Ein Zeitalter wird besichtig. Heinrich Mann

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Ein Zeitalter wird besichtig - Heinrich Mann

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der Fall, wo ein Feldherr mehr vermag als Schlachten zu schlagen. Er kann eroberten Völkern ein Segen sein. Im Verlauf der menschlichen Dinge, durch den Druck des Alltags und die Gefühle, die wechseln wollen, kam es dennoch dahin, daß der Sieger lästig wurde. Die Deutschen haben sich gegen eine Last erhoben.

      Die unbestreitbare Last sind immer unsere Gefühle, und keineswegs die Tatsachen, mit denen wir sie begründen. Die berühmte »Franzosenzeit« hat den Deutschen, Generationen von ihnen, die sittliche Rechtfertigung abgeben müssen für ihre eigenen Gastspiele in Frankreich und anderswo. Aber jede Fremdherrschaft bietet Einzelziele, die einander nicht gleichen, wie auch diese Fremdherrschaft nicht jener gleicht. In deutschen Häusern sind die einquartierten Sieger ebensooft wohlwollend empfangen als widerwillig geduldet worden. Man erkannte Gesinnungsfreunde, verständigte sich, man lebte am Rhein und im Süden mit ihnen intimer, als wären sie Preußen gewesen. Indessen waren sie, nach der heutigen Auffassung, die »Welteroberer«. Auch »Herrenrasse« hätte der Name sein können. Er war nicht erfunden.

      Die Nationen müssen nicht unbedingt als totes Objekt behandelt werden, nur weil man einmal auf ihrem Boden steht. Das ist eine neuere Erfahrung, sie galt noch nicht. Keine Absicht bestand, Deutschland französisch zu besiedeln, niemals sind Massen von Einheimischen nach der Fremde verfrachtet worden wie jetzt. Es sind weder Geiseln getötet worden, noch Juden und Kommunisten, noch die bekannten 200 Zivilisten für einen überfallenen Mann der Besatzung. Den einzelnen Buchhändler Palm haben die Franzosen erschossen, dafür wußte bis zu meiner Zeit jeder ihn auswendig, die deutschen Schulen lehrten unermüdlich diesen Buchhändler – haben wohl wenig Auswahl gehabt.

      Exaktionen betreffend hat der kaiserliche Heeresintendant Henry Beyle, M. de Stendhal als Autor, aus Braunschweig an Abgaben einiges über den verordneten Betrag herausgeholt. Für seinen Eifer lobte ihn der Kaiser. Nächste Folgerung: der Funktionär handelte ungewöhnlich. Warum überführten sie nicht die gesamte deutsche Wirtschaft in französische Hände. Wie? Sie hatten doch die Macht!

      Die Deutschen erhoben sich gegen eine Last, – womit sie auch schon begeistert sein wollten für ihre Freiheit; aber es war keine. Nach beendetem Freiheitskrieg, der Deutschland räumte – von fremden Armeen, nicht von seinen überfälligen Machthabern –, trat in Deutschland die gründlichste Erschlaffung ein.

      Wenn nicht das Auftreten des Völkerbefreiers, sondern seine Vertreibung das Ereignis unter allen gewesen wäre, hätte nach seinem Abgang das Lebensgefühl nicht dermaßen herabgesetzt sein dürfen. Das aber war es. Das deutsche Lebensgefühl ist damals nicht, wie das französische, angegriffen gewesen durch die Überanstrengung der Nation während eines Vierteljahrhunderts, durch Menschenverluste, proportionell unersetzlich. Der deutsche Freiheitskrieg war umsonst. Er hat nichts gekostet, außer der besseren Zukunft, die ohne ihn bestimmt schien. Der deutsche Sieg über Napoleon, insoweit er deutsch war, trug in sich seine Strafe. »Der Mann ist ihnen zu groß«, hatte Goethe gesagt, und er hat recht behalten.

      Deutsche Zeitgenossen, die keine Freude an der vergeblichen Befreiung fanden, sind kaiserlich gesinnt gewesen. Sie taten sich weniger Zwang an als die anderen. Der Anschluß des kontinentalen Westens an Frankreich war als Gedanke vernünftig, als Unternehmen erträglich, um nicht beglückend zu sagen. Man hatte vor Augen, daß die Gegenwart der verkörperten Revolution, ihr Anblick, ihr Beispiel die Nationen nicht ausstrich, nicht schwächte. Im Gegenteil, erst der Kaiser hat sie verwirklicht. Das 19. Jahrhundert, wie es dann geworden ist, seinen mächtigsten Antrieb, die nationale Idee, hat es immer noch von ihm.

      Ein Jahrhundert umdenken wollen ist müßig, vergebens vermißt man sich gegen das wirklich Geschehene. Wahr bleibt, daß die Vereinigten Staaten des Westens greifbar nahe, daß sie damals in freundlicherer Gestalt angeboten waren als sie es morgen sein werden nach dem Sieg über Hitlerdeutschland. Wenn die einen entmachtet sind, die Potenz der anderen gelitten hat und als Vermächtnis dieses Zeitalters nur Elend und Mißgefühle bleiben, dann soll ein friedlicheres, geeintes Europa nunmehr in Aussicht stehen. Leichter und schöner, um einen längst unmöglichen Gedanken dennoch zu fassen, war das Reich des Okzidents, da jemand von sich sagen konnte: »Ich setze nicht die Könige von Frankreich fort. Ich bin der Nachfolger Karls des Großen.«

      Als für ihn alles schon vorbei war, hat derselbe, durchaus unvergleichliche Europäer vielmehr hingesprochen, was er nicht glauben konnte: »Einmal nach Indien gelangt, wäre ich Kaiser des Orients gewesen.« Man hält seine Bestimmung nicht jederzeit gegenwärtig, auch dieser nicht. Genau zu wissen, wer ich bin, ist schon mir das Unzugänglichste, und was wüßte ich damit viel. Der andere – l'autre, wie die Seinen ihn nach dem Ende geheimnisvoll nannten – hätte ein Universum, das er war, unbeirrt ermessen müssen.

      Er beging Fehler. Er war, wie ein Mensch, der Furcht unterworfen. Seine schädlichen Kriege, Spanien, Rußland, haben als Ursache die Furcht. Wäre es der Übermut gewesen! Aber er zweifelte, um so sehr zu irren, an seinen eigenen Folgen überhaupt. Dies gerade haben die Völker gefühlt, und verließen ihn. Sie taten es nicht mit freiem Gewissen. Die deutschen Freiheitskämpfer versuchten sich, nicht ganz glaubwürdig, in Begeisterung. Den schwereren Fällen gelang allenfalls eine künstliche Rauschsucht. Sie wollten sich fanatisch, das entbindet vom Denken.

      Mit voller innerer Aufrichtigkeit, aber wo ist sie in Kriegszeiten, hätten alle voraussehen können, was die Räumung des nationalen Bodens wirklich bringen werde anstatt der Freiheit der Nation. Als er den Herrn los war, brach der König von Preußen sein Versprechen, eine Verfassung zu geben. Erstaunlich wäre gewesen, wenn er es gehalten hätte. Der Betrug an einem Volk, das gekämpft hatte, ist der preußischen Monarchie vorbehalten worden, solange sie noch bestand, hundert Jahre. Das waren mithin hundert enttäuschende Jahre, ihre Erfolge und Mißerfolge beiseite.

      Das niedrigste Lebensgefühl

      In Gegenwirkung auf den kaiserlichen Revolutionär ist von dem Deutschland nach dem Freiheitskrieg die Trennung der gesellschaftlichen Stände streng eingehalten wie lange nicht. Die Bevorrechteten ergingen sich mit ihren märchenhaft überlebten Befugnissen in einer Atmosphäre, die selbst unlebendig war. Daher war sie ihnen günstiger als, vor allen Ereignissen, die geistig bewegte Zeit der Aufklärung. Keine Fortführung der Reformen natürlich, angenommen, sie hätten ernstlich begonnen. Ob das richtige Wort im Gebrauch war, deutsche Bauern waren Leibeigene.

      Die geistige Atmosphäre nach dem Freiheitskrieg wird beschönigt, wenn sie »Romantik« heißt. Romantisch denken und dichten bedeutet nicht jedesmal, nicht überall die Abkehr vom Gegenwärtigen und ein ermüdetes Lebensgefühl. Mit langer, maßloser Überanstrengung konnten damals allein die Franzosen das Nachlassen ihrer Geister entschuldigen. Dennoch sind in ihrer Literatur der Zeit die dunklen Erscheinungen die selteneren – auch die nur vorläufigen, wie sich versteht. Victor Hugo tritt auf, alsbald verbreitet sich Helligkeit, Jugendfreude, eine sieghafte Energie. In dem einen hat sie angehalten bis an sein spätes Ende: da hatte er alle, die er haßte, begraben, auch den letzten Despoten seines Landes.

      Hier ist romantisch ein besonders hohes Herz und sein unfehlbarer Ausdruck. Romantisch die abgekürzte Psychologie in Figuren, die um sich schlagen wie auf Gemälden, oder aus einem Stück dastehen, Bildwerke, kaum dem Stein erst abgewonnen. Genau so hat Rodin den Dichter selbst wiedergegeben. Das ist er, dieser moderne Mensch. Romantischer Stil, die großen Gefühle, mitsamt Erfindungen, die nach dem Rechenbuch zu weit gehen, das alles hat ihn nicht gehindert, klar und scharf zu sehen.

      Wenn seinesgleichen ins Exil wandert, ist es, weil er zu viel gesehen hat, dafür muß er noch mehr sehen. Die drei Bände, vor, während, nach dem Exil, zeigen Hugo im Straßenrock, Hugo auf der Ebene der Passanten; – und einem anderen halben Jahrhundert wäre diese Darstellung zu wünschen: Exakt, aber bestrahlt die Wirklichkeit selbst, unmittelbar und ewig, wie der Genius. Nicht im Wissen, nicht in der universalen Persönlichkeit, aber kraft seines standhaften Lebensgefühls finde ich den alten Sänger, den Kämpfer, der immer strebend sich bemühte, herangewachsen

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