Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021. Alfred Bekker

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Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021 - Alfred Bekker

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      Am nächsten Morgen wachte Li in aller Frühe auf. Sie war schweißgebadet. Ein wirrer Albtraum hatte sie heimgesucht – oder eine düstere Ahnung. Die Sonne war gerade aufgegangen und die ersten Strahlen schienen in den Stall hinein. Ragnar und seine Normannen holten ihre Pferde aus dem Stall und sattelten sie. Wenig später hörte Li, wie sie den Innenhof verließen. Ein halbes Dutzend Reiter, die ihren Pferden die Sporen gaben und auf die an der Küste ein Schiff wartete, das sie nach Konstantinopel brachte.

      Dieser Ort erschien einmal mehr wie ein Traum.

      Es musste das westliche Gegenstück zum herrlichen Bian sein, von dem ihr Vater immer so voller Ergriffenheit und Bewunderung geschwärmt hatte. Aber es schien wohl ihr Schicksal zu sein, eines Tages die Augen zu schließen und keine der beiden erhabendsten Städte dieser Welt gesehen zu haben, die zusammen die zwei gleichschweren Gewichte einer großen Waage bildeten.

      Li stand auf und ging zum Lager ihres Vaters. Er atmete nicht mehr und schien friedlich eingeschlafen zu sein.

      In diesem Moment hörte sie Schritte und ein knarrendes Geräusch. Ein Pferd schnaubte, als die Stalltür geöffnet wurde und jemand eintrat. Li drehte sich um – noch völlig unter dem Eindruck der schrecklichen Gewissheit, die sie nun hatte. Sie war in Zukunft allein und vollkommen auf sich gestellt. Nur mit Mühe konnte sie ihre Tränen zurückhalten.

      Es war Jarmila, die den Stall betreten hatte.

      Sie blickte zuerst Li an, dann glitt ihr Blick zu Meister Wang. „Nicht nur du hast in dieser Nacht einen geliebten Menschen verloren“, sagte sie.

      „Aber...“ Li war einen Moment lang etwas verwirrt. Dann ahnte sie, wovon Jarmila sprach. „Fadia?“

      „Ja. Firuz wacht an ihrem Bett. Das hat er schon die ganzen letzten Tage getan und ich glaube, er wird eine ganze Weile an nichts anderes denken können, als an seine Trauer. Aber es wird der Tag kommen, da er sie vergessen wird – und dann gehört sein Herz allein mir.“

      „Jarmila, ich...“

      „Spar dir deine Worte, Basma! Alles, was du sagen könntest, wäre unpassend und falsch. Hilf mir lieber ein Pferd zu satteln.“

      „Wie bitte?“

      „Der Normanne wartet am Davidstor auf dich, wenn du dich beeilst. Er wird dich mit nach Konstantinopel nehmen.“

      „Warum sollte er das tun?“

      „Weil ich ihm dafür einen der Steine gegeben habe, die Firuz aus Indien mitgebracht hat. Und weil er weiß, dass er in mir immer eine Fürsprecherin haben wird, wenn er in ein paar Monaten oder Jahren erneut nach Jerusalem kommt und mit Firuz ein Geschäft machen will!“

      Li schluckte. Sie blickte zu ihrem toten Vater, während Jarmila bereits eine Decke auf einen der Pferderücken legte. „Nun hilf mir endlich, du Närrin! Du wirst nur diese eine Möglichkeit zur Flucht haben! Oder ist es dir lieber so lange zu warten, bis dich entweder das Fieber mit seinem üblen Atem angehaucht hat oder man dich totschlägt, weil sich irgendwann bei allen herumgesprochen haben wird, dass du eine böse Dschinn-Frau bist!“

      „Ich kann meinen Vater so nicht liegen lassen.“

      „Um ihn wird man sich kümmern“, sagte Jarmila. „Aber du solltest nicht an die Toten denken, sondern an die Lebenden! Und jetzt hilf mir! Schlimmer als eine verfluchte Dschinn-Frau ist ein dummer Dschinn, der anscheinend von dir Besitz ergriffen hat!“

      ––––––––

      Einen Augenblick lang zögerte Li. So viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Es gab Momente, in denen sich alles änderte und nichts von dem, was einem zuvor gewiss erschienen war, seine Gewissheit behielt. Dies war wohl so ein Augenblick. „Vater...“, murmelte sie und berührte leicht seine Wange. Tränen glitzerten in ihren Augen. Dann stand sie auf und half Jarmila beim Satteln des Pferdes.

      „Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll“, sagte Li schließlich, bevor sie sich in den Sattel schwang.

      „Du brauchst mir gar nicht zu danken“, erwiderte Jarmila. „Ich habe das alles nämlich nicht für dich getan – sondern um meinetwillen.“

      ––––––––

      Ragnars Männer warteten, wie Jarmila es gesagt hatte, an den Mauern des Davidsturms. Offenbar hatte Jarmila verhindern wollen, dass irgendjemand sah, wie sie zusammen mit den Normannen die Stadt verließ.

      Bruder Anastasius hatte sich bei der Gruppe eingefunden. Allerdings ritt er auf einem Esel. „Gerade so, wie es sich für jemanden geziemt, der es dem Beispiel unseres Herrn gleichtun will“, sagte er dazu.

      „Ich möchte keine Zeit mehr verlieren“, erklärte Ragnar der Weitgereiste. „Der üble Atem der Pestilenz scheint hier aus allen Erdspalten hervorzuquellen, sodass man sich auf Dauer wohl nicht davor schützen kann!“

      Einmal noch, als sie bereits die Stadttore ein ganzes Stück hinter sich gelassen hatten, zügelte Li ihr Pferd und drehte sich um. Sie sah zur Kuppel des Felsendoms und hörte den Muezzin die Gläubigen zum Gebet rufen.

      Sie dachte an ihren Vater, an Gao, an ihr vergangenes Leben, an Samarkand und an die Steppen von Xi Xia. Sie dachte auch an einen Ritter aus einem Land, in dem es Menschen mit grünen Augen gab. All diese Erinnerungen mischten sich und erschienen ihr auf seltsame Weise unwirtlich und fern. Sie hielt die Tränen zurück. Nein, jetzt war keine Zeit dazu sich oder das Schicksal zu bedauern oder einen Gott dafür zu verfluchen, dass er ihr nicht geholfen hatte.

      Bruder Anastasius lenkte seinen Esel neben ihr Pferd.

      Er deutete zu einer Gruppe von Menschen, die sich auf die Stadt zu bewegten. Schon an den grauen Bußgewändern und den blauen Gürteln war zu erkennen, dass es sich wohl um christliche Pilger handeln musste. Der Wind trug ihre Gesänge an Lis Ohr.

      „Präge dir gut ein, was du jetzt siehst!“, sagte Bruder Anastasius. „Es gibt Menschen, die bereit sind, tausende von Meilen zurückzulegen, nur um einmal jener Stadt ansichtig zu werden, in der du gelebt hast!“

      „Ich habe dort alles verloren, was mir etwas bedeutete“, sagte Li. Aber sie war in Gedanken gewesen und hatte deswegen die Sprache des Han-Volkes benutzt, sodass der Mönch sie nicht verstehen konnte.

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