Und in uns der Himmel. Johannes Albendorf
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Für den Heiligen Sankt Martin
I.
Als Priester zu einer Trauung zu fahren ist an und für sich auch in der heutigen Zeit nichts Ungewöhnliches. Die alltäglich hohen Scheidungsraten wären ohne vorherige Eheschließungen schlussendlich nicht möglich – und erstaunlich viele Menschen träumen immer noch davon, sich in einer Kirche und in weiß und mit einem auf der Orgelempore mehr oder weniger tontreffend gejuchzten »Ave Maria« das Ja-Wort zu geben.
Ungewöhnlicher ist es allerdings, wenn man als Priester für diese Hochzeit einige hundert Kilometer zu reisen hat und noch ungewöhnlicher ist es, wenn man zu einer schwulen Trauung fährt. Um keine euphorischen oder abendlanduntergängerischen Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich reise privat. Ich bin nicht als Zelebrant angefragt, wie auch? Meine Mutter Kirche äußerst sich zu derlei Unterfangen immer noch ablehnend, auch wenn zuweilen mildere und humanere Töne in den Äußerungen von einigen einsichtigen Bischöfen und Kardinälen anklingen.
Nun gut.
Ich reise eh inkognito.
Niemand weiß, wohin die Reise geht, ich wohl auch nicht.
Ich werfe einen Blick auf die große, von schmutzigen Tauben verzierte Uhr an der Bahnhofsfassade. Natürlich bin ich viel zu früh aufgebrochen.
Ich kaufe mir in der Buchhandlung einen Thriller und weiß, ich werde ihn nie lesen. Ich kaufe Brötchen und Kaffee und weiß, ich werde vor Aufregung nichts essen und trinken können.
Denn ich fahre zu dir.
Der Zug ist überfüllt und die Klimaanlage pumpt eisige Luft in die Waggons. Surrend und zuckend rasen wir über die Schienen, laut geführte Handygespräche und nervenzersägender Lärm aus Ohrenstöpseln irritieren mich.
Ich bin als Priester nicht zu erkennen. Oder doch? Ich hätte es sein sollen, doch habe ich den Kragen nicht angelegt, das Silberkreuz nicht angesteckt, es wäre gar zu heikel.
In blühender Frische fliegt die Sommerlandschaft vorbei, so schön und flüchtig, dass es weh tut.
Wir fahren in ein Unwetter hinein und warmer Regen donnert herab, er zaubert irre Tröpfchen- und Schlierenmuster an die Scheiben.
Ich trinke nun doch einen Schluck des pappigen Kaffees, der längst kalt geworden ist.
Die Wolken schweigen über der Weite, als sei ihr Werk noch nicht vollendet und weißer Dampf steigt von der Erde auf.
Müsste ich nicht ein Gefühl von Freiheit verspüren?
Ich kann nicht stillsitzen. Ich blättere im Fahrplan und stoße auf den Namen Burggraf. Natürlich. Ich muss lachen, traurig lachen. Dort haben wir uns kennengelernt. Im Priesterseminar. Klassischer geht es nicht. Schwieriger auch nicht.
Und nun, nach all den Jahren, wieder ein Lebenszeichen von dir, ein Brief: An einem gewöhnlichen Morgen die Post sortieren und auf einmal deine Handschrift lesen; sie hat sich meiner Seele eingebrannt wie alles, was mit dir zu tun hat ... meinen Namen also in deiner Schrift. Sofort sah ich dich vor mir, wie du meinen Namen geschrieben hast – und musste lächeln, trotz all meiner Aufregung, in mir hat es seitdem zu zittern begonnen, und es will sich nicht beruhigen.
Ich habe an dem Umschlag gerochen, aber da war nichts, nur Papier, natürlich.
Mein Lächeln verschwand, als ich die Karte aus dem Umschlag zog. Es war die Einladung zu einer Partnerschaftssegnung in Köln.
Zu deiner Partnerschaftssegnung.
II.
Nie werde ich das Gefühl vergessen, das mich jedesmal beim Betreten des Burggrafer Domhügels durchfuhr. Vor allem an jenem ersten Tag vor vielen Jahren, als ich zum Seminar reiste - weder ein schwerer Rucksack noch zwei wuchtige Koffer konnten meine Vorfreude trüben, denn es war, als würde ich in die Dimensionen einer ganz anderen, einer geistigen Welt eintauchen, einer Welt, in der die Uhren langsamer zu ticken schienen und die Zeit nicht in Minuten und Stunden, sondern in Jahrzehnten und Jahrhunderten gemessen wurde.
Zunächst führte mein Weg durch den von hohen Häusern beengten Dominikanergang mit seinen scharfen Kurven und dem glitschigen Kopfsteinpflaster, doch nach der letzten Biegung tat sich ein riesiges Plateau auf: Unvermittelt stand ich vor dem mächtigen und zugleich verspielt wirkenden Burggrafer Dom mit seinen prächtigen Mittelschiffen und dem gotischen Paradies, alles bewacht von einem barocken Türmchen über der Vierung. Paradiesisch auch die dort vorherrschende Stille; der Lärm der Stadt war nur mehr eine Ahnung, vom melancholischen Gesang einer Amsel verweht. Üppig bepflanzte Blumenkübel verströmten einen geradezu verstörend sinnlichen Duft.
Ich ging um die gewaltige Westfassade des Doms herum und da lag es, mein Ziel, das erzbischöfliche Priesterseminar mit der benachbarten katholischen Fakultät.
Mein ganzes Leben schien mit einer meist fließenden Selbstverständlichkeit auf diesen Moment hin gelebt worden zu sein, denn ich war in Gott verliebt, anders kann ich es nicht formulieren – und ich bin es heute noch, trotz allem.
Oder gerade deswegen.
Erfüllt von Vorfreude und gleichzeitig vom Frieden des Ankommenden durchströmt, schleppte ich mein Gepäck durch das blutrot gestrichene Eingangstor des Seminars, welches von einem reich geschmückten Wappen gekrönt war.
In der großen Eingangshalle war die Pförtnerloge unbesetzt und es war kühl. Sofort tat sich eine Tür am hinteren Ende des langen Ganges auf und der Herr Regens trat heraus und begann, wie ein Rollschuhläufer auf mich zuzuschweben.
Einigermaßen erstaunt stellte ich meine Koffer ab. Als Leiter des Priesterseminars ist der Regens eine überaus würdevolle Respektperson, er hat die Oberaufsicht sowohl über die wirtschaftlichen Belange des Seminars als auch für die Beurteilung der Weihekandidaten.
Zudem war Anton Kotulla damals ein Mann in den späten Fünfzigern. Eher von schmaler Statur rollschuhte er also leicht vornübergebeugt auf mich zu, mit den ruckartigen Bewegungen einer Elster, die sich in einer für sie völlig fremden Umgebung verirrt hat und sich nun mit verkrampfter Gesamtmotorik und skeptischen Blicken zurechtzufinden sucht. Sein weißer Haarkranz war von gelblichen Flecken durchzogen und sein Brillengestell war zu filigran für eine grobporige Nase, die aussah, als hätte Hochwürden des öfteren mal eine verpasst bekommen.
Seine rechte Gesichtshälfte verzog sich in Richtung Stirn, was sich mit einigem guten Willen als Willkommenslächeln interpretieren ließ. Ich reichte ihm meine Hand und er wich unmerklich zurück, umfasste sie flüchtig mit geübtem Händedruck.
»Ah, unser letzter Neuzugang! Kommen Sie, ich werde Ihnen ihr Zimmer zeigen. Dort können Sie sich ein bisschen frisch machen, nicht wahr! Um viertel nach sechs findet in der Seminarkirche die Vesper statt und danach treffen wir uns im Refektorium zum Essen. Kommen Sie, kommen Sie!«
Ich wollte ihm folgen – und wäre beinahe ausgerutscht. Endlich verstand ich seine Art der Fortbewegung. Also passte ich mich an und rollschuhte in rhythmischer Eintracht hinter ihm her – bis wir zu einer ausladenden