Nesthäkchen und ihre Enkel. Else Ury
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Читать онлайн книгу Nesthäkchen und ihre Enkel - Else Ury страница 6
Frau Ursel aber hatte sich vorgenommen, diesen Mißständen abzuhelfen. Und was Ursel sich in den Kopf gesetzt hatte, das führte sie auch durch. Schon daheim im Elternhause war ihr Wille schwer zu beeinflussen gewesen.
Milton Tavares hatte ein offenes Ohr für das Anliegen seiner jungen Frau. Las er ihr doch jeden Wunsch von den Augen ab. Er selbst hatte in Deutschland geordnete soziale Fürsorge für die Arbeiterschaft kennengelernt und brachte Frau Ursels Vorschlägen für gesunde Arbeiterwohnstätten Verständnis und tatkräftige Hilfe entgegen. So waren in den letzten zwölf Jahren auf den Tavaresschen Kaffeeplantagen helle, freundliche Siedlungshäuser für die Arbeiter entstanden, während auf den benachbarten Plantagen noch dieselben Mißstände anhielten. Sooft Frau Ursel jetzt ihren Sommersitz bezog, hatte sie eine stolzfreudige Genugtuung, Gutes gewirkt zu haben.
Es war am frühen Morgen. Ein Tropenmorgen, so heiß, so sonnenhell und strahlend, als sei er eigens für die Sommerfrischler auf der Fazenda heraufgezogen. Durch den weitausgedehnten Palmengarten sprühte silbern der erfrischende Wasserstrahl, den die Neger aus langen Schläuchen über die üppige Baum- und Pflanzenwelt leiteten. Leuchtende, seltsame Blüten öffneten ihre Kelche in jubelnder Farbenfreude dem neuen Sonnenlichte. Schmetterlinge, wie geflügelte Riesenblumen anzuschauen, durchschaukelten die Luft. Papageien und Kolibris in lachender Buntheit wiegten sich hoch oben in Palmenwedeln.
Auf der Terrasse, über deren gläsernes Dach rieselndes Wasser zur Kühlung herabsickerte, war die Familie beim Morgenfrühstück versammelt. Der Hausherr war selbst in den Ferien ein Frühaussteher. Er hatte seinen Morgenritt bereits hinter sich, während seine Damen Langschläferinnen waren, wie er sie scherzend nannte.
»Milton, sieben Uhr ist es erst. Bei uns daheim in Deutschland würden die Eltern mir einen Preis zuerkannt haben, wenn ich so zeitig aus den Federn gefunden hätte«, setzte Frau Ursel den Neckereien des Gatten entgegen.
»Bei uns daheim – ja, Ursel, wo bist du denn daheim?« Milton Tavares zog die Augenbrauen hoch.
»Im Tropenlande, mein Herr Tyrann, wenn meine Gedanken auch manchmal, all deiner Eifersucht ungeachtet, in ein kleines deutsches Haus, das jetzt in Schneebetten vergraben liegt, entwischen. Gedanken sind zollfrei, wie du weißt.«
»Nein, solche Gedanken kosten Zoll.« Dabei schlang Milton Tavares den Arm um die Schulter der Nebenihmsitzenden und nahm sich den Zoll von ihren frischen Lippen.
Miß Smith, die englische Governeß, die gerade in ihre dick mit Honig bestrichene Weißbrotschnitte biß, machte dazu ein Gesicht, als hätte sie Wermut auf der Zunge.
»Oh, Miß Smith, Sie werden sich verschlucken«, meinte Anita mit teilnehmendem Gesicht.
»Wieso, Anny?« fragte die Miß kauend.
»Sie haben bestimmt eben ein shocking hinuntergeschluckt. Ist es Ihnen nicht in der Kehle stecken geblieben?«
Die Engländerin machte ein unnahbares Gesicht. Es sah so steif und zugeknöpft aus wie der weiße Leinenkragen, den sie ungeachtet der Tropentemperatur trug. Sie blickte von den scheinheilig ernsten Mienen ihres Zöglings zu dessen Eltern, hoffend, daß von dort der notwendige Tadel ausgesprochen würde.
Frau Ursel sagte denn auch pflichtschuldigst: »Anita, du vergißt stets, mit wem du deinen Scherz treiben darfst.« Obgleich es ihr schwer wurde, ihre Heiterkeit zu verbergen. Ihr Gatte aber wandte sich lachend an die Erzieherin: »Nur ein Kuß, Miß Smith, – a little kiss. Der gehört zu solchem herrlichen Morgen auf dem Lande. Meinen Sie nicht auch?«
Die Miß verbeugte sich höflich zustimmend.
Da aber platzte Anita los. Sie lachte – lachte – und steckte mit ihrem silberhellen Lachen auch ihre Zwillingsschwester an. Es war aber auch zu komisch – die Miß und a kiss, das waren zwei Dinge, die wirklich nichts miteinander zu tun hatten. Wirkte sie doch mit ihren strengen Zügen, dem straff zurückgestrichenen Haar und den eckigen Bewegungen mehr wie ein Mann, als wie ein weibliches Wesen. Auch aus ihrem Alter konnte man nicht klug werden. Sicher war Miß Smith mit zwanzig Jahren schon genau so alt gewesen, wie mit fünfzig. Jetzt wandte sie sich mißbilligend an Marietta, die ihr sonst ihr Amt nicht allzu schwer machte. »Mary, auch du! Du darfst dich nicht von deiner Schwester Anny zu ungehörigem Benehmen verleiten lassen, sondern mußt versuchen, günstig auf dieselbe einzuwirken.« Miß Smith sprach stets englisch.
Marietta machte ein bestürztes Gesicht. Ihrem guten Herzen tat es sofort leid, daß sie die Miß ausgelacht hatte. Anita aber, die unverbesserliche, rief: »Wirke auf mich ein, Jetta, es tut dringend not.«
»Es tut not, daß ihr jetzt Schluß macht und eure ausgelassene Ferienstimmung, der Miß Smith gewiß manches zugute halten wird, nicht auf die Spitze treibt. Habt ihr fertig gefrühstückt? Schön, dann könnt ihr zur Großmutter hinüberreiten und ihr guten Morgen wünschen«, machte die Mutter der unbotmäßigen Lustigkeit ein Ende.
»Erst unsere Überraschung, Papi. Du hast uns auf heute vertröstet. Wo bleibt die Überraschung?« bestürmte Anita den Vater.
»Kleine Ungeduld! Pedro wird sie sogleich bringen.« Der Mulatte eilte auf einen Wink seines Herrn davon und kam mit einem Bambuskörbchen, das rosenrot abgefüttert war und eine Seidendecke in derselben Farbe besaß, zurück.
»Ein Kind?« fragte Anita zweifelnd und zog fürwitzig die Decke herab. »Ach, ein Äffchen, ein süßes Äffchen – gehört es mir, ja, Papi? Mir ganz allein?«
»Euch beiden – ihr seid doch Zwillinge. Nun, Jetta, freust du dich auch über den neuen kleinen Hausgenossen?«
»Nein, gar nicht!« Marietta war unwillkürlich einen Schritt zurückgewichen. »Ich mag Affen nicht.« Sie mochte nicht gestehen, daß sie sogar eine Scheu vor ihnen hatte.
»Aber der hier ist doch süß! Ein ganz junges Äffchen, nicht wahr, Papi? Und so zahm ist er! Ich werde ihn Jimmy nennen.« Anita reichte ihm ihre schlanke Hand hin, in die der Affe seine braune, langfingerige legte.
» Marovilhosa – er ist wundervoll! Ein entzückendes Tierchen! Alle vornehmen Damen besitzen ein zahmes Äffchen. Vielen, vielen Dank, Papi.« Begeistert küßte Anita dem Vater beide Wangen.
»Nun, und wo bleibt dein Dank, Marietta? Willst du den kleinen braunen Burschen nicht auch bewillkommnen?«
Marietta legte die Hände auf den Rücken und trat in deutlicher Abneigung noch einen weiteren Schritt zurück.
»Sie hat Angst! Unsere große Jetta hat Angst vor dem kleinen Äffchen«, lachte Anita sie aus.
»Eine Tavares hat keine Angst«, sagte der Vater in bestimmtem Tone. »Geh, schau dir das Tierchen mal näher an, Marietta. Es tut nichts.«
Anita hatte den braunhaarigen Gesellen aus seinem rosigen Bettchen genommen und hielt ihn