Und in uns der Himmel. Johannes Albendorf

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Und in uns der Himmel - Johannes Albendorf

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mein Name ist Alexander. Alexander Milz.«

      Unter dem Tisch wischte ich unauffällig meine Hand ab.

      Er plapperte und kaute weiter: »Na, wenn das Essen immer so ist, lässt es sich hier ja aushalten. Eigentlich wollte ich in Rom studieren. Aber hier gibt es ja auch Frutti di Mare!«

      Ich lachte gezwungen (ich hasse Smalltalk), wodurch Alexanders Enthusiasmus jedoch zu meinem Erstaunen unverhältnismäßig befeuert wurde:

      »Haha, kennst du den? Was ist eine Predigt?«

      Ich zuckte mit den Schultern. Inzwischen hatte sich auch der Langhaarige zu uns gesetzt.

      »Ein Schlafmittel für müde Christen!«, prustete Alexander und lachte mit weit aufgerissenem Mund und nickenden Kopfbewegungen. Kneternd erklang hierbei ein nicht näher definierbares Geräusch aus den Tiefen seiner Kehle.

      »Entschuldigung, Schwester!«, rief er gleich darauf einer der warmherzigen Nonnen zu. »Gehen Sie doch bitte zur Seite, ich sehe das Fenster nicht ... sonst haben wir eine partielle Nonnenfinsternis!«

      »Du willst nach Rom?«, versuchte der Langhaarige ihn zu bremsen.

      »Ja, natürlich. Ich trage sogar schon Socken von Gammarelli!«, erklärte Alexander. »Hier« - und erstaunlich behände beugte er sich vor, lupfte seine braune Cordhose und präsentierte stolz die Socken mit dem edlen Schriftzug.

      »Wow!«, kam es vom Langhaarigen mit starrer und unbewegter Miene, nur ein kurzes Aufblitzen seiner grünen Augen verriet ihn und er stach seine Gabel in ein Stück Weißwurst. Dann wandte er sich an mich :

      »Hallo, ich heiße Jeremias!«

      »Und ich Jonas!«

      »Lauter Propheten!«, kommentierte Alexander und unterdrückte erfolglos einen Rülpser.

      »Und du bist nach dem Borgia-Papst benannt?«

      Beinahe hätte er sich verschluckt. Ich widerstand der Versuchung, ihn mit aufgerissenem Mund und nickendem Kopf zum Mitlachen zu animieren. Jeremias erging es ebenso.

      Irgendwann wusste ich nicht mehr, mit wem ich über was gesprochen hatte. Es waren zuviele Eindrücke und in meinem Kopf begannen sich die Gesichter und die eventuell dazugehörenden Namen und Geschichten zu verdrehen.

      In der Nacht trat ich noch einmal auf meinen Balkon. Das Licht des Vollmonds umhüllte kühl die Kastanie im Hof, schien die alten Dächer und Mauern zu fragen, ob sein Streicheln genehm sei.

      IV.

      Und so startete meine klerikale Laufbahn. Je mehr ich im ersten Jahr auf dem Seminar lernte, desto intensiver wurde mir klar, was es noch alles zu erforschen gab. Immer weitere Felder taten sich auf, überall. Es war eine Zeit des Erkundens, nicht nur im »Äußeren«, im Studium, sondern auch im »Inneren«, in mir. Ich wollte mich Gott schenken, diese Gewissheit wuchs kontinuierlich mit jedem Tag. Ich hatte keine Zweifel, nur den, ob ich es schaffen, ob ich genügen würde.

      Der Tagesablauf war streng strukturiert, was beim Studieren unglaublich half. Der Morgen begann mit der Laudes, gefolgt vom Frühstück und den Vorlesungen in der Fakultät. Im Seminar standen uns eine hervorragend sortierte Bibliothek und ein Lesezimmer mit allen wichtigen Wochenmagazinen und Tageszeitungen zur Verfügung.

      »Zur körperlichen Ertüchtigung«, wie es Kotulla mit geschürzten Lippen nannte, befand sich ein herrliches Schwimmbad im Keller des Seminars. Ich nutzte es täglich.

      Seltsam, aber wenn ich an das erste Jahr zurückdenke, dann kommen mir vor allem die Witze von Alexander in den Sinn, und ich muss noch heute, im Zug zu Dir, die Augen verdrehen:

      »Was ist eine Pastorale?«, so fragte er etwa beim Essen, den Vorgang des gabelnden Schaufelns nur für den Bruchteil einer Sekunde unterbrechend.

      Jedermann schüttelte routiniert den Kopf oder zuckte mit den Schultern.

      »Die Frau eines Pastors!«, prustete er, wobei sich zu den bereits vorhandenen Soßenspritzern um seinen Teller herum einzelne Kasseler- oder Sauerkrautpartikel drapierten.

      Und so ging es weiter: Ein Prälat? Ein katholischer Dompfaff.

      Ein Bischof im vollen Ornat? Eine Prozession auf zwei Beinen.

      Gott bewahre mich davor, jemals einen dieser Witze zum besten zu geben, und sei es nur aus Verzweiflung!

      Alexander war wie ein Vampir, der kein Blut, sondern Energie und letzte Nerven aus den Menschen saugte, und wie alle anstrengenden Menschen war er auf nicht näher beschreibbare Weise omnipräsent. Egal, wo immer ich war, ob ich im Schwimmbad meine Bahnen zog, in meinem Zimmer lernte oder sogar auf meinen Jogging-Runden – immer wieder tauchte Alexander auf und gab einen neuen Prälatenwitz zum besten, zumindest erscheint es mir im Rückblick so. Wo er diesen Unsinn nur herhatte? Ob er das wirklich lustig fand?

      Nur wenn der Erzbischof im Seminar weilte, war ich vor Alexander sicher. Dann scharwenzelte er um die ihm mehr oder weniger ausgelieferte Eminenz herum und schnappte begierig Informationen über alles und jeden auf, denn Wissen, so raunte er mir verschwörerisch zu, Wissen sei Macht.

      Einmal - da war er allerdings betrunken und hatte »Am Tag als der Regens kam« gesungen - gab er zu, eine Karriere in der Kurie anzustreben. Als ob ihn seine Gammarelli-Socken nicht längst verraten hätten.

      Inzwischen war es Winter geworden.

      Besonders befreundete ich mich mit Jeremias. Im Gegensatz zu mir empfand er den Ruf, Priester zu sein, nicht vornehmlich als Erfüllung, sondern als Herausforderung. Oft plagten ihn Zweifel und er fragte sich, ob das, was er hier tat, das war, was Gott von ihm wollte. Was, wenn das Ganze ein gewaltiger Irrtum war?

      Einmal, als wir von einem unserer langen Spaziergänge zurückkehrten, waberte ein kaltblauer Himmel über dem Domhügel.

      »Hast du eigentlich nie Zweifel?« fragte er mich.

      »Ganz selten«, antwortete ich. »Ich wollte immer Priester werden, schon als Kind … wenn man das so sagen kann.«

      »Ist nicht dein Ernst!«

      »Doch! Ich habe schon als Kind das Segnen geliebt. Die Priester haben mich sehr beeindruckt, wie sie den Segen vom Himmel auf die Erde brachten. Für mich drückten diese schönen und würdevollen Handbewegungen wirklich etwas aus und waren keine Attitüde. Umso größer aber mein Erschrecken, als unser Pfarrer in einer Predigt sagte, ein Mangel an Segen wirke auf den Menschen wie ein Mangel an Sonne und an Liebe, ja sogar an Vitaminen!«

      »Das hat er gesagt? Mit den Vitaminen?«

      »Ja, das verstand doch jeder – sogar ich als Kind. Denn Vitamine stecken in Orangen und wenn ich die nicht esse, würde ich krank werden, so hatte ich es ja schon im Kindergarten gelernt.«

      »Bestechend.«

      »Ja, nicht wahr? Außerdem hatte ich gelernt, dass der Segen, quasi wie die Orangen, Gutes tun oder Wunder bewirken soll, für die Menschen und für die ganze Schöpfung. Also musste hier gehandelt werden!«

      Wir lachten.

      »Hey,

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