Nesthäkchen und ihre Enkel. Else Ury

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Nesthäkchen und ihre Enkel - Else Ury Nesthäkchen

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saß auf den Betten. Farbige Diener brachten Eis und Früchte. Frau Ursel mußte über alle Bekannte in Sao Paulo Bericht erstatten. Denn die beiden anderen Damen waren schon über einen Monat aus der Stadt entfernt, und der Klatsch spielte dort eine wichtige Rolle. Anita verstand es besonders, die Ereignisse in humoristischer Weise darzustellen. Die Großmutter, deren erklärter Liebling sie in ihrer südländischen Lebhaftigkeit und Schönheit war, strahlte, und auch Tante Margarida bildete ein dankbares Publikum. Frau Ursel aber mochte das Herziehen über den lieben Nächsten nicht, ebensowenig, daß ihr ohnedies schon genügend selbstbewußtes Töchterchen derart den Mittelpunkt bildete. Sie unterbrach Anitas amüsante Beschreibung: »Nita, du läßt heute dein Lästermündchen wieder mal abschnurren. Nun ist es genug. Gehe mit Jetta lieber in den Garten.«

      Marietta sprang erfreut auf, sie langweilten diese Berichte, geradeso wie ihrer Mutter. Anita aber zog ein Mäulchen.

      »Jetta und ich wollen lieber eine Stunde reiten.« Ohne die Schwester zu fragen, nahm Anita es als selbstverständlich an, daß diese ihren Wunsch teilte. War Marietta doch immer nachgiebig und fügsam.

      »Aber nicht weiter als bis zur Schlucht, Kinder. Pedro oder Diego reitet natürlich mit euch mit.«

      Die jungen Mädchen verabschiedeten sich. Bald darauf sah man die Silberfüchse im Trab durch die Plantagen sprengen. Der schon etwas steifknochige Neger Diego konnte kaum hinterdrein.

      »Ah, das tut gut, Jetta, nach dem langen Stillsitzen.« Anitas schwarze Locken wehten. Wie eine junge Amazone flog sie dahin.

      Auch Marietta war eine gute Reiterin, nur war sie in all ihren Bewegungen ruhiger. Aus ihren dunklen Augen sprühte ebenfalls die Freude an dem herrlichen Sport.

      »Ein Wettritt, Jetta«, schlug Anita vor. »Wer zuerst bei der großen Kokuspalme an der Schlucht ist. Der Graben wird als Hindernis genommen. Eins – zwei –«, bei »drei« sauste sie schon davon.

      Die Schwester folgte im Abstand einer Pferdelänge. Da hemmte Marietta plötzlich den Galopp. War da nicht irgendwo ein Weinen erklungen? Ein Zügelruck brachte den Gaul zum Stehen. Scharfen Auges spähte das junge Mädchen in den grünen Wellen der Kaffeesträucher, die den Weg besäumten, umher. Halt – da schimmerte ein rotes Röckchen.

      Unter einem nur wenig Schatten spendenden Gummibaum kauerte ein kleines etwa siebenjähriges Mädchen. Blonde, wirre Haarsträhnen fielen über die sonnengebräunten Händchen, welche die Kleine vor das Gesicht geschlagen hatte. Der schmächtige Kinderkörper zuckte in ruckweisem Schluchzen.

      Im Nu war Marietta vom Rücken des Pferdes herabgeglitten. Sie trat zu dem weinenden Kinde und legte ihm mitleidig die Hand auf den Kopf. »Warum weinst du, Kleine?« fragte sie in der portugiesischen Landessprache.

      Das Kind ließ die Hände von dem verweinten Gesicht sinken und sah erstaunt zu dem vornehmen Mädchen auf. Es antwortete nicht.

      »Willst du mir nicht sagen, warum du weinst?« drang Marietta in die Kleine.

      Das Kind schüttelte den Kopf. Es begann von neuem zu schluchzen.

      Ratlos stand Marietta vor dem kleinen Findling. Ihrem weichen Herzen schien es unmöglich, davonzureiten und das Kind seinem Schmerze zu überlassen.

      »Diego, reite weiter zu Donna Anita und sage ihr, daß ich gleich nachkomme«, gab sie dem alten Neger Weisung. Dann wandte sie sich wieder dem weinenden Blondköpfchen zu.

      Ein Gedanke kam ihr. Sollte das Kind am Ende ihre Frage nicht verstehen? Es hatte so verständnislose Augen gemacht. Ein Kind der Tropen war es sicher nicht. Aber in welcher Sprache versuchte sie es?

      »Warum weinen du, Kind?« Die deutschen Laute, auf welche Marietta die Liebe für ihre Mutter übertrug, kamen ihr ganz von selbst auf die Lippen. Im Gegensatz zu Anita, die stets dagegen Front machte. Das Kind hob jäh den Kopf. Aus den verweinten Blauaugen kam ein Lächeln. »Ich habe Hunger, und Mutter ist krank«, sagte es in deutscher Sprache.

      »Armes Kind!« Zum erstenmal begegnete dem reichen, im Luxus aufgewachsenen Mädchen jemand, der Hunger litt. Hatte sie denn gar nichts, denselben zu stillen? Entsetzlich mußte es sein, hungern zu müssen.

      Das junge Mädchen griff in die Tasche des Reitkleides. Da – das Stück Schokolade, das sie stets beim Ausreiten bei sich trug, würde den Hunger stillen.

      Das Kind verschlang die Süßigkeit gierig.

      »Nun du nicht hast Hunger mehr?« erkundigte sich Marietta freundlich.

      »Mächtigen Hunger«, dabei blieb das Kind. »Ich habe heute nur zwei Bananen gegessen.«

      »Kochen ihr keine schwarzen Bohnen?« Das war das Nationalessen, das auch auf dem ärmsten Tische nicht fehlte.

      »Mutter ist krank, Mutter kann nicht kochen.«

      »Aber dein Vater oder die Großmutter, sorgen sie nicht für dich?«

      »Vater ist tot, und Großmutter ist weit weg. Über dem großen Wasser in Deutschland. Da ist's schön, sagt Mutter. Da hat sie in einem richtigen Haus gewohnt und ein Bett gehabt wie die reichen Leute.«

      »Und hier ihr haben kein Bett?« fragte Marietta leise. Das Elend war dem verwöhnten Mädchen noch nie so kraß entgegengetreten. Es griff ihr ans Herz.

      »Bloß ein Lager auf der Erde aus Gras und Blättern. Mutter sagt, wenn Vater noch lebte, würde sie gern alles ertragen. Aber Vater ist ja nun tot. Und Mutter wird auch bald sterben.« Das Kind sprach dieses Furchtbare mit einer gleichgültigen Selbstverständlichkeit aus.

      »Oh, nicht sagen so Trauriges!« Entsetzt blickte Marietta auf das kleine Mädchen. »Deine Mutter wird werden gesund. Haben ihr einen Arzt?«

      »Wir haben kein Geld.« Die Kinderaugen sahen sorgenvoll drein.

      Marietta überlegte nicht länger. »Ich werde gehen zu deine Mutter.« Vergessen war Anita und der Wettritt. Vergessen, daß sie niemals allein ohne einen Diener gehen durfte. Auch daß der Vater es nicht besonders gern sah, wenn seine Damen die Siedlungshäuser besuchten. Anita pflegte sich stets davon zu drücken. Aber Marietta hatte die Mutter schon öfters auf ihren Wegen der Menschenpflicht begleitet.

      Das Pferd wurde an den Gummibaum gebunden. Dann folgte Marietta der Kleinen in die Kaffeeplantagen hinein. Kreuz, quer, wie in einem Irrgarten zogen sich die Wege durch die Anpflanzungen. Immer neue grüne Mauern türmten sich vor den beiden auf. Die Sonne brannte heiß. Marietta war nicht gewöhnt, zu Fuß zu gehen. Die Zunge klebte ihr am Gaumen. Die Unebenheiten der schlechten Wege verursachten ihren zarten Füßen durch das feine Schuhwerk Schmerzen.

      War es nicht voreilig gewesen, sich so weit zu entfernen? Würde Anita sie nicht suchen? Sollte sie umkehren?

      Nein – nein! Sie ging ja einen Samariterweg. Hatten die Ärmsten, denen sie Hilfe bringen wollte, nicht ständig mit solchen Strapazen und Qualen zu kämpfen? Mußten sie nicht noch obendrein schwere Arbeit leisten? Sangen dort nicht irgendwo sogar Leute bei der Arbeit? Mit aller Willenskraft zwang Marietta die ungewohnten Strapazen.

      Nach einer halben Stunde – eine Ewigkeit dünkte sie dem erschöpften Mädchen – öffnete sich der endlos scheinende grüne Buschwald der Kaffeeplantagen. Ein freier Platz wurde sichtbar mit gelbgrauen Lehmhütten. Das war das Dorf, die Ansiedlung der zu den benachbarten Plantagen gehörenden Arbeiter.

      Niemals

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