Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021. Alfred Bekker
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„Komm Li, lass uns gehen!“, forderte Gao.
„Da war Bruder Anastasius!“
„Ach, Li! Das war nur einer unter vielen Männern mit langen Bärten! Die sehen doch alle gleich aus! Du wirst dich vertan haben!“
„Das glaube ich nicht. Gao, sie werden sicher zur Grabeskirche gegangen sein. Vielleicht...“ Noch einmal ließ sie suchend den Blick schweifen und stellte sich dabei auf die Zehenspitzen, aber von den singenden Mönchen war nichts mehr zu sehen. Ihre Gesänge vermischten sich mit dem Stimmengewirr und dem Lärm der Gasse und waren dann auch schließlich nicht mehr zu hören.
Li seufzte und sah Gao an. „Vielleicht nützt es was, wenn du dort betest, wo Jesus gekreuzigt wurde. Der Glaube an Mohammed hat dir nicht geholfen – genauso wenig wie die Medizin der Ärzte oder die Geister unserer Ahnen. Vielleicht ist dieser Glaube stärker!“
Aber Gao schüttelte den Kopf. „Nein, ich werde auf keinen Fall mit dir gehen“, erklärte er.
„Wieso nicht?“
„Du weißt doch, dass ich inzwischen Muslim bin...“
„Na und?“
„Und du weißt auch, dass ein Muslim, der zum Christentum übertritt, damit ein todeswürdiges Verbrechen begeht!“
„Wer sagt denn, dass du gleich Christ wirst?“
„Ich will aber auch nicht, dass jemand denkt, dass ich das tun wollte.“
„Dann werde ich allein gehen!“, kündigte Li an.
––––––––
Licht drang durch hohe Fenster und schimmerte aus den Nischen, in denen Kerzen brannten. Li hatte das Eingangsatrium der Grabeskirche durchschritten und erreichte nun die Basilika. Staunend schweifte ihr Blick durch den großen, von Säulen erfüllten Raum. Im Seitenschiff waren einige Mönche ins Gebet vertieft. Aber keiner von ihnen schien Bruder Anastasius zu sein. War sie am Ende doch ihrem Wunschdenken erlegen? Vielleicht hatte Gao in diesem Punkt recht. Und wenn schon!, dachte sie trotzig. Wenn er glaubte, dass es ihm als Muslim nicht erlaubt war, hier zu beten, dann würde sie das eben für ihn tun. Es konnte doch schließlich nicht schaden, so viel übernatürlichen Beistand wie nur irgend möglich herbeizurufen – und das natürlich vor all dann, wenn man sowieso schon in einer völlig hoffnungslos erscheinenden Lage war. Genau das traf auf Gao zu. Er hatte nichts zu verlieren.
Sie durchschritt das Mittelschiff und beobachtete überall in den einzelnen Nischen Gruppen von Gläubigen oder Mönche, die beteten. In den Nischen befanden sich tempelähnliche Aufbauten, die sie an steinerne Schreine erinnerte. Sie erreichte den Chor. Und gelangte in ein zweites, größeres Atrium, das von einem Säulengang umgeben wurde. Diesem folgte sie zu einem ebenfalls von Säulen gesäumten Rundgang, in dessen Mitte sich ein weiterer steinerner Aufbau fand. Sie sah einige Mönche davor beten und murmelte selbst ein paar Worte vor sich hin, wobei sie sich fragte, ob es nicht ziemlich vermessen war, von einem Gott Hilfe zu erwarten, zu dessen Glauben man sich gar nicht bekannt hatte.
Möge unser Schicksal zum Guten gewendet werden!, dachte sie. Vor allem das von Gao, der nichts getan hat, um diese schreckliche Krankheit zu verdienen...
––––––––
Li hörte Schritte, die sie aus ihrer Versenkung, in der sie sich für wenige Augenblicke befunden hatte, ablenkten. Sie wandte den Kopf und sah einen Mönch, der jetzt stehengeblieben war und ihren erstaunten Blick erwiderte.
Sie hatte sich nicht getäuscht, als sie geglaubt hatte, Bruder Anastasius im Gedränge auf der Straße erkannt zu haben.
Nun stand er da und starrte sie an, als wäre sie selbst eine überirdische Erscheinung. Er näherte sich ihr. Li bemerkte, dass er sich mit einer blau gefärbten Kordel umgürtet hatte, so wie es offenbar in dieser Stadt für Christen üblich war.
„So führen uns die Wege des Herrn wieder zusammen“, sagte Bruder Anastasius.
„Seid gegrüßt, Bruder Anastasius. Wart Ihr nicht eigentlich auf dem Weg nach Konstantinopel?“
„Gewiss – und das bin ich noch. Aber in Syrien herrscht Krieg. Nicht etwa zwischen Christen und Muslimen, sondern unter den Muslimen selbst. Und außerdem wurde ich in Bagdad Opfer von Straßenräubern, die mich in einer engen Gasse überwältigt haben und ohne eine einzige Kupfermünze zurückließen.“
„Wie gedenkt Ihr nach Konstantinopel zu gelangen?“, fragte Li.
„Mit einem Schiff. Ein normannischer Händler namens Ragnar der Weitgereiste weilt zur Zeit hier in Jerusalem und folgt seine verworrenen Geschäften. Er ist ein Veteran der Waräger-Garde und hat beste Verbindungen zu höchsten Würdenträgern. Man sagt sogar, dass der Kaiser ihm bei irgendeiner Gelegenheit sein Leben verdankte.“
„Und er wird Euch mitnehmen, ohne etwas dafür zu verlangen?“
Bruder Anastasius schüttelte den Kopf. „Deine Frage klingt fast so, als würdest du ihn kennen und um seinen ausgeprägten Geschäftssinn wissen. Er nimmt mich mit, weil er glaubt, dass es ihm Glück bringt, einen Mann Gottes an Bord zu haben. Inzwischen mache ich mich im Muristan nützlich, und helfe die Kranken zu pflegen...“
„Muristan – ein Irrenhaus?“, vergewisserte sich Li, die den persischen Ursprung dieses Wortes gleich erkannte.
Bruder Anastasius lächelte nachsichtig. „Nein, es ist ein Spital für kranke Pilger und Fremde, die sich nicht mehr selbst helfen können.“
„Gibt es gute Ärzte dort?“
„Ja, die gibt es, ohne dass ich behaupten möchte, dass letztlich zu beurteilen zu können. Ich bin schließlich nur in einem geringen Maß heilkundig. Doch warum willst du das wissen?“
Und so erzählte Li von Gao und ihrer Verzweiflung, was seinen sich stetig verschlechternden Zustand anging. „Sollte es ihm eines Tages noch schlechter gehen – glaubt Ihr, das man ihn dort aufnehmen und behandeln würde.“
„Gewiss.“
„Obwohl er Muslim ist?“
„Auch dann. Allerdings sollte er das Muristan im Moment meiden. Es grassiert gerade ein schlimmes Fieber in der Stadt, dass besonders unter den Pilgern wütet. Das Muristan