Und in uns der Himmel. Johannes Albendorf
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Es war, als sei gar nichts geschehen.
Am nächsten Tag aber liefst du im Gang an mir vorüber, offensichtlich wolltest du zum Joggen. Du hattest einen MP3-Player dabei, entferntest den Stöpsel aus deinem linken Ohr, um mich zu grüßen und ich erkannte die Musik, es war Fleetwood Macs »Go your own Way« und ich beeindruckte dich, als ich sagte, es handele sich um die Live-Version von 1979 (mein Bruder hatte sie oft gehört, bis zum Erbrechen, ich erkannte das ekstatische Gitarrensolo).
Da – erst da! - bemerkte ich, wie schön dein Gesicht geschnitten war: Die schwarzen Brauen, die sich leicht ironisch über deine leuchtend braunen Augen wölbten. Und der Mund, dessen Oberlippe leicht vorsprang und sich entspannt und voll geschwungen auf die untere schmiegte; deine Wangenknochen, männlich, aber edel moduliert, und deine vollen, schwarzen Haare, die feine, intelligente Stirn.
Ich schaute.
Zu intensiv - es konnte kein richtiges Gespräch fließen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, nicht einmal meinen Namen konnte ich nennen. Wahrscheinlich habe ich doch etwas gesagt, aber schon während ich es sagte, hatte ich es vergessen.
Du hoffentlich auch.
»Ich bin übrigens Christian«, sagtest du.
Den ganzen Tag über ging mir das Lied nicht mehr aus dem Kopf – und vorher hatte ich es nicht einmal besonders gemocht.
IX.
Am Abend dann, es war nach 21 Uhr, begannen die hebräischen Buchstaben vor meinen Augen zu tanzen. Ich klopfte bei Jeremias und fragte ihn, ob wir noch eine Runde durch die Altstadt drehen wollten? Natürlich entging Alexanders inquisitorischem Spürsinn unser Gespräch auf dem Gang nicht und kaum hatte ich mein Zimmer verlassen, da fragte er scheinheilig, bereits gestiefelt und gespornt aus seiner Türe lugend, ob wir nicht zufälligerweise auch das Verlangen nach ein wenig frischer Luft verspürten?!
Leichter Nieselregen bestäubte die Stadt und dennoch waren die Sommerdüfte noch nicht verflogen. Mit hochgezogenen Schultern liefen wir durch die mittelalterlichen Gassen und kehrten, nicht weit vom Domhügel entfernt, ins Café Rio ein. Bambus an den Wänden, getrocknetes Schilf an der Decke, große geschnitzte Indianerstatuen zwischen den Palmen im ganzen Café.
Wir setzten uns an einen der alten Holztische. Jeremias bestellte ein Weizenbier, Alexander einen Rotwein »mit fruchtigem Abgang« und ich Bitter Lemon. Wir sprachen über die neuesten Ereignisse in der Kirche und über die Bistumspolitik, klammerten aber persönliche und theologische Themen aus – wie immer, wenn Alexander mit von der Partie war.
Die Tür des Cafés flog auf und du kamst herein, begleitet von einem Studenten aus deinem Jahrgang. Ich erkannte dich schon aus dem Augenwinkel heraus an deiner gelb-roten Windjacke. Du grüßtest uns und ihr setztet euch an den einzig frei gebliebenen Tisch, nur durch eine kleine, niedrige Wand aus Bambus von dem unsrigen getrennt.
Unter dem Tisch versuchte ich, Alexanders Knie auszuweichen, es schien bereits überall dort zu sein, wohin ich meine Beine platzieren wollte. Auf einmal hörte ich deine Stimme dicht an meinem Ohr, so warm und humorvoll und dabei gleichzeitig leicht ironisch und schön klingend, ich wollte darin ertrinken. Dabei fragtest du lediglich nach der Getränkekarte auf unserem Tisch.
Übereifrig wollte ich sie dir reichen und stieß dabei mein Glas um, aufzischend spritzte Bitter Lemon über den Tisch und auf Alexanders Oberschenkel. Verlegen reichte ich dir die nun triefende Karte und du lachtest, etwas unsicher, glaube ich.
Der Kellner wischte den Tisch ab, brachte dir ein Becks und mir eine neue Bitter Lemon.
»Christian, das brauchst du nicht«, hörte ich mich sagen, zum ersten Mal sprach ich deinen Namen aus, und er war mir so vertraut, als hätte ich meinen eigenen gesagt.
Dieses Gefühl kannte ich nicht.
Doch du winktest ab, prostetest mir mit deinem Bier zu. Ich spürte es in meinen höchstwahrscheinlich hochrot angelaufenen Ohren und Wangen kribbeln, Jeremias prostete gelassen mit seinem Hefeweizen in die Runde und Alexander müffelte nach Bitter Lemon.
Während der nächsten Tage und Wochen begann ich, bei den Mahlzeiten nach dir Ausschau zu halten und zu hoffen, in der Kirche neben dir sitzen zu können. Ich bemerkte, dass du es bemerktest.
Ich sehe dich noch vor mir, wie du mir zum ersten Mal zulächeltest, ich weiß noch genau, wo es geschah, denn es ist ein heiliger Ort für mich geworden und niemand weiß davon, nicht einmal du!
Im Schwimmbad war ich vor Alexander sicher, zumeist jedenfalls. Von den anderen Studenten wurde es nur selten genutzt, so dass ich dort oft alleine war und diese Einsamkeit genoss.
Es war nicht das Meer, aber in der Sehnsucht nach dem Ozean tanzten abertausend Lichtreflexe im Aquamarinblau. Ich liebte es, sie durch meinen Kopfsprung und meine Schwimmzüge in Bewegung zu setzen, sich erst am Beckenrand brechende Wellenkreise zu erzeugen.
Ich hörte ihr Plätschern und seufzte wohlig auf.
Prompt öffnete sich die Tür zum Schwimmbad mit ihrem Schwipp-Schwapp-Ton.
»Bitte nicht«, dachte ich – und mein Stoßgebet wurde erhört. Kein Alexander trippelte auf feinen Ledersohlen vorsichtig über die Fliesen, nein, du warst es. Überrascht lächeltest du und verschwandest in der Umkleidekabine.
Ich schwamm weiter und gab vor, meine trainierte Gleichmäßigkeit nicht unterbrechen zu wollen. Ich schwamm auch weiter, als du wiederkamst, nur mit einer blauen Badehose bekleidet. Ich konnte deinen Wuchs sehen, deine schlanken, definierten Muskeln, die schwarzen Härchen, kräftig an deinen Beinen, fein an deinen Armen, ich fand alles schön an dir und versuchte, meine Blicke nicht zu lange auf dir ruhen zu lassen.
Du lachtest und riefst irgendetwas von einem Weltrekord, den ich zu erreichen suchte.
Ich kraulte weiter.
Auch du begannst, mit ruhigen Zügen durch das Nass zu gleiten und deine Wellen umspielten meinen Körper, ich ertrug es kaum.
Nach einer Weile schwamm ich an den Beckenrand. Du hieltest neben mir, sahst mich schelmisch an, strecktest deine Hände nach meinen Schultern aus, tauchtest mich unter, es gelang dir, weil ich so überrascht war. Prustend kam ich wieder an die Oberfläche. Du lachtest und tauchtest mich noch einmal unter. Und noch einmal.
Ich musste lachen.
So sehr, wie ich seit Monaten nicht mehr gelacht hatte. Ich konnte gar nicht mehr aufhören, mich selbst auf dem Weg zu meinem Zimmer nicht beruhigen, fühlte mich erfrischt wie noch nie nach einem Bad. Komisch.
Und schön …
X.
Du würdest deine Liebe segnen lassen.
Deine Liebe zu einem anderen Mann. Ein anderer, mir fremder Mensch würde dich halten, dich lieben, dir Trost spenden und Kraft geben, sich dir schenken, ganz und gar. So vieles, was ich aus deinem Leben nicht mehr weiß.
Im Internet hätte ich nach