Sprachgewalt. Группа авторов

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der politischen Macht, um Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Obwohl »das Volk« hier also nicht die Bevölkerung als Ganzes meinte, wurde die Parole jedoch nicht verwendet, um eine Gruppe zu privilegieren und andere vom nationalen System auszuschließen. Etwas komplizierter liegt der Fall der Black Panthers, deren Parole »Alle Macht dem Volk« benutzt wurde, um die Sache des Schwarzen Nationalismus voranzubringen. Bezeichnenderweise erinnerte ihr »Zehn-Punkte-Programm« jedoch an die Bill of Rights der US-Verfassung.10 Der Schwarze Nationalismus war eine Reaktion auf den Ausschluss aus dem »Wir« in der Formulierung »Wir, das Volk der Vereinigten Staaten«. Wenn jedes politische Programm, das Reformen, eine Revolution oder sogar Unabhängigkeit im Namen der Gerechtigkeit anstrebt, populistisch ist, dann ist Populismus entweder nicht mehr abwertend oder das Wort verliert jegliche Bedeutung. (In manchen Fällen kann der Ausdruck »das Volk« jedoch zwischen einem populistischen und einem nicht populistischen Gebrauch schwanken – und diese Zweideutigkeit nutzen populistische Politiker gerne aus).

      Wie wird dann der Ausdruck »das Volk« in einem eindeutig populistischen Diskurs verwendet? Wer sind »die Menschen« in der Weltanschauung des Hardcore-Populismus? Um diese Frage zu beantworten, möchte ich ein Beispiel nennen: Reden von Nigel Farage aus dem Jahr 2016, als sich Großbritannien für den Brexit (Juni) und die USA sich für Trump (November) entschieden.11 In meinen Kommentaren zu den Redeauszügen werde ich Merkmale einfügen, die Farage zwar so explizit nicht ausgesprochen hat, die aber Teil seines Subtextes sind, auf den es hier ankommt.

      In den frühen Morgenstunden des 24. Juni 2016, einem Freitag, einen Tag nach dem Referendum über den Verbleib in der EU, sprach Farage, der damals die UK Independence Party (UKIP) führte, auf einer Kundgebung zu seinen Anhängern. Das Ergebnis war noch nicht offiziell bekannt gegeben worden, doch zeichnete sich der Sieg der Austrittskampagne bereits deutlich ab. In einer kurzen Rede gelang es ihm, mehrere Schlüsselkomponenten eines klassisch-populistischen Diskurses zusammenzufassen. Das Ergebnis, so sagte er, »wird ein Sieg für echte Menschen sein, ein Sieg für normale Menschen, ein Sieg für anständige Menschen«12. Bei dieser Gelegenheit setzte er den bestimmten Artikel »der« nicht vor »Menschen«, aber er war in seiner Rhetorik implizit enthalten. Doch wenig später wurde er deutlicher, als er auf einer Wahlkundgebung für Trump in Mississippi sprach und explizit sagte, er bringe »eine Botschaft der Hoffnung« aus dem Vereinigten Königreich. »Es ist eine Botschaft, die besagt, wenn die kleinen Leute, wenn die wirklichen Leute, wenn die einfachen, anständigen Leute bereit sind, aufzustehen und für das, woran sie glauben, zu kämpfen, dann können wir die großen Banken überwinden, dann können wir die multinationalen Unternehmen überwinden.«13 In der Brexit-Rede vom 24. Juni hatte er die Liste jener Kräfte, die »wir« überwinden können, noch erweitert: »Wir haben gegen die multinationalen Konzerne gekämpft, wir haben gegen die großen Handelsbanken gekämpft, wir haben gegen die große Politik gekämpft, wir haben gegen Lügen, Korruption und Betrug gekämpft«.14

      Hier liegt, kurz gesagt, der harte Kern der populistischen Weltanschauung. In gewisser Weise ist es eine einfache Welt, eine Welt, die aus einem einfachen Kampf oder Konflikt besteht. Auf der einen Seite steht »das Volk«, auf der anderen Seite seine Feinde und Ausbeuter. Das Volk ist »echt« anstatt unauthentisch, »gewöhnlich« im Vergleich zu der Elite, »anständig« im Gegensatz zu den Überbringern von »Lügen, Korruption und Betrug«. Farage nennt diese Leute »klein«: Sie sind klein, weil es ihnen an den Ressourcen der »großen Politik«, der »großen Handelsbanken« und der »multinationalen Konzerne« mangele. Das Wort »multinational« ist rhetorisch aufgeladen, denn »das Volk« ist gleichbedeutend mit »die Nation«, was das Gegenteil von »multi« ist. »Das Volk« ist ein homogener Block mit einem einheitlichen Willen und spricht (außer wenn es gerade »die schweigende Mehrheit« ist) mit einer einzigen Stimme. Ein Volk, ein Wille, eine Stimme. Farage, der sich mit »dem Volk« identifiziert, glaubt, dass er für das Volk sprechen kann. Somit werden seine persönliche Stimme und die Vox populi eins. Aus »wir, das Volk« wird »ich, das Volk«. Dies ist die klassische Stimmlage der Hardcore-Populisten.

      Wenn man dies einmal durchbuchstabiert, wird jede Behauptung, dass »populistisch« und »demokratisch« ununterscheidbar wären, lächerlich. Richtig artikulierter Hardcore-Populismus ist, wie ich eingangs sagte, eine Bedrohung für die Idee einer gerechten, offenen und demokratischen Gesellschaft an sich. In den USA ist Bernie Sanders als Populist gebrandmarkt worden, ebenso wie Jeremy Corbyn in Großbritannien.15 Doch gemessen an den Beispielen dieses Essays – gemessen an der Struktur der Weltanschauung des Hardcore-Populismus – verdient weder Sanders noch Corbyn diese Beschreibung, selbst wenn es in deren Rhetorik populistische Elemente gibt. Es ist nicht unmöglich, Hardcore-Populisten auf der linken Seite zu finden, aber die überwältigende Bedrohung kommt heute – in Europa wie den USA – von rechts. Der Rechtspopulismus bietet viele Varianten desselben Themas: »das Volk«, ethnisch oder rassisch definiert, gegenüber einem oder mehreren anderen, die nicht dazu gehören: Juden, Muslime, Türken, Schwarze, Mexikaner, »Einwanderer« und so weiter.

      Wenn es heute in Europa und den USA eine politische Bedrohung gibt, die noch größer ist als der Populismus, dann ist es das weitverbreitete Versagen der etablierten politischen Parteien und Persönlichkeiten, ihm die Stirn zu bieten. Der verhängnisvolle erste Schritt besteht darin, sich damit abzufinden, wie Populisten die Sprache verwenden. Ein Beispiel dafür ist »der Wille des Volkes« – eine Formulierung, die im Vereinigten Königreich routinemäßig verwendet wurde, wenn es um das Ergebnis des Brexit-Referendums ging. Sogar Remainer, die sich für den Verbleib und gegen den Austritt aussprachen, neigten dazu, den Gedanken zu akzeptieren, dass das Ergebnis »den Willen des Volkes« zum Ausdruck bringe. Allerdings muss man die Wahlmöglichkeiten auf dem Stimmzettel genau bedenken: Kreuzen Sie »Mitglied der Europäischen Union bleiben« oder »Die Europäische Union verlassen« an. Die erste Option beschrieb den Status quo, eine bekannte Größe. Die zweite Option stand für eine total unbekannte Größe (die selbst zu dem Zeitpunkt, als dieser Essay geschrieben wurde, im Herbst 2020, in entscheidenden Punkten noch unbekannt ist). Bedenken Sie, dass die Wahlbeteiligung nur 72,21 Prozent betrug. Bedenken Sie ferner, dass die Abstimmung fast fifty-fifty ausging und das Vereinigte Königreich teilte: 51,89 Prozent für den Austritt, 48,11 Prozent für den Verbleib. Darüber hinaus stimmten von den vier Ländern des Vereinigten Königreichs zwei (England und Wales) für den Austritt, während zwei (Schottland und Nordirland) für den Verbleib stimmten.16 Zumindest legen diese Fakten nahe, dass die Verwendung des Ausdrucks »der Wille des Volkes« zur Beschreibung des Wahlergebnisses nicht taugt. Welches Volk? Wessen Wille? Wille mit welchem Wissens- oder Überzeugungsgrad? Und so weiter.

      Es geht hier nicht um die Formulierung als solche. Es geht auch nicht um den Brexit, der von einigen aus Gründen unterstützt wurde, die weder populistisch noch nationalistisch waren. Es geht um die Art und Weise zu sprechen. Wenn »der Wille des Volkes« eine rein empirische Bedeutung hätte, dann hieße die Kurzform lediglich »die Mehrheit derer, die gewählt haben«. Aber in der öffentlichen Debatte, die auf das Ergebnis des Referendums folgte, schien sich der Ausdruck auf eine transzendente Einheit zu beziehen, »das Volk«, und einen metaphysischen »Willen«, der irgendwie alle Unterschiede in sich selbst aufhob; ein heiliger Wille; ein Wille, den man nicht infrage stellen konnte. Jeder, der das Ergebnis des Referendums bezweifelte, konnte leicht als undemokratisch bezeichnet werden – was natürlich selbst undemokratisch war. Aber die Stimmung im Land zeugte davon, dass die Menschen dies im Allgemeinen nicht erkannten. Es war wie ein böser Zauber, der über ein ganzes Volk gelegt wurde, ohne dass George Orwell ihn zerstreuen konnte.17 Es war unheimlich.

      In gewisser Weise war dies ein größerer Triumph für Farage als der Brexit. Die Sprache ist die Seele eines Volkes. Wenn man die Sprache besitzt, besitzt man auch das Volk. In ganz Großbritannien sprachen die Menschen à la Farage, auf seine Art und Weise, übernahmen seine Syntax, als ob sie ein Pint Bier aus einem gemeinsamen Glas mit einem gemeinsamen Henkel tranken. (Ein Volk, ein Durst, ein Glas.) Es gab sogar prominente Brexit-Gegner, die das Ergebnis des Referendums als vollendete Tatsache zu akzeptieren bereit waren. Zum Beispiel der Schattenfinanzminister aus der Labour-Partei, John McDonnell. In der Today-Sendung von BBC Radio

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