ist bereits von ihrer Arbeit auf dem Eulenhof zurückgekehrt.
Alle umarmen Nili und beglückwünschen sie nachträglich mit »Mil felicidades para tu cumpleaños, querida!« zu ihrem besonderen Geburtstag.8 Nili ist gerührt und versucht ihre Ergriffenheit zu überspielen. »Ihr müsst mir doch nicht derart deutlich aufs Butterbrot schmieren, dass ich jetzt mit vierzig ’ne alte Schachtel bin!« Mit einem verzerrten Lächeln wischt sie sich ein paar Tränen aus den Augen. Dann fügt sie an: »Aber irgendwie freue ich mich nun doch, dass ihr mich wegen der Geburtstagsfeier umgestimmt habt. Übrigens, dazu wollte ich fragen, ob ich noch irgendetwas …«
»Darüber brauchst du dir überhaupt keinen Kopf zu machen, Nili«, unterbricht sie Habiba. »Wir haben es fest im Griff und alles ist vorbereitet. Du musst morgen nur auf dem Holstenhof erscheinen, alles andere geht dann wie von selbst. Lass dich überraschen!«
»So, und jetzt bitte ich euch zu Tisch!«, wirft Abuelita ein. »Es gibt eine leckere Süßkartoffel-Kürbis-Suppe mit Kokosmilch. Das Grundrezept habe ich mir zwar gestern von einer Fernsehsendung gemopst, aber ihr wisst ja, ohne etwas mehr Kamum geht bei mir gar nichts!«9
*
Nachdem Nili und Waldi in aller Frühe ihr gewohnheitsmäßiges Joggingprogramm absolviert und anschließend gemeinsam mit Abuelita und Ima Lissy gefrühstückt haben, machen sie sich auf den Weg nach Itzehoe. Wie üblich sind auch an diesem Samstagmorgen die begehrten Parkplätze in unmittelbarer Nähe des Klinikums belegt. Kurzerhand beschließen sie, dass nur Nili der Befragung Annekes durch Dörte Westermann und Hauke Steffens beiwohnen soll. Zudem wäre ein vierköpfiges Auftreten der Beamten eher kontraproduktiv.
Vor dem Eingang des Hauses C, in dem sich das Zentrum für Psychosoziale Medizin befindet, steigt Nili in der Robert-Koch-Straße aus und gesellt sich zu den bereits wartenden Kollegen. Diese hatten mehr Glück und konnten ihren Polizeiwagen nahe der Auffahrt abstellen. Nach einer kurzen Begrüßung und nachträglichen Glückwünschen zu Nilis Geburtstag gehen sie gemeinsam zur Anmeldung.
Wenig später kommt ihnen der Stationsarzt entgegen, der sie zu einem der Krankenzimmer führt. »Der Zustand der Patientin ist recht stabil«, berichtet er. »Trotzdem bitte ich Sie, bei der Befragung sehr behutsam vorzugehen. Das schlimme Ereignis könnte ein Trauma verursacht haben, aber wir können zurzeit noch nicht ermessen, wie tief es das Mädchen seelisch erschüttert hat. Erfreulicherweise zeigt sie bislang keine entsprechenden Symptome.«
Sie betreten das Doppelzimmer, das zurzeit nur von Anneke belegt ist. Die Eltern des Mädchens sitzen neben dem Bett. Frau Schrader weint still vor sich hin, während sie Annekes