Ein Zeitalter wird besichtig. Heinrich Mann

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Ein Zeitalter wird besichtig - Heinrich Mann

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Es zeugt nicht gerade von deutscher Herrlichkeit.

      Wer die Deutschen achten wollte, Goethe unter vielen anderen, nahm sie einzeln, mit ihren Gaben, die sie bewährt haben, einzeln, nicht als nationale Gesamtheit und allzuoft trotz dem Unvermögen der Nation, gegen ihren Widerstand. Jeder Deutsche von Rang hat unter den Deutschen gelitten. Wenn er Ansehen der Welt eroberte, war es Not; er zwang sein Land, ihn zu achten. Das geht auch nicht mehr, seitdem die Deutschen das Herrenvolk sind. Sie sind es ausdrücklich geworden, um niemand und nichts mehr achten zu müssen.

      Was sie ihren Antibolschewismus genannt, womit sie überall die geängstigten Eigentümer betrogen haben, war niemals die Sorge um den Besitz – der anderen.

      Der genaue Ursprung des Antibolschewismus ist so wenig in der Wirtschaft zu suchen wie die Herkunft des Kommunismus. Sondern die Widersacher eines Ausgleichs zwischen arm und reich widersetzen sich zuerst der menschlichen Gleichheit: Ein Aufstand gegen Natur und Gesellschaft. Wenigstens für Unterschiede, wie Menschen sie machen, hat die Natur ihre souveräne Nichtachtung. Die Gesellschaft aber, wenn sie nicht ausgleicht, wofür bestände sie. Besser offene Anarchie.

      Niemandem muß gesagt werden, daß die vollendete menschliche Gleichheit nicht vorkommt. Frei geboren zu sein, ist auch nur der Begriff, den die Sterblichen von sich haben. Es ist ihr unsterblicher Begriff. Wenn das Leben ihn jemals wirklich erfüllte, hätten sie zu leben vielleicht keinen Grund mehr?

      Es ist lebensfördernd, frei und gleich sein zu wollen – das eine um des anderen willen. Feindseligkeit gegen das Leben verrät sich, wo die Gleichheit der Arten, Klassen, Individuen schlechtweg verboten ist. Mit ihr fiele auch die Freiheit, soviel davon wirklich errungen ist, soviel noch aussteht.

      Um die Gleichheit unmöglich zu machen, widerruft man tatsächlich die ganze Freiheit. Der Antibolschewismus erklärt sich gegen die Französische Revolution, als hätte sie die Sowjets erfunden. Der Konvent ist kein geringerer Schrecken für die Schicht von Bürgern, die sich inzwischen bereichert haben; er ist kein schlechterer Vorwand für den antibolschewistischen Betrüger. Der Betrüger kennt ihren Point névralgique – kein Kunststück, der schmerzhafte Punkt ist nicht von heute.

      Die Furcht vor dem Volk hat die besitzende Schicht in Frankreich selbst bis zum Haß ihrer eigenen Revolution getrieben, – ohne die Revolution bestände sie gar nicht. Um ihren Besitz zu retten, hat sie ihre Herkunft, endlich sogar ihr Land verraten, wie man sah. Wie man nicht zum erstenmal sah. Schon der bürgerliche Haß gegen die Pariser Kommune von 1871 ging bis zur Zusammenarbeit mit den bewaffneten Fremden im Land. Die Kollaboranten der Jahre 1940 bis 1944 haben Vorläufer und rühmen sich einer Tradition.

      Damit nichts versäumt werde und der Zustand keinen Zweifel lasse, hat die alte Revolution ihre volle Gegenwart wiedererlangt – bei der neuen, die sie fortsetzt. Die Sowjetunion ist es, wo sie in ihrer währenden Revolution die längst abgelaufene Frankreichs verfolgt haben. (Dies am Anfang, als die Ereignisse nur zu entwirren waren, wenn man verglich.) Sie haben dringend aufgemerkt, bei jedem Auftreten handelnder Personen, in welcher Bedeutung sie einst schon dagewesen wären.

      Sie haben die Vorgänge auf ihre Richtigkeit geprüft, an den alten Parallelen. Sie haben die Französische Revolution nicht nachgeahmt; in ihrer selbstgewachsenen, ihnen auferlegten, haben sie versucht, die Fehler der Vorgängerin zu ertappen und ihnen zuvorzukommen.

      Es ist wirklich ergreifend – als ein menschlicher Vorgang, auch wenn es kein politischer wäre: dieser Anschluß, den über ein Jahrhundert hinweg eine große Nation mit der anderen vollzieht, mit den höchsten Augenblicken der andern. Es zeigt eine hingebende Seele mit einem harten Mut. Es tröstet wahrhaft – über die häßlichsten Gebärden dieses Zeitalters.

      Die Mühen der Toten waren dennoch nicht vergebens. Unter Umständen, die den ihren einigermaßen gleichen, wird, räumlich weit davon, nochmals gehandelt wie einst bei ihnen; und wenn das zeitlich bedingte Ergebnis abweicht und weiter geht, die Begeisterung erinnert wieder an die Morgenröte, ein harter Wille schlägt und schmiedet auch hier. Die slawische Seele ist nicht immer weich, wie man erfährt.

      Das Ergebnis betreffend, was weiß ich? Obenhin scheint es zu wechseln, wie alles Menschliche, mit den auftretenden Menschen. Die Revolution selbst ist wesentlich unbeirrbar. Sie hat die Produktionsmittel ergriffen und behält sie; für das Gegenteil spricht kein Anzeichen. Man sucht Vorbedeutungen in diesem Kriege selbst: Katastrophen der Nation sollen ihre Wirtschaft um-, man meint zurückwälzen. Es werde, wie vormals, Arm und Reich geben.

      Die gibt es schon jetzt. Ich möchte mir auch ausbitten, daß ein Mann, der für seine Verdienste um die seelische Erhebung der Massen den Titel Volksschauspieler verdient, höher bezahlt wird als ein anderer Techniker mit Kenntnissen, nicht der Menschen, sondern der Maschinen. Natürlich muß jeder seinen gerechten Lohn haben, und um so eher die Masse der Ausführenden, die in ihren Händen, auf ihren gebeugten Schultern die ganze Wohlfahrt tragen. Reich – und ganz arm, das widerspricht offenbar dem Sinn einer sozialen Revolution, will sagen jeder echten. Die Sowjets wissen es am besten.

      Es ist abstellbar. Es ist schwieriger, langwieriger zu beseitigen, wenn ein ganz erstaunlicher Aufbau des Landes, die vorher unternommene Sicherung der gesamten Arbeit mutwillig unterbrochen werden durch einen Angreifer. Ein dreijähriger Krieg wie dieser, von der Sowjetunion nicht gewünschte, aber vorausgesehene und großartig bestandene, zerstört von den Ergebnissen zwanzigjähriger, planvoller Mühen viel.

      Er zerstört dort an Menschenleben mehr, als jedes andere Land erträglich fände, (Deutschland, das dieselben oder noch höhere Verluste hinnimmt, wird zu spät erkennen, daß sie auf seiner Seite unersetzlich sind). Vom nationalen Gut zerstört der Krieg so viel, würde man sagen, wie in hundert Jahren nicht herzustellen ist. Aber die Sowjetunion hat bewiesen, was sie in zwanzig Jahren kann. Wenn's vorüber ist, ihren Völkern darf zugetraut werden, daß sie unentwegt an die Arbeit zurückkehren. Das bedingt, dort und anderswo, bei allen abgerüsteten Soldaten, die vollkommene moralische Gesundheit. Die bloße Notwendigkeit tut es nicht.

      Nun haben die Verwaltungen der Union dafür Sorge getragen, daß ihre Menschen nicht nur mehr leisten, sondern auch mehr denken. (In Deutschland wird seit zehn Jahren wenig gedacht, zufolge amtlicher Strenge soll gar nicht gedacht werden.) Nach dem Kriege wird klar werden, daß am schnellsten hochkommt, wer denken gelernt hat, – gesetzt, die Einsicht hätte man nicht jetzt schon. Ein englischer Priester, der unlängst, mitten im Krieg, über die Sowjetunion schrieb, hat Aufsehen erregt mit manchen seiner Worte und mit diesem: »Ein Land, das Arme und Reiche hat, ist nicht frei.«

      Dieser Begriff der Freiheit war sonst nicht im Gebrauch. Der Geistliche mag ihn schon mitgebracht haben, aus dem Christentum, dessen innerer Sinn auch nur selten verstanden wird. Aber die neue Auffassung der Freiheit, eine christliche Auffassung, erzielt nunmehr Erfolge, die noch unabsehbar sind. Sollten sie mit dem Auftreten und Wirken der Sowjetunion anders nicht zusammenhängen, die Gleichzeitigkeit wenigstens besteht.

      Es liegt doch wohl derart, daß die Sowjetunion das alte! Vorurteil gegen die Gleichmacherei praktisch widerlegt hat. Unabhängig davon, was einer kann, hätte sie ohne Ansehen der Unterschiede jeden Arbeiter auf ein Existenzminimum beschränken dürfen. Sie bezahlt im Gegenteil die Leistungen ungleich, und Leute, die sich auf ihren Vorteil verstehen, läßt sie Geld verdienen. Von dem Erworbenen bleibt ihnen nichts, sie müssen es ausgeben; zu kaufen was Bestand hätte, Land, Kohlengruben, Petroleumlager, ist ihnen verboten. Somit sind sie nicht wirklich reich. Der Reichtum ist wirklich, wenn er in Macht über Menschen umgesetzt wird. Gerade das verhindert die Sowjetunion.

      Die Revolution wirkt in die Weite

      Ohne Entstellung, nur mit Weglassung der Hauptsache wird jetzt meistens geurteilt, von Geschäftsleuten und anderem Durchschnitt, sofern er sich vorgeschritten gibt:

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