Die Macht der virtuellen Distanz. Karen Sobel Lojeski

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Die Macht der virtuellen Distanz - Karen Sobel Lojeski

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diese Situation die Natur der menschlichen Erfahrung, wie wir alle wissen. Selbst diejenigen, die dieses Szenario lediglich beobachten, berichten, dass sie den Unterschied »spüren« können, der sich bisweilen in abruptem Schweigen und einem auffallenden Mangel an Augenkontakt manifestiert.

      Wir können uns direkt neben jemandem befinden und dennoch vollkommen auf »etwas anderes oder jemand anderen« fokussiert sein – der unsichtbar wie ein Geist unsere Aufmerksamkeit beansprucht.

      In diesem Buch definieren wir diejenigen als »virtuell« Beschäftigte, die in dem oben beschriebenen Szenario und tausend ähnlich gearteten arbeiten. Fakt ist, dass die geografische Trennung nur eine mögliche Spielart der »virtuellen Distanz« darstellt, wenn die Aufmerksamkeit abgelenkt ist.

      Einer unserer globalen Versicherungsklienten verlangte beispielsweise von 90% seiner Belegschaft an bestimmten weltweiten Standorten die Erfassung der Arbeitszeit anhand einer elektronischen Stempeluhr. Die Unternehmensführung war schockiert, als sich herausstellte, dass der Verlust von $3 Millionen bei einem seiner zahlreichen strategischen IT‐Projekte der virtuellen Distanz geschuldet war. Die Vorstandsetage war gleichermaßen überrascht, als es uns im Lauf der Zeit gelang, Einsparungen in Millionenhöhe und eine Verbesserung der Wettbewerbsposition zu erzielen. Mit dem Index der virtuellen Distanz (Virtual Distance Index = VDI) konnten wir die spezifischen Probleme eingrenzen und die richtigen Ressourcen präzise steuern, um Lösungen umzusetzen, die rasch zu einer positiven Wende bezüglich der finanziellen Ergebnisse, der Mitarbeiterzufriedenheit und des Shareholder Value führten.

      Das Phänomen der virtuellen Distanz hat andere, noch schwerwiegendere Auswirkungen auf der menschlichen Ebene. Der Leiter des Bereichs Organizational Learning einer europäischen Bildungseinrichtung vertraute uns beispielweise an:

      Früher habe ich meinen Job geliebt. Ich ging jeden Tag gerne zur Arbeit und freute mich darauf, den Leuten etwas Neues beizubringen. Sie erkannten, wie sie dadurch ihre beruflichen Aktivitäten in eine breit gefächerte Perspektive rücken und Fähigkeiten erwerben konnten, die sie andernfalls übersehen hätten. Normalerweise kehrte ich abends mit einem wirklich guten Gefühl nach Hause zurück.

      Doch heute frage ich mich oft, warum gehe ich überhaupt zur Arbeit? Um am Schreibtisch zu sitzen, acht Stunden lang auf der Tastatur herum zu hämmern, E‐Mails zu beantworten und mich anschließend auf den Heimweg zu begeben? Damit bringe ich niemandem etwas bei. Die zwischenmenschlichen Beziehungen sind verlorengegangen. Ich unterhalte mich kaum mehr mit den Leuten, verschicke nur noch Mitteilungen, dass sie auf ein bestimmtes Software‐Tool zurückgreifen sollten, aber nichts davon gibt mir das Gefühl, dass ich damit einen Unterschied bewirke – weder für mich noch für sie.

      Das ergibt keinen Sinn, und es kommt mir so vor, als würde ich hier nichts anderes mehr tun, als mein Gehalt kassieren, das ich für den Unterhalt meiner Familie brauche.

      Leider sind Kommentare dieser Art bei der Arbeit mit Klienten auf allen Unternehmensebenen weit verbreitet. Doch so muss es nicht sein. Wenn es uns gelingt, die virtuelle Distanz zu verringern, verblassen solche Gefühle und die Mitarbeiter kehren oft zu einer optimistischeren Denkweise zurück, weil sie engere Verbindungen zueinander aufbauen können.

      Das Konnektivitätsparadox

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      Während die Entwicklung digitaler Geräte voranschreitet, empfinden wir stärker als jemals zuvor einen schleichenden Verlust der Bindung an unsere Arbeit und an andere Menschen. Damit entsteht eine wachsende Kluft zwischen den zunehmenden Produktivitätserwartungen einerseits und tatsächlichen Produktivitätskennzahlen und dem abnehmenden sozialen Wohlbefinden andererseits.

      Eines Tages erhielten wir folgende Webanfrage von einem der weltweit größten Verbrauchsgüterkonzerne:

      Ich darf mich kurz vorstellen: Ich bin im Vorstand der Global CPG Inc. tätig und mit der Entwicklung von Führungskräften befasst. Unsere Manager haben uns berichtet, dass es einen Bereich gibt, in dem Defizite vorhanden sind; er betrifft die Fähigkeit, standortverteilte virtuelle Teams zu führen. Wir beauftragten daraufhin zwei Unternehmen mit einem Pilotprojekt, der Durchführung von Schulungen für Kontrollgruppen, gleichwohl mit geringem Erfolg, weil sie nicht in der Lage waren, die relevanten Kernkompetenzen zu vermitteln, nach denen unsere Manager Ausschau hielten. Die Schulungsteilnehmer berichteten, es habe zu viel Theorie, zu viele Modelle, zu viel »Informationsmaterial« gegeben, das sie auch in eigener Regie im Internet gefunden hätten. Nach der Lektüre von mindestens sechs anderen Büchern über virtuelle Teams stieß ich auf Ihr Buch, und ich bin überzeugt, dass Ihr Modell der virtuellen Distanz genau diejenigen Herausforderungen auf den Punkt bringt, mit denen sich unsere Führungskräfte weltweit konfrontiert sehen.

      Zuerst wies er einen Großteil der »Schuld« den Mitarbeitern zu, denen es nicht gelungen war, die Technologie angemessen zu nutzen (obwohl es dafür zugegebenermaßen keine hieb‐ und stichfesten Belege gab, sondern nur eine Reihe vager Berichte). Doch nach einer erfolgreichen Demonstration, dass sich die Technologie‐Rendite mit der Verringerung der virtuellen Distanz erhöhte, weil die Leute ihr technologisches Knowhow mehr statt weniger nutzten, wurde ihm klar, dass seine ursprünglichen Mutmaßungen lediglich eine Folge der veralteten Daten waren, die auf früheren Erfahrungen und nicht auf den aktuellen Gegebenheiten basierten.

      Aus diesem Fallbeispiel lassen sich zwei Lektionen ableiten:

      1 Menschen haben die Neigung, auf diejenigen Aktivitäten zurückzugreifen, die sie am besten beherrschen, um schwierige Probleme zu lösen. Das funktioniert gut in einfachen Fällen, wenn Ursache und Wirkung bekannt sind und Best Practices angewendet werden können. Um zu verstehen, warum die Rendite bei vielen großen Tech‐Investitionen in der komplexen Arbeitswelt von heute hinter den Erwartungen zurückbleibt, müssen wir zulassen, dass neu auftauchende Lösungsansätze in den Vordergrund treten, statt Konzepten den Vorzug zu geben, die auf irrelevanten Annahmen über funktionierende Arbeitsmethoden in der Vergangenheit beruhen und noch heute gang und gäbe sind, ungeachtet der Ergebnisse.

      2 Viele Führungskräfte berichten öffentlich von ihrem Eindruck, dass die Produktivitätsraten infolge umfangreicher Investitionen in die Technologie steigen. Doch auf der privaten Ebene gestanden IT‐Leiter, dass sie wie der zuvor erwähnte CIO in ihrem Arbeitsbereich mit massivem Druck oder sogar Entlassung rechnen müssen, wenn die Rendite ausbleibt. Ironischerweise führt eine Reduzierung der virtuellen Distanz oft dazu, optimale Ergebnisse und einen höheren Return on Investment zu erzielen, vor allem dann, wenn

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