Gefühlte Wahrheiten. Ortwin Renn

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Gefühlte Wahrheiten - Ortwin Renn

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Kern meiner Ausführungen steht das Bild einer souveränen und mündigen Person, die sich der verführerischen Rhetorik von politischen Scharfmachern bewusst ist und nach bestem Wissen und nach angemessener Abwägung politische Urteile und Entscheidungen fällt. Ich möchte an die politische Mündigkeit der Leserschaft anknüpfen und ihr Hilfestellung anbieten, wie man von gefühlten Wahrheiten zu fundierten Gewissheiten oder auch zu Anerkenntnis von Ungewissheit und Nichtwissen kommen [10] kann. Dazu sollte man die Gründe für die Anfälligkeit gegenüber populistischen Strömungen besser verstehen lernen und einen gesunden Skeptizismus gegenüber intuitiv eingängigen Erklärungsmustern entwickeln. Gleichzeitig möchte ich auch die Leserinnen und Leser5 ansprechen, die selber in der öffentlichen Debatte stehen und sich in ihrem beruflichen oder öffentlichen Umfeld mit populistischen Forderungen und Erklärungen konfrontiert sehen. Ihnen soll das Buch helfen, die Mechanismen besser zu verstehen, die für die hohe Attraktivität populistischer Weltbilder verantwortlich sind.

      Ich habe mich um eine Ausdrucksweise bemüht, die zwar wissenschaftlich korrekt, aber auch ohne Vorkenntnisse in Psychologie oder Sozialwissenschaften gut verständlich und nachvollziehbar ist. Für all diejenigen, die es genauer wissen wollen oder die noch Hinweise auf weiterführende Literatur oder fachliche Debatten zu den angesprochenen Themen wünschen, habe ich ein ausgedehntes Fußnotenverzeichnis angefertigt. Darin sind nicht nur meine Quellen im Einzelnen aufgelistet, sondern vor allem auch Lesehinweise und inhaltliche Vertiefungen eingefügt.

      Das Buch richtet sich in erster Linie an Bürgerinnen und Bürger, die sich angesichts der neuen Tendenzen in Politik und Gesellschaft verunsichert fühlen und mehr Hintergrundinformationen und Erklärungen, aber auch konkrete Handlungsorientierungen wünschen. Im Teil VI des Buches erweitere ich die Perspektive: In diesem Teil möchte ich auch meine Kolleginnen und Kollegen von der Wissenschaft, aber ebenso die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gezielt ansprechen. Denn viele der Vorschläge und Anregungen, vor allem im Schlusskapitel, bauen darauf auf, dass auch die Entscheidungsträgerinnen und -träger ihren Anteil an einer konstruktiven Gestaltung unserer Lebenswelt, die auf solides Wissen und demokratische Tugenden und Werten angewiesen ist, übernehmen.

      Zum Schluss möchte ich noch all den Personen danken, die am Zustandekommen dieses Buches mitgewirkt haben. In erster Linie danke ich meiner Frau Regina Renn und meinem Sohn Fabian Renn, die beide mit kritischem Auge das Manuskript geprüft und viele wichtige Impulse zu dessen Verbesserung beigetragen haben. Frau Viola Gerlach und Frau Jutta Weißbrich [11] haben die Mühe auf sich genommen, das gesamte Manuskript gegenzulesen und kritisch zu überprüfen. Dafür bin ich sehr dankbar. Frau Arieta Thaqi hat mich bei der Suche nach aussagekräftigen Daten zur Ausländerund Flüchtlingskriminalität tatkräftig unterstützt. Frau Saul vom Rowohlt Verlag gilt mein besonderer Dank für die Betreuung und das Lektorat der ersten E-Book Version dieses Buches, Frau Thea Blinkert für die Betreuung durch den Budrich Verlag.

      Potsdam, den 01.03.2019

      Ortwin Renn

      Anmerkungen

      1 Wie aus der 2018 durchgeführten Befragung durch „Wissenschaft im Dialog“ deutlich wird, sind lediglich 40 % der befragten Deutschen der Überzeugung, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tatsächlich zum Wohl der Gesellschaft arbeiten (siehe: https://www.wissenschaft-im-dialog.de/projekte/wissenschaftsbarometer/wissenschaftsbarometer-2018/ (abgerufen am 1.3.2019)). Zweifel an der Problemlösungskapazität der Politik sind ebenfalls gut dokumentiert, z.B. in: Bundeszentrale für Politische Bildung (2018): Glaubwürdigkeit in Politik, Medien und Gesellschaft. Bonn: bpb. Siehe auch: „Einerseits sinkt das Vertrauen der Bürger/innen in die Politik, weil sie den Politiker/ innen nicht mehr zutrauen, zukunftsfähige Lösungen für wichtige gesellschaftliche Probleme entwickeln und durchsetzen zu können. Andererseits haben aber auch die Politiker/innen nur wenig Vertrauen in die Bürger/innen. So bestehen zum Beispiel große Zweifel, dass die Bevölkerung ein offenes Ansprechen der Probleme und die erforderlichen Veränderungen akzeptiert (aus: Denkwerkstatt „Politik und Vertrauen“: Die Rolle von Vertrauen in Politik, Wirtschaft und sozialen Netzwerken. Berlin: Friedrich Ebert Stiftung, S. 29). Zur Wirtschaft siehe: https://www.welt.de/wirtschaft/article162861858/Wem-die-Deutschen-ueberhaupt-noch-vertrauen.html (abgerufen am 1.3.2019). Nicht einmal ein Drittel der befragten Personen äußert Vertrauen in wirtschaftliche Konzerne, besonders stark betroffen sind die durch den Dieselskandal angeschlagenen Automobilkonzerne. Hier ist das Vertrauenspotenzial gegenüber 2016 um 17 Prozentpunkte eingebrochen (aber mit 54 % immer noch recht hoch verglichen mit Finanzdienstleistern und Banken, die es nur auf 35 % Vertrauen bringen).

      2 Einen guten Überblick über die Postmoderne und ihre Ableger bietet das Buch von: Zima, P.V. (2016): Moderne/ Postmoderne. 4., korrigierte Auflage. A. Francke Verlag, UTB: Tübingen, hier vor allem S. 21ff.

      3 Die Wörter des Jahres 2016 wurden am 9. Dezember 2016 von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) bekannt gegeben. Wie in den vergangenen Jahren wählte die Jury, die sich aus dem Hauptvorstand der Gesellschaft sowie den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusammensetzt, aus diesmal rund 2.000 Belegen jene zehn Wörter und Wendungen, die den öffentlichen Diskurs des Jahres wesentlich geprägt und das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben sprachlich in besonderer Weise begleitet haben. Auf Nummer 1 kam das Wort „postfaktisch“. Siehe: http://gfds.de/wort-des-jahres-2016/ (abgerufen am 31.10.2018).

      4 Wer dazu mehr erfahren will, sei auf mein Buch: Renn, O. (2014): Das Risikoparadox. Warum wir uns vor dem Falschen fürchten. Fischer Taschenbuch: Frankfurt am Main verwiesen. Mehrere Abschnitte sind auch aus diesem früheren Werk in aktualisierter Form in das vorliegende Buch übernommen worden.

      5 Ich habe mich in diesem Buch um eine gender-neutrale Ausdrucksweise bemüht. Um aber allzu sperrige Wortkonstruktionen zu vermeiden, habe ich bei zusammengesetzten Worten wie Bürgerbeteiligung oder bei Pluralkonstruktionen (die Teilnehmer) auf eine explizite Dopplung von männlichen und weiblichen Formen verzichtet.

      [13] Teil I:

      Wie wahr ist die Wahrheit? Die These von der postfaktischen Kommunikation

      Fake News

      Zwei Fotos, nebeneinander zu sehen auf dem Monitor des Moderators Chuck Todd: Zum ersten die Menschenmenge bei der Amtsübernahme von Barack Obama im Jahr 2009 und zum zweiten die gleiche Szene bei der Amtsübernahme von Donald Trump 2017.1 Beide Bilder vom gleichen Standort aus aufgenommen. Für jeden zeigt sich offensichtlich: Bei Obama sind Massen von Menschen zu sehen, bei Trump sind die Flächen weitgehend menschenleer. Zuvor hatte der später gefeuerte Pressesprecher Sean Spicer verkündet: “This was the largest audience to ever witness an inauguration, period.” (Dies war die größte Menschenmenge bei einer Amtseinführung, die wir je miterlebt haben. Punkt.). Offenkundig eine falsche Aussage! Auf diese Falschaussage angesprochen, meinte die damalige Beraterin des Präsidenten, Kellyanne Conway: „He (the press secretary) gave alternative facts for that“ (er hat alternative Fakten dafür herangezogen). Nicht nur der Moderator war verblüfft. Die Szene ging durch die ganze Welt und löste Verwirrung und auch tiefe Sorge um die Führungsqualität der neuen amerikanischen Regierung aus. Kann eine Aussage, die augenscheinlich falsch ist, als alternatives Faktum nachträglich zu einer wahren, wenn auch alternativen, Aussage geadelt werden? Und was bedeutet das für den politischen Umgang mit Wahrheit und Fakten?

      [14] Alternatives Faktum: Kann es so etwas überhaupt geben? So einfach wie diese Frage auf den ersten Blick erscheint, so schwierig

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