Und in uns der Himmel. Johannes Albendorf
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»Und was haben die Leute gesagt?«
»Einige waren ganz freundlich, sogar gerührt, aber einige waren auch richtig böse. ‚Scheiß-Katholen‘, haben sie mir hinterher gerufen. Selbstverständlich ließ ich mich nicht beirren! Und die Alten und die Tiere schienen auf geheimnisvolle Weise zu verstehen.«
Jeremias blieb stehen und zündete sich eine Zigarette an.
»Und der Zölibat?«, fragte er unvermittelt.
Über dieses Thema hatten wir noch nie gesprochen, auch im Seminar wurde es - bis zu diesem Zeitpunkt – überaus selten angeschnitten, allenfalls in dezenten Witzen oder in Worten wie »Mysterium«, »Erhabenheit« und »Geschenk«.
»Ja, du meine Güte«, sagte ich, »in jeder Kultur gibt es Zölibatäre, bei den Urvölkern, bei den Buddhisten … Nur hierzulande wird darum so ein Brimborium gemacht.«
»Das ist sicher richtig. Aber wie gehst du persönlich damit um? Ich meine, der Regens behauptet, sogar Selbstbefriedigung sei sündhaft. Doch, das hat er mir gesagt, ich habe ihn gefragt. Und früher, wenn ‚es‘ ihn gejuckt hat, hat er immer einen Apfel gegessen oder eine kalte Dusche genommen!«
»Dann müssten sie ja eine Obstplantage im Innenhof anlegen! Scherz beiseite, das ist doch ein etwas vorkonziliares Priesterbild. Mir fehlt einfach nichts. Ich will den Zölibat nicht nur akzeptieren, sondern ihn wirklich wollen.«
»Hast du es schon einmal getan?«
»Logo ...«
Es war mir, für mich überraschend, nun doch etwas peinlich, so direkt gefragt zu werden. Einst hatte ich eine Freundin gehabt, wenn auch nur für ein oder zwei Jahre. Wir hatten geknutscht und uns gestreichelt und so weiter und ich hatte alles ganz nett gefunden, es aber nicht wahnsinnig nötig gehabt ... ich weiß nicht, wie ich das anders ausdrücken soll.
Jeremias drückte die Zigarette aus und wir gingen ins Seminar zurück.
»Wir können über alles reden. Aber das weißt du ja«, sagte er.
Ich nickte.
V.
Auch Jeremias würde zu Deiner Segnung kommen. Wir hatten immer noch Kontakt und sahen uns hin und wieder – soweit der Terminplan eines Priesters dies eben zulässt. So wie ich war auch er Priester geworden, geriet aber mit dem Zölibat zuweilen in kleinere Konflikte; sie hatten sich im Laufe der Jahre nicht verringert. Früher hätte ich es nicht für möglich gehalten, aber in den Gemeinden gibt es durchaus Frauen, die es darauf anlegen, einen Priester zu knacken - und sitzt ein Priester erst einmal in seiner Gemeinde fest, ist er diesen Frauen ausgeliefert wie Benedikt XVI. der linksliberalen Presse.
Zum Glück gab es neben dem Regens Kotulla auch andere Lehrer im Seminar. Unser Spiritual hieß Pater Seliger – es hätte keinen treffenderen Namen für ihn geben können. Er war für mich der lebende Beweis dafür, wie der priesterliche Weg zur menschlichen Vervollkommnung führen und wie ein vom Priestertum durchwirktes Leben gelebt werden kann. Aufmerksam und wohlgesonnen behielt er einen jeden von uns im Auge, drängte seine Hilfe aber nicht auf.
Er riet mir, mich nicht zu sehr in den Büchern zu vergraben, nicht zu ehrgeizig zu sein, meine Erfahrungen nicht nur aus dem Gelesenen zu gewinnen, also aus dem, was andere erkannt und aufgeschrieben haben, sondern auch mein eigenes Er-Leben zu beachten. Unsere Religion sei keine Buchreligion, uns gebe der revolutionäre Glaube Zuversicht, dass Gott mit uns Kontakt aufnehmen will und sich nach uns sehnt – aber wir müssten, könnten und dürften ihm auch die Chance geben, uns anzusprechen, denn seine Stimme sei leise, und es sei eine Lebenskunst, ihr in Geist und Herz zu lauschen.
»Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen« - Ich habe dieses Zitat des Philosophen Wittgenstein oft beherzigt, gerade wenn es um eigene Glaubenserlebnisse ging und geht. Sie sind oft zu groß, um in Worte gefasst zu werden, zu tief, zu erschütternd oder zu leise; die hochentwickelte menschliche Sprache scheint zu profan, das menschliche Vorstellungsvermögen zu eindimensional, um dieser Schönheit einen angemessenen Ausdruck verleihen zu können.
Ich selber fühle mich manchmal unangenehm berührt, wenn gar zu schwärmerisch von spirituellen Einsichten geschwärmt wird. Gott wird so oft als angebliche Begründung für Attentate, Spott, Krieg, Diskriminierung und Unterdrückung missbraucht. Nicht das Gesprochene, sondern die Taten zählen.
Allerdings stehen dem Wittgenstein-Zitat die Worte der Apostel Petrus und Johannes in der Apostelgeschichte entgegen: »Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben!«
Es gilt also abzuwägen.
Im Burggrafer Dom liebte ich besonders die Sakramentskapelle. Unbeschadet hatte sie die Bombardierungen im zweiten Weltkrieg überstanden, ihre Kuppel hatte etwas Sphärisches, die Fresken etwas Zauberhaftes: Einst übertüncht waren sie nach all den Jahren wieder freigelegt worden, auf Augenhöhe zwar fast vollkommen verblasst, tönten jedoch zum Scheitelpunkt der Kuppel hin in immer kräftigeren Farben, all die Heiligen und Engel in die Lichtherrlichkeit schauend. Geduldig hatten sie jahrhundertelang unter all der barocken Tünche ausgeharrt.
Sonnenkranzartig umgaben Goldfiligran und Edelsteine die Monstranz, das Allerheiligste und Unbegreiflichste.
Ein sich selbst gebender Gott. Der mein Herz erfüllte, mein ganzes Sein bewegte, der rief, mich rief: Komm! Ja, genau DICH meine ich!
Das ergriff mich zutiefst. Ewig wollte ich in dieser Kapelle bleiben; die Stunden in ihr sind sicherlich zum Fundament meines ganzen Seins geworden. Ich schaute - und wurde angeschaut. Ich war gemeint.
Nun ja, ich kann mir vorstellen, dass sich nun bestimmt einige Herzen vor Peinlichkeit zusammengezogen haben, die eine oder andere Augenbraue hochgezogen wurde, meine Geschichte nun mit spitzen Fingern in den Händen gehalten wird – denn, nun ja, jede Religiosität erscheint heute prinzipiell irgendwie als verdächtig und jede Beschreibung spiritueller Erfahrungen als obskur, aber so ist es eben: Wenn ein Priester seine Erlebnisse erzählt, muss davon die Rede sein!
VI.
In den Semesterferien des ersten Sommers fuhr ich allein nach Hiddensee. Ich sehnte mich nach dem Meer und hielt es im Inneren des Landes nicht mehr aus. Ich lief den Sandstrand entlang, mit den Füßen in den Wellen, wollte zum Horizont am Ende der Insel gelangen.
Dann lag ich nackt in den Dünen und blickte in von Strandhafer umkränzte Himmelsausschnitte. Ich aß nach Sommer duftende, überreife Pfirsiche. Ihr Saft lief mein Kinn herab, über Hals, Schlüsselbein und Brust, tropfte auf die Seiten meines Buches, von dem ich nicht einmal eine halbe Seite gelesen hatte; überall schienen Sand und Wind und Pfirsichsaft zu sein und ich wurde erregt wie noch nie in meinem Leben. Ich vergrub die Kerne im Sand und musste über die Vorstellung lachen, dass eines Tages in den Dünen Pfirsichbäume mit salzigen Früchten sprießen würden.
Dann sprang ich die Dünen herab und rannte windumtost und nackt - mich kennt hier ja keiner, so dachte ich - in die sich brechenden Wellen des Meeres. Die Gischt spritzte auf und ich ließ mich von der Brandung umgarnen. Das Meer und ich. Es fühlte sich so natürlich an, so vertraut, es drückte sich an mich und wollte meine Nähe, zog sich aber sofort wieder zurück,