Stolz und Vorurteil. Jane Austen
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Читать онлайн книгу Stolz und Vorurteil - Jane Austen страница 20
Elizabeth rechnete ihm diese Anhänglichkeit hoch an und fand ihn dadurch noch anziehender.
»Aber warum hat er das wohl getan? Was kann ihn zu dieser Grausamkeit veranlasst haben?«, fragte sie nach einer Pause.
»Eine tiefe und unausrottbare Abneigung gegen mich – eine Abneigung, die ich in gewisser Weise nur der Eifersucht zuschreiben kann. Hätte der verstorbene Mr. Darcy mich weniger gern gehabt, könnte sein Sohn mich besser leiden. Aber die ungewöhnliche Zuneigung seines Vaters zu mir hat ihn, glaube ich, schon früh im Leben gewurmt. Er war unserer Rivalität nicht gewachsen, dem Vorzug, der mir oft gegeben wurde.«
»Für so schlecht hätte ich Mr. Darcy denn doch nicht gehalten; obwohl ich ihn nicht ausstehen kann, das hätte ich ihm nicht zugetraut. Von seiner Menschenverachtung war ich überzeugt, aber dass er sich so niederträchtig rächt, so ungerecht, so unmenschlich aufführt, hätte ich nicht gedacht.«
Aber nach kurzem Nachdenken fuhr sie fort: »Ich erinnere mich allerdings, dass er einmal in Netherfield mit der Unversöhnlichkeit seiner Gefühle und seiner Unnachgiebigkeit geprotzt hat. Er muss ein abscheulicher Mensch sein.«
»Ich bin ihm gegenüber nicht unvoreingenommen«, erwiderte Wickham, »und kann deshalb nicht urteilen.«
Elizabeth versank wieder in tiefes Nachdenken und rief nach einiger Zeit aus: »Das Patenkind, den Freund, den Günstling seines Vaters so zu behandeln!« Sie hätte hinzufügen können: »Einen jungen Mann wie Sie, dessen Gesicht schon für seine Ehrlichkeit bürgt« – aber sie begnügte sich mit: »Und noch dazu den Freund, mit dem er von frühester Jugend an, wie Sie gesagt haben, so eng verbunden war!«
»Wir sind in demselben Ort geboren, auf demselben Besitz, den größten Teil unserer Kindheit haben wir gemeinsam verbracht; wir haben in demselben Haus gewohnt und die gleichen Freuden, die gleiche väterliche Liebe geteilt. Mein Vater begann sein Berufsleben in dem Fach, dem Ihr Onkel Philips offenbar so viel Ehre antut, aber er gab alles auf, um sich dem verstorbenen Mr. Darcy nützlich zu erweisen, und widmete seine ganze Zeit der Verwaltung Pemberleys. Mr. Darcy schätzte ihn hoch als engen und vertrauten Freund und hat oft zugegeben, dass er meinem Vater für die geschickte Verwaltung von Pemberley tief verpflichtet sei, und als er ihm kurz vor seinem Tode die Zusicherung gab, für mich zu sorgen, war ich überzeugt, er wollte sich dadurch ebenso sehr meinem Vater dankbar erweisen wie mir seine Zuneigung zeigen.«
»Wie sonderbar!«, rief Elizabeth, »wie abscheulich! Ich frage mich, warum dieser Mr. Darcy nicht schon aus Stolz Ihnen gegenüber gerecht war, wenigstens aus dem Stolz heraus, nicht charakterlos zu handeln, und Charakterlosigkeit muss ich es nennen.«
»Es ist schon erstaunlich«, erwiderte Wickham, »denn alle seine Handlungen lassen sich auf Stolz zurückführen, und Stolz war oft sein bester Freund. Er hat mehr genützt als geschadet. Aber keiner von uns ist konsequent. Bei seinem Verhalten mir gegenüber waren noch andere Beweggründe als Stolz im Spiel.«
»Kann ein so abscheulicher Stolz wie seiner ihm jemals genützt haben?«
»Ja, oft hat er ihn tolerant und großzügig gemacht, freigebig und gastfreundlich, hilfsbereit seinen Pächtern und den Armen gegenüber. Familienstolz und der Stolz des Sohnes – denn er war stolz auf seinen Vater – kommen darin zum Ausdruck. Möglichst nicht die Familienehre zu verletzen, von den anerkannten Werten abzuweichen oder den Einfluss von Pemberley zu verspielen, das sind starke Impulse. Außerdem besitzt er brüderlichen Stolz, sogar so etwas wie brüderliche Liebe, und beides macht ihn zu einem sehr verständnisvollen und besorgten Vormund seiner Schwester, und deshalb werden Sie auch überall hören, wie man sein Lob als fürsorglichsten und besten aller Brüder in lauten Tönen singt.«
»Was für ein Mädchen ist Miss Darcy?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich wäre froh, wenn ich sie als liebenswürdig bezeichnen könnte. Es tut mir weh, einem Mitglied der Familie Darcy Schlechtes nachzusagen. Aber sie ist ihrem Bruder zu ähnlich – stolz, überstolz. Als Kind war sie anhänglich und reizend, und sie hing sehr an mir. Stunde um Stunde habe ich damit verbracht, mit ihr zu spielen. Aber jetzt bedeutet sie mir nichts mehr. Sie ist hübsch, ungefähr fünfzehn oder sechzehn und angeblich sehr gebildet. Seit dem Tod ihres Vaters wohnt sie in London bei einer Dame, die mit ihrer Erziehung beauftragt ist.«
Nach vielen Pausen und vielen Abschweifungen konnte Elizabeth sich nicht beherrschen und kam noch einmal auf die eigentliche Unterhaltung zurück.
»Ich wundere mich über seine Freundschaft mit Mr. Bingley! Wie kann ein anscheinend so umgänglicher und wirklich liebenswerter Mensch wie Mr. Bingley auf so vertrautem Fuß mit solch einem Mann stehen? Sie passen doch gar nicht zueinander. Kennen Sie Mr. Bingley?«
»Nein, gar nicht.«
»Er ist verträglich, liebenswert und charmant. Er muss sich in Mr. Darcy täuschen.«
»Wahrscheinlich – aber wenn Mr. Darcy will, kann er sehr für sich einnehmen. Talent genug dazu hat er. Er ist ein unterhaltsamer Freund, wenn es ihm der Mühe wert erscheint. Unter seinesgleichen benimmt er sich völlig anders als gegenüber weniger Wohlhabenden. Seinen Stolz gibt er nie auf, aber unter reichen Leuten ist er tolerant, gerecht, aufrichtig, einsichtig, anständig und vielleicht umgänglich – Geld und Geltung imponieren ihm.«
Kurz darauf brach die Whistpartie ab, die Spieler scharten sich um den anderen Tisch, und Mr. Collins setzte sich zwischen seine Cousine Elizabeth und Mrs. Philips. Diese stellte die üblichen höflichen Fragen nach seinem Abschneiden beim Spiel. Es war nicht allzu gut, er hatte ständig verloren. Aber als Mrs. Philips ihn deshalb zu bedauern begann, versicherte er ihr feierlich und gemessen, es sei nicht der Rede wert. Geld spiele für ihn keine Rolle, und er bat sie, sich nicht unnütz zu beunruhigen.
»Ich weiß, Madam«, sagte er, »wenn man sich an den Kartentisch setzt, muss man zum Risiko bereit sein – und glücklicherweise befinde ich mich nicht in Umständen, die den Verlust von fünf Schilling zur Tragödie machen. Zweifellos dürfen sich nicht alle Menschen so glücklich schätzen, aber dank Lady Catherine de Bourgh bin ich der Notwendigkeit enthoben, mich um Kleinigkeiten zu sorgen.«
Mr. Wickham wurde aufmerksam, und nach einigen kurzen Blicken auf Mr. Collins fragte er Elizabeth leise, ob ihr Verwandter mit der Familie de Bourgh engere Beziehungen habe.
»Lady Catherine de Bourgh«, antwortete sie, »hat ihn vor kurzem als Gemeindepfarrer eingesetzt. Ich weiß nicht, wie sie auf ihn aufmerksam geworden ist, aber jedenfalls kennt sie ihn noch nicht lange.«
»Sie wissen natürlich, dass Lady Catherine de Bourgh und Lady Anne Darcy Schwestern waren; folglich ist sie die Tante des jetzigen Mr. Darcy.«
»Nein, ich hatte keine Ahnung davon. Ich kenne Lady Catherines Familienverhältnisse gar nicht. Bis vorgestern hatte ich von ihrer Existenz noch nie gehört.«
»Ihre Tochter, Miss de Bourgh, erbt ein riesiges Vermögen, und es wird allgemein angenommen, dass sie und ihr Vetter ihren Besitz vereinigen werden.«
Diese Auskunft brachte Elizabeth zum Lächeln, als sie an die arme Miss Bingley dachte. Umsonst waren all ihre Anstrengungen, umsonst und nutzlos ihre Zuneigung zu seiner Schwester und ihre Lobhudeleien für ihn, wenn er schon einer anderen versprochen war.
»Mr. Collins«, sagte Elizabeth, »ist von Lady Catherine und ihrer Tochter begeistert, aber aus einigen Andeutungen, die er über die Frau Baronin gemacht hat, entnehme ich, dass seine Dankbarkeit ihn blind macht und sie eine arrogante, eingebildete Person ist, obwohl sie sich seiner angenommen hat.«
»Beides