Und in uns der Himmel. Johannes Albendorf
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Morgen also werde ich dich sehen, nach all den Jahren wiedersehen! Was du wohl gerade tust? Ob du gerade auch an mich denkst?
Auf den Plätzen mir gegenüber sitzt ein junges Liebespaar und ich sehe in ihren Augen das, was ich einst in deinen Augen gesehen habe und was du in meinen Augen gesehen haben musst.
Verlegen blicke ich zur Seite, was mir aber nicht viel nützt, denn die Augen der beiden spiegeln sich umso heller in der Fensterscheibe des Zuges und jagen mich von dort aus mit ihrem Leuchten.
Jeder von uns angehenden Priestern war verpflichtet, während seiner Ausbildung eine Art Praktikum im kirchlichen oder sozialen Leben des Bistums zu absolvieren und konnte sich hierfür zwischen Altenheimen, Kindergärten, Krankenhäusern oder Behinderteneinrichtungen entscheiden. Meine Wahl war auf ein Jugendzentrum am östlichen Ende der Stadt gefallen. Die Jugendlichen wurden dort mit ihren Sorgen ernst genommen.
Der Regens hatte auch dir die Liste mit den in Frage kommenden Einrichtungen gegeben und so tauchtest du eines Abends im Jugendzentrum auf. Ich war überrascht, dich plötzlich im Türrahmen zu sehen, in deinen Haaren noch der Wind vom Fahrradfahren.
Eine neue Gruppe für junge Erwachsene war ins Leben gerufen worden und, um einander kennenzulernen, stellten wir uns im Kreise auf. Der Gruppenleiter Cornelius hielt ein grünes, etwas verfilztes Wollknäuel in seinen elfenartigen Händen:
»So, ihr Lieben, jeder sagt seinen Namen, ja, und erzählt ein bisschen was über sich, okay? Woher er kommt, was er sucht, was er sich von der Gruppe hier verspricht. Und dann wirft er das Knäuel zum nächsten.«
»Und was machen die Frauen?«, meldete sich ein Mädchen in Batikkleidung und Birkenstocks, klackende Muscheln um den Hals gebunden.
»Die sollen froh sein, dass sie mitmachen dürfen«, sagte Cornelius.
Verdutztes Schweigen in der Runde, lediglich die Schnappatmung der Birkenstock-Frau ließ sich nach ungefähr fünf Sekunden in der Stille vernehmen.
»Ein Scherz, nur ein Scherz«, sagte Cornelius und alle lachten, etwas gezwungen schließlich auch das Mädchen. »Ist doch klar, ich meine alle, tut mir leid, aus Einfachheit sage ich das einfach so, wir sitzen sonst ja doppelt so lange hier und schaffen halb so viel. Also, wie gesagt, mein Name ist Cornelius und ich freue mich auf euch, auf jede und jeden von euch. Ich möchte hier neue Impulse bekommen, gerne auch Hilfestellungen geben.«
Cornelius warf das Knäuel zu dem immer noch leicht verkniffen wirkenden Birkenstock-Mädel. Situativ war dies die einzig mögliche Wahl.
Birte hieß das Mädchen und sie freue sich »im Prinzip« auf die Gemeinschaft der Gruppe, sie hatte die gepiercte Nase voll von Esoterik und Astrologie und suchte nach entscheidenden und tiefen Antworten oder zumindest Fragen, nach »den letzten Dingen«, wie sie es formulierte. Besonders gern wolle sie über die Rolle der Frau in der Kirche diskutieren, sie habe da einige Fragen, aber das nur nebenbei. Ich mochte ihr unsicheres Lächeln.
Sie warf das Knäuel zu Oleg aus Polen. An seinem Revers trug er einen Anstecker mit dem Konterfei Johannes Pauls II.
Zwischen den beiden würde es zu heiteren Diskussionen kommen, soviel war klar.
Oleg warf das Knäuel zu dir. Es fiel zu Boden, kullerte auf dich zu. Du nahmst es, deine linke Augenbraue zog sich ein wenig nervös nach oben, diese Bewegung sollte ich später besonders an dir lieben lernen.
»Ich bin Christian. Ich komme aus dem Priesterseminar und ich suche einen Ort, an dem ich mein Praktikum absolvieren kann und möchte.«
Die Runde schwieg beeindruckt (Oleg) und verunsichert (Birte), man/frau war sich nicht gänzlich im klaren darüber, wie viel Maß an Ehrfurcht (Oleg) und prinzipiellem Argwohn (Birte) einem Priesteranwärter gegenüber angemessen sei.
Und so ging es weiter.
Am Ende der Gruppenstunde ging ich gemeinsam mit Cornelius nach draußen, unterhielt mich noch kurz mit ihm. Du folgtest uns, bliebst bei uns stehen, gabst Cornelius die Hand, bedanktest dich.
»Kommst du wieder?«, fragte er dich. Du wolltest dich noch ein wenig weiter umschauen, sagtest du. Cornelius schloss die Tür und da standen wir, du und ich und ich und du.
Verlegen vergrub ich meine Hände in den Hosentaschen.
»Bist du auch mit dem Fahrrad da? Wollen wir zusammen fahren?«
Es war schon spät geworden. Wir gingen zu den Fahrradständen.
»Mein Rad ist gestohlen!«, rief ich, mehr erstaunt als entrüstet.
Du hattest inzwischen dein Rad aufgeschlossen, richtetest dich auf, kamst zu mir herüber.
»Hier hat es gestanden!«
»Dann setz dich auf meinen Gepäckträger!«, schlugst du vor. Wir betrachteten dein Fahrrad genauer und mussten lachen, denn der Gepäckträger schien nur noch – hochgerechnet!- an eineinhalb Schrauben befestigt zu sein.
Noch heute, im Zug nach Köln, muss ich darüber lächeln, wie komisch wir das fanden.
»Wohl doch keine so gute Idee«, sagtest du schließlich, woraufhin eine kurze Pause intensiven Überlegens folgte.
»Du kannst dich hier auf die Stange setzen! So seitlich, wie es Kinder tun. Das wird schon gehen, komm, wir müssen los!«
Ich setzte mich also auf die Stange, du dich hinter mir auf den Sattel. Wir fuhren leicht schlitternd und schlingernd und lachend los, verstummten erst, als wir unser Gleichgewicht gefunden hatten. Ich spürte deine Arme, die mich umschlossen, während du den Lenker hieltest und, um gut sehen zu können, dein Gesicht über meine rechte Schulter schobst.
Wir fuhren durch die ruhigen Straßen, das Seminar war noch fern und über der nebligen Stadt wölbte sich irgendwo der Sternenhimmel.
Mein Kopf lag an deiner Schulter, es war einfach passiert, ich hatte es nicht bemerkt.
Es war alles so still.
Wir erreichten den Domhügel und bogen in den holprigen Dominikanergang, mussten absteigen.
Was war da geschehen - etwas Neues, Ungewohntes, etwas sehr, sehr Schönes?
Halbschlafversunken vernahm ich am nächsten Morgen ein scharrendes Geräusch und meinte, der große Hibiskus habe wieder einen seiner welk gewordenen Kelche auf die Erde fallen lassen. Schleichende Schritte hörte ich, wie aus einer anderen Welt. Ich sank zurück in Traumlandschaften, aus denen mich wenig später das Klingeln meines Weckers riss.
Sofort stand ich auf, taumelte in die Dusche und hielt zuerst nur meinen Kopf, dann meinen ganzen müden Körper unter den kalten Strahl, verrichtete meine Morgentoilette in immer noch halbwachem Zustand, mit automatisierten Bewegungen.
Erst als ich mich angezogen hatte und zum Morgengebet gehen wollte, bemerkte ich einen DinA-4–Umschlag aus braunem Packpapier vor meiner Tür. Überrascht hob ich ihn auf, wendete ihn in meinen Händen, fand weder Absender noch Adressat.
Ich zog einige Bögen Papier heraus: »Schreiben