Europas kleine Tiger. Christine Sonvilla

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Europas kleine Tiger - Christine Sonvilla Leben auf Sicht

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seiner Umwelt – stehen im Tierreich einzigartig da. Ich ärgere mich sehr oft, wenn ich von »inhumanem« Verhalten höre, denn genau die dabei angesprochene Art von Grauslichkeiten und Brutalitäten sind arttypisch für den Homo sapiens.

      Der Artenschwund bei Pflanzen und Tieren ist seit Jahrzehnten enorm, die explosionsartige, raumgreifende Vermehrung der Menschheit fordert ihren Tribut. Umso mehr freut es mich, miterleben zu dürfen, wie Natur- und Umweltschutzorganisationen und umweltbewusste Personen durch engagierten Einsatz beim Natur- und Artenschutz erreichen können, dass Schutzgebiete ausgewiesen werden, Wildtiere unter Schutz gestellt werden und immer mehr junge Menschen sich für das Überleben und die Heimkehr der bodenständigen Wildtiere einsetzen.

      Die Widerstände in der Bevölkerung aus kurzsichtigen egoistischen Motiven sind dennoch beträchtlich. Offenbar gibt es zu viele Bürgerinnen und Bürger, denen die ursprüngliche Vielfalt obsolet zu sein scheint und nur die Monokultur des Menschen als erstrebenswert gilt. Ein Albtraum!

      Aber kleine Erfolge machen Mut. Der Europäische Fischotter erkämpft sich seinen Lebensraum zurück, der Europäische Biber breitet sich aus, Bartgeier und Wanderfalken sind als Brutvögel genauso zurück wie der Habichtskauz. In zoologischen Gärten gezüchtete und erforschte Waldrappe lernen ihr spezifisches Zugverhalten und brüten bereits im Freiland. Wolf und Braunbär vermehren sich in ihren Rückzugsgebieten und versuchen gegen alle Widerstände auch bei uns ihre alte Heimat zu besiedeln.

      Die größte Akzeptanz fand im vergangenen Jahrhundert die erfolgreiche Wiederansiedlung des Alpensteinbocks. Kein Wunder, schließlich frisst dieser nur Pflanzen im Hochgebirge und lässt sich mit seinem prächtigen Gehörn dort wieder freudig bejagen.

      Die Europäische Wildkatze war immer schon ein scheues, heimlich lebendes Wildtier. Kaum bekannt, aber umso wichtiger im Kreislauf der Natur. Im Alpenzoo Innsbruck hat die erfolgreiche Zucht eine lange Tradition. Anfangs lebte das dort beheimatete Paar in einer bescheidenen Behausung, dann in einer größeren Anlage mit Wiese und Klettermöglichkeiten. Während im kleinen Gehege der Kater von der Geburt bis zum Absetzen der jungen Wildkatzen separat gehalten wurde, versuchten wir nach der Übersiedlung etwas Neues. Trotz Absperrmöglichkeiten im Gehege blieb alles offen, der Kater dabei. Fast permanent beobachteten wir das Paar bei der Geburt der Jungen und die Tage danach. Der Kater hielt sich abseits. Als er am dritten Lebenstag seiner Kinder diese in der Wurfhöhle »besuchen« wollte, hat die Katze ihn derart angefaucht und bedroht, dass er sich fortan fernhielt, bis die Jungen im Alter von einigen Wochen selbst auf ihn zugingen und bald auch mit ihm spielten. In den 1960er- und 1970er-Jahren wurde Nachwuchs von Zootieren an andere zoologische Gärten weitergegeben bzw. getauscht.

      Da fällt mir eine lustige Geschichte ein. Alpenzoo-Direktor Hans Psenner schenkte seinem Kollegen Walter Fiedler vom Tiergarten Schönbrunn auf dessen Wunsch einen Wildkatzenkater. Nach Monaten erkundigte er sich, ob es der Tiroler Wildkatze in Wien auch wirklich gut gehe. Darauf Fiedler: »Leider ist der Kater nach kurzer Zeit ausgekommen, er streift aber seither zufrieden in Schönbrunn und Hietzing herum. Ein Beweis, dass sich Tiroler in Wien wohlfühlen!« Darauf antwortete Hans Psenner: »Lieber Walter, ich muss dir widersprechen, der Kater ist kein Tiroler. Er kam mit einem Transport von der Tschechoslowakei zu uns. Abkömmlinge aus diesem Land fühlen sich ja schon seit Kaisers Zeiten in Wien sehr wohl!«

      Anfang der 1980er-Jahre besuchte uns Herr Günther Worel vom Bund Naturschutz in Bayern (BN) und informierte uns über das Projekt der »Wiedereinbürgerung der Europäischen Wildkatze«. Voller Begeisterung erzählte er uns von seiner geplanten Wildkatzenstation. Es sollte eine Gehegeanlage werden, in der zoogeborene Wildkatzen auf das Leben im Freiland vorbereitet werden, bevor diese in ihre neue/alte Heimat entlassen werden. In der ersten Zeit müsse er dort wohl auch noch züchten, um genügend Tiere zu bekommen. Der Alpenzoo sicherte ihm daraufhin zu, dem BN künftig den gesamten Wildkatzennachwuchs kostenlos zur Verfügung zu stellen. Außerdem informierte Hans Psenner als Mitglied des Verbands Deutscher Zoodirektoren (VDZ) sämtliche Kolleginnen und Kollegen über dieses Projekt und empfahl ihnen, mit ihrem Wildkatzennachwuchs ebenso zu verfahren. Tatsächlich passierten über 400 junge Wildkatzen vor der Freilassung die Station des Herrn Günther Worel. Die gesamte Wiederansiedlung war erfolgreich.

      Ich bin dankbar dafür, dass durch diese tiefschürfende Publikation der aktuelle Stand der Forschung über das Leben und die gegenwärtige Verbreitung der Europäischen Wildkatze allen Naturfreunden attraktiv zur Kenntnis gebracht wird. Das umfassende Wissen wird sicher dazu beitragen, »Europas kleine Tiger« in Zukunft besser verstehen und schützen zu können.

       Helmut Pechlaner

      Kapitel 1

       Alles für die Katz!

      Die Steinerne Wand macht ihrem Namen alle Ehre. Harte Granite durchziehen den Hang und lose Blocksteine, von Moos überwachsen, verlangen bedachte Schritte. Dazwischen ragen Rotbuchen, knorrige Eichen und Bergahorne aus dem steilen Gelände, in dem Brombeerbüsche und querliegendes Totholz das Vorankommen erschweren – zumindest aus Menschenperspektive.

      »Jetzt ist es nicht mehr weit«, stellt Christian Übl fest, als er einen prüfenden Blick auf sein GPS-Gerät wirft. Seine Zielkoordinaten führen uns zur Wendlwiese, einem Platz, der für Besucher normalerweise nicht zugänglich ist. Unsere heutige Tour ist eine Ausnahme. Wir durchqueren die Steinerne Wand, bis sich der Wald lichtet, der Boden wieder in die Horizontale verlagert und wir das Rauschen der Thaya hören, die hier die Grenze zwischen Österreich und Tschechien bildet.

      Am Rand der Wiese steckt ein Holzpflock im Waldboden. Er ist gut 50 Zentimeter lang, quadratisch und leicht aufgeraut. Und er hat eine Mission. Versehen mit einem markanten Duft, fungiert das unscheinbare Stück Holz als »Lockstock«, der auf Katzen eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübt. »Komm und reib dich an mir«, scheint er ihnen zuzurufen.

      Christian Übl untersucht den Lockstock genau und wird fündig. Die Konturen eines zarten, kaum ausmachbaren Haars zeichnen sich im Gegenlicht der kühlen Vorfrühlingssonne ab. »Das sieht verheißungsvoll aus«, freut er sich.

      Ob es sich jedoch um das Haar einer Europäischen Wildkatze (Felis silvestris) handelt, die dem Wendlwiesen-Lockstock im niederösterreichischen Nationalpark Thayatal einen Besuch abgestattet hat, steht zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest.

      Genauso wenig war damals, im Februar 2011, als ich an einem Magazinartikel über die Rückkehr der Wildkatze nach Österreich arbeitete, klar, dass ich Jahre später in Sachen Wildkatze noch viel tiefer schürfen sollte. Vom Thayatal bis an die Ränder Europas habe ich seitdem einen Hauch Algarve, griechischen Sonnenschein, schottische Rauheit, Balkan-Pragmatik und deutsche Gründlichkeit inhaliert; stets auf der Suche nach dem, was die Wildkatze ausmacht.

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      Es veranlasst vielleicht zum Schmunzeln, warum gerade eine Österreicherin ein Buch über die Wildkatze schreibt, denn die scheue Jägerin streift bis dato in sehr überschaubaren Zahlen durch meine Heimat. Aber ist es nicht meist so, dass uns gerade das fasziniert, von dem wir wenig haben? So verwundert es auch kaum, dass in Mitteleuropa, vor allem in Deutschland, in den vergangenen Jahrzehnten die meiste Forschung dazu betrieben wurde. Auch wenn hier ungleich mehr Wildkatzen als in Österreich leben, nämlich geschätzte 5000 bis 7000 Tiere1, ist das etwa im Vergleich mit den Balkanländern verhältnismäßig wenig. Seriöse Zahlenschätzungen gibt es von Slowenien bis Griechenland zwar keine, aber die Europäische Wildkatze gilt dort vielerorts als häufige »Mitläuferin«. Immer wieder heißt es: »Die Wildkatze, die nehmen wir gar nicht so wahr, wir haben ja mit Wölfen, Bären, Luchsen und Goldschakalen genug zu tun.« Darüber hinaus ziehen viele Wissenschaftler, die auf dem Balkan aktiv sind, den Kürzeren. »Weil Wildkatzen

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