Lesereise Hongkong. Rasso Knoller

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Lesereise Hongkong - Rasso Knoller Picus Lesereisen

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mehrere Tage

Dank

      Tempel, Hochhäuser und eine Stadt in Eile

      Ein Querschnitt durch Hongkong und eine Vorschau auf dieses Buch

      Vorsichtshalber sollten Sie gleich zu Beginn Ihres Hongkongurlaubs einen Tempel besuchen und den Göttern ein Opfer darbringen. Dann sind Ihnen Glück und Gesundheit während des Aufenthalts sicher. Die Opfergaben kauft man im Tempel selbst oder in einem der unzähligen Läden für »Tempelzubehör«. Schwer zu finden sind sie nicht, denn in Hongkong gibt es ganze Straßenzüge, in denen sich ausschließlich Läden befinden, die sich auf diesen Markt spezialisiert haben. Die meisten Opfergaben sind aus Papier, denn sie müssen verbrannt werden, um zu den Göttern aufzusteigen. Sogar Geld wird so geopfert – aber eben nicht echtes, sondern Spielgeld, das man zuvor gekauft hat.

      Überhaupt ist ein Tempel in Hongkong kein Ort der Ruhe, sondern ein Platz, an dem es laut und geschäftig zugeht. Die Schwaden der Räucherspiralen ziehen durch die Hallen; am einen Ende wird laut gebetet, am anderen in der Opferschale Papier verbrannt. Hier ein gebratenes Schwein durch den Tempel getragen, und dort ist das Klickern der zu Boden fallenden Orakelstäbchen zu hören.

      Hongkongs Tempel sind meist gut besucht, schließlich gibt es ja immer praktische Fragen zu klären, und anders als bei uns hat die Religion durchaus handfesten Einfluss auf das tägliche Leben. Vielleicht steht ein Jobwechsel an oder eine Ehe soll geschlossen werden. Vielleicht plant der Sohn eine längere Reise oder die Großmutter ist krank. Auch in Geldfragen sind die Tempelgötter durchaus gute Berater. Ein Hongkongchinese sucht im Tempel nicht einfach Beistand, sondern konkrete Ratschläge. Deswegen spielt die Vorhersage der Zukunft auch eine große Rolle. Wer erfahren will, welches Schicksal auf ihn wartet, der kann die schon erwähnten Orakelstäbchen befragen oder er lässt sich von einem der vielen Wahrsager aus der Hand lesen.

      Auch beim Hausbau werden die Götter befragt und Feng-Shui-Experten, die die Baustellen vor und während des Baus untersuchen, sind hoch bezahlte Fachleute. Kein Wolkenkratzer der scheinbar nur nach weltlichen Gütern strebenden Stadt wird ohne ihre Hilfe errichtet. Und so kommt es auch, dass in so manchem Wohnblock ein großes »Flugloch« in der Fassade des Bauwerks eingebaut ist – bei den Hongkonger Mietpreisen ist der dadurch bedingte Verzicht auf einige Wohnungen ein veritabler Verlust. Notwendig ist so eine Baumaßnahme aber allemal, denn nur so kann der Drache ungestört zum Meer gelangen.

      Nirgends auf der Welt stehen so viele Wolkenkratzer wie in Hongkong – tausendzweihundertvierundneunzig, um genau zu sein. Um in die Kategorie der Megahochhäuser aufgenommen zu werden, muss ein Gebäude mehr als hundertfünfzig Meter in den Himmel ragen. In New York, der Nummer zwei dieser Weltrangliste, gibt’s nur sechshundertneunzig davon. In ganz Europa zählt man sogar zusammen kaum mehr – nämlich siebenhundertzehn. Das höchste Gebäude Hongkongs ist das International Commerce Centre mit vierhundertvierundachtzig Metern und hundertacht Etagen. Fragt sich nur wie lange noch, denn das Wachstum scheint hier nie aufzuhören. Immer mehr und immer größer wird gebaut. Nur zwei Megaprojekte als Beispiel: Der Flughafen, bereits jetzt der größte Frachtflughafen der Welt, wird schon wieder erweitert. Und damit man nach Macau nicht mehr mit dem Schnellboot fahren muss, setzt man eine mehr als vierzig Kilometer lange Mammutbrücke ins Meer. Natürlich werden auch schon wieder die nächsten Wolkenkratzer gebaut – selbst die »kleinen«, die in Hongkong keine besondere Erwähnung finden und in keiner Rangliste auftauchen, sind höher als die höchsten Wohn- und Bürogebäude in Deutschland.

      Abends ist die Skyline besonders schön, wenn sich die Lichter der Giganten im Wasser des Victoria Harbour spiegeln. Und als würde das allein nicht schon genügen, werden die Hochhäuser bei der »Symphony of Lights« ins beste Licht gesetzt. Eine Viertelstunde tanzen dann bunte Lichter über der Stadt, Suchscheinwerfer erhellen den Himmel und Laserbeamer versetzen die Betrachter in eine Traumweltatmosphäre. Damit auch das Ohr was zum Genießen hat, untermalt man das Ganze mit Musik. Bei so viel Show gerät so mancher Großstadtromantiker ins Schwärmen. Und weil man in Hongkong bei allem, was man tut, nach den Topplätzen strebt, freut man sich sicher, dass das eigene Lichtspektakel vom Guinness-Buch der Rekorde als »größte dauerhaft stattfindende Lichtshow der Welt« ausgezeichnet wurde. Wenn dann in all dem Lichterschein noch eine alte Dschunke durchs Wasser tuckert, wird auch der abgeklärteste Reisende zum Hongkongfan. Freilich ist die vermeintlich alte Dschunke »nur« ein Touristenschiff auf Ausflugsfahrt. Der Optik tut das aber keinen Abbruch. Und wenn die Dschunke mal nicht unterwegs ist, geben auch die alten Fähren der Star Ferry einen guten Vordergrund ab.

      Tagsüber hat man in den Hochhausbüros so gar keinen Sinn für Romantik. Hongkong ist nämlich auch eine Metropole des Geldes, in der jeder dem Gott des Mammons seine Aufwartung macht. Alle großen Banken haben hier standesgemäß in die Höhe gebaut. Die HSBC beispielsweise – was ausgeschrieben Hongkong and Shanghai Banking Corporation heißt. Oder die Bank of China. Beide Bankhäuser liefern sich aber nicht nur ein Rennen um Rendite, sondern auch eines ums Prestige. Die einen ließen ihren Wolkenkratzer deshalb von Sir Norman Foster planen, die anderen von I.M. Pei. Die bekanntesten Architekten der Welt sind für Hongkong gerade gut genug.

      Die Stadt wirkt wie im Rausch, immer aktiv, immer unter Strom. Pausen sind auf dem Weg zum Glück nicht erlaubt. Oder nur dann, wenn es gar nicht anders geht. Deswegen passt ein schlafender Händler zwischen den Auslagen seines Marktstands durchaus ins Bild. Dort legt nämlich kein Tunichtgut den Kopf auf die Arme, sondern einer, der schon zwölf Stunden Arbeit hinter und noch einige vor sich hat. Schlendernde Menschen, entspannte Promenierer und Tagträumer sieht man selten. »Zeit ist Geld«, dieser Spruch gilt in Hongkong noch mehr als anderswo. Das erklärt auch den scheinbaren Widerspruch, warum es in Hongkong so viele Galerien gibt, aber trotzdem keine Kunstszene: Um ein Gemälde zu malen und auch um es wertschätzen zu können, brauchte man Zeit. Die aber hat niemand. Um ein Bild zu kaufen, womöglich das eines bekannten Künstlers zu Anlagezwecken, braucht man dagegen »nur« Geld. Und davon gibt es in Hongkong genug.

      Ein Leben unter dem Hongkonger Dauerstrom mag anstrengend sein für Menschen, die dort immer leben. Für Besucher oder Expats ist Hongkong ein Faszinosum – die Stadt bietet ein Leben mit dem Fuß auf dem Gaspedal.

      Neben dem Neuen existiert aber auch das Alte. Immer wieder das stete Wechselspiel von Moderne und Tradition. Im Schatten der Hochhäuser verkaufen die alten Apotheken ihre traditionellen Medizinen. Die Ärzte kurieren mit Kräutern und viel Wissen über den menschlichen Körper, aber auch mit für uns abstrusen Zutaten wie Tigerkot und Mammutknochen.

      Wer rauswill aus dem Hexenkessel, der hat es, und das mag überraschen, gar nicht so weit. Der Hong Kong Trail beispielsweise startet oben am Victoria Peak und bietet von da eine fünfzig Kilometer lange Anti-Stress-Kur. Der etwas weniger bekannte MacLehose Trail ist sogar doppelt so lang und führt durch die New Territories in Richtung chinesische Grenze. Auffällig ist – und das mag wieder mit der Frage der Zeit zu tun haben –, dass auf den Wanderwegen überdurchschnittlich viele Expats und Touristen unterwegs sind.

      Geld regiert zwar die Welt, aber eben nicht nur. Bei den Protesten von 2014 haben viele Hongkonger ihre politische Ader entdeckt, haben dafür gekämpft, die zarte Pflanze der Freiheit am Leben zu halten.

      »Ein Land, zwei Systeme.« Mit diesem Versprechen hat China 1997 Hongkong übernommen. Weitere fünfzig Jahre sollte der Kapitalismus fortbestehen, und für 2017 hat Peking den Hongkongchinesen sogar freie Wahlen zugesichert. Etwas, das umso mehr zählt, da unter britischer Herrschaft nie gewählt wurde. Gehalten haben die Chinesen ihr Versprechen nur zum Teil – es wird zwar frei gewählt, auf den Stimmzettel kommt aber nur, wen Peking zuvor abgesegnet hat. Dagegen haben die Studenten rebelliert. Friedlich und tapfer haben sie sich gegen den übermächtigen Gegner gestemmt. Wahrscheinlich von Anfang an wissend, dass es für sie keinen Sieg geben kann.

      Rasso

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