Ein Zeitalter wird besichtig. Heinrich Mann

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Ein Zeitalter wird besichtig - Heinrich Mann страница 2

Автор:
Серия:
Издательство:
Ein Zeitalter wird besichtig - Heinrich Mann

Скачать книгу

sie hinterlassen eine Wurzel, die noch treibt. Sie werden nachgeahmt.

      Napoleon III. war ein zaghafter Nachahmer des Ersten. Er begehrte seinen Glanz und nicht erst die Mühen. Er hat die Kriege, zu denen seine Herkunft ihn verpflichtete, mit Vorsicht geführt: der letzte, über den er stürzte, mußte ihm abgenötigt werden, ebensowohl von seiner Umgebung wie von dem Angreifer.

      Er hat wie jeder andere gefühlt, auf Grund der Erfahrungen Frankreichs mit seinem großen Kaiser hat der gealterte Nachahmer gefühlt: die militärischen Auseinandersetzungen mächtiger Nationen sind vergeblich, sie entscheiden nichts, da immer dieselben, wenigen Gegner, soweit man zurückdenkt, aufeinanderstoßen. Die Kriege in Europa hatten bisher – nur bis auf uns – einen begrenzten, einmaligen Zweck, – der auch anders zu erreichen war.

      Gedanken eines kranken Machthabers, falls der gealterte Nachahmer des großen Napoleon sie hatte. Er konnte sie nur empfangen, als er nicht mehr weit hatte und sich eingestand, die Ordnung Frankreichs, das Gefühl der Nation sei von Grund auf demokratisch; sein Reich hänge haltlos über den wirklichen Menschen; er sei verspätet; sein letzter Krieg falle aus der Zeit.

      Sein Gegner Bismarck begegnete damals keinem einzigen der Gedanken, die dem anderen nahe lagen, weil er am Ende, die Nation über ihn hinaus war. Die Revolution hat sich dauerhafter erwiesen als der große Kaiser: sein Nachahmer, 19 Jahre, ihre vorläufig unterbrochene Erfüllung, die Dritte Republik, 70 Jahre, und Erfüllungen darüber hinaus werden erwartet.

      Bismarck war zehn Jahre jünger als sein Opfer, war gesund und auf ansteigender Linie. Die deutsche Nation fand seine Kriege rühmlich, sie ließ ihn das Reich, das sie wollte, auf seine Art herbeiführen. Für die Nation bis in ihre geistigen Spitzen ist dies alles gewesen, der Sieg und Triumph, ausgedrückt in einem machtvollen Reich. Nicht für Bismarck. Er kannte, als es nun da war, die Gebrechlichkeit des Reiches. Die Gefahr der Triumphe ist ihm immer gegenwärtig gewesen, ohne daß er sie bereute. Oder man müßte an das Wort denken: »Über meine Kriege habe ich mit Gott abgerechnet.«

      Er hat das Reich nicht nur geschaffen: es zu erhalten war schwerer. Die gefürchteten Koalitionen abwenden. Die Rache – nicht Frankreichs, sondern aller – ermüdet. Den Frieden, trotz Bedrohungen und Verlockungen den Frieden durchsetzen. Andere haben genug getan, wenn sie ihn nicht brachen. Von 1875 bis 1890 brütete Europa für seinen Krieg die Anlässe, wenn nicht sogar die begründeten Vorwände aus. Sie erschienen überzeugender als je nachher.

      Die Deutschen haben ihrem einzigen Staatsmann seine vornehmsten Verdienste nie gedankt, sie kennen sie gar nicht. Er eroberte seinem Reich – nicht Provinzen, die hat er kaum gewünscht, sondern Dauer für seine eigene Lebenszeit. Nach ihm war es sofort in Frage gestellt. Der Bestand des Reiches Bismarcks bleibt weit zurück hinter der Haltbarkeit der französischen Republik. Ohne ihn hätte es auch die knappe Zeit der festen Grenzen, einer halbwegs beruhigten Staatlichkeit niemals erlebt.

      Der tiefe Grund des Hasses, den Bismarck gegen Wilhelm II. empfand: er sah ihm die Zerstörung des Reiches an. Der Unernst des Erben gegen das Vermächtnis hat ihn mehr empört als die Leichtfertigkeit, mit der er selbst behandelt wurde: sie verriet nur den ahnungslosen Komödianten einer Geltung, auf die der Erbe kein Recht hatte. Bismarck nennt seither Friedrich den Großen, das angemaßte Vorbild Wilhelms, einen Schauspieler. Er sah den späten Enkel des berühmten Königs sich ergehen und mißtraute ihm selbst. Gewisse Papiere Friedrichs fand er jetzt gefährlich, er schrieb groß und steif darauf: Dauernd geheimzuhalten.

      Das ist, wenn ich will, die Abneigung eines Alten gegen die Fortsetzung seines Werkes in weitaus größeren Unternehmungen, die er nicht mehr kennen soll. Ich glaube lieber, daß er sie durchaus gekannt hat. Was er zuletzt mehr fürchtete als äußere Verschwörungen gegen das Reich, war das innere Komplott Deutschlands gegen den europäischen Frieden. Seine Bündnispolitik, die sein erster Nachfolger »zu kompliziert« nannte, beweist, daß er die militärische Macht Deutschlands für begrenzt hielt. Er hat natürlich gewußt, daß die Herausforderung an alle, mit der er den jungen Wilhelm spielen sah, das Ende wäre. Quieta non movere, das Wort seiner späten Tage, heißt eben dies.

      Der Fürst wird seine Kriege bereut haben, wenn er an den nächsten dachte. Dies muß der Inhalt seiner Abrechnung mit Gott gewesen sein. Übrigens meine ich, daß von etwas Geschaffenem wenigstens einer den Sinn in sich trägt und begreift: es ist der Autor. Mir gefällt es zu denken, daß auch Deutschland, wie einst das Frankreich Napoleons, nicht völlig blind das Verhängnis der Welt und sein eigenes heraufbeschworen habe. Wenigstens der eine war da, zu wissen und zu warnen. Er hatte, weise geworden, die Folgen eigener Schuld zu unterdrücken oder aufzuhalten.

      Zusammenhänge gibt es, man entziffert sie wohl, unter der Bedingung, daß man schon dabei war und nachher lange genug lebt. Sie definieren geht nicht. Ich halte dafür, daß die deutschen Abenteuer von Beginn bis Schluß, sei es wenig oder kaum bewußt, Napoleon nachahmen.

      Von Bismarck bis Hitler

      Das deutsche Kaiserreich hat pünktlich das zweite französische abgelöst. In Versailles mußte es eröffnet werden. Ohne ein besiegtes Frankreich war das Deutsche Reich politisch vielleicht zu haben, seelisch nicht. Die Deutschen, ob sie es sagten oder nur fühlten, haben von ihrem Reich verlangt, daß es mit dem Prestige von Siegen glänze, wie bis dahin das andere. Der deutsche Kanzler konnte, nachdem dieser Weg einmal beschritten, nur der Schiedsrichter Europas sein, wie vorher Napoleon III. – der Nachahmer eines Größeren.

      Was Deutschland sich im 20. Jahrhundert erlaubt hat, ist ein Maximum, viel zu ungeheuer, als daß es eine natürliche Überlieferung fortsetzen könnte. Traditionen enthalten Erfahrung. Sie lehren Vernunft. Die preußische, wenn sie wirklich nur kriegerisch wäre, geht das alte, kleine Land Friedrichs an, und hier zuerst die Kriegerkaste, – sie ist es aber nicht, die diese unwahrscheinliche Überhebung des ganzen Deutschlands gepflegt, sie zum kritischen Ende gebracht hat. Weniger die alten Preußen als die sehr viel neueren Mächte im Reich.

      Deutschland ist nicht Preußen, es hat von dem alten Preußen beiläufig den undeutlichen Begriff wie alle übrige Welt. Schon sein zweiter Kaiser, Wilhelm, war und handelte unpreußisch, flüchtig, ohne Nüchternheit und Sinn für das noch Erlaubte. Ausreden auf Friedrich den Großen besagen nichts, Friedrich hat wohl seine Preußen als die neuen Römer erträumt – in einer unabsehbaren Zukunft. Inzwischen ermüdeten sie ihn, er hat sie nicht geachtet. Er ehrte allein die Franzosen seiner Zeit, jeden letzten Untertan des Königs von Frankreich, dem zu dienen sein wirkliches Glück war.

      Den Deutschen ist Friedrich ein Name, mehr nicht. Die Schulen außerhalb Preußens unterrichten über seine Geschichte wenig, die preußischen lehren eine Fabel. Das ältere Preußen oder das unbestimmte Bild, das man von ihm hatte, verführte niemand, eher stieß es ab. Gerade an seiner Spitze verfiel seine Tradition. Wilhelm II. hat versucht, den absoluten Herrscher zu spielen, nur keinen preußischen. Seine Mittel waren häufiges Umkleiden, immer reisen, alles wissen und noch mehr reden.

      Das sind zivile Mittel, dieser deutsche Kaiser war kein Militär. In dem Krieg, der nicht seiner ist – ganz andere hatten ihn gewollt und gemacht –, brachte jeder, der es konnte, sich zur Geltung. Gekämpft wurde für die Geldinteressen dieser, das Prestige jener, für bunte Kriegsziele. Der Kaiser allein trat zurück, mit jedem Kriegsjahr weiter zurück, bis er sprach: »Ich spiele nicht mehr mit«, und zu Bett ging. Dieser König von Preußen war ein herabgesetzter Preuße, oder ein abgewichener. Sein Nachfolger Hitler ist gar keiner.

      Wenn Deutschland ein Großpreußen wäre und die preußische Geschichte fortsetzte, dann haben die Deutschen jedenfalls ihren neuesten Führer von draußen geholt, aus demselben Österreich, das Friedrich haßte, dessen Herrscher er der Kaiserwürde entkleiden und das er zerstückeln wollte. Der neue Auserwählte der Deutschen hat mit Preußen-Deutschland das Geringste nicht gemein, weder

Скачать книгу