Ein Zeitalter wird besichtig. Heinrich Mann

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Ein Zeitalter wird besichtig - Heinrich Mann

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müssen nicht beliebt sein, sie sind fast immer das Gegenteil. Nicht jeder Verbündete bringt es dahin, daß eine Nation, der er helfen sollte, ihn mehr verabscheut als den amtlichen Feind. Das ist, seit diesem Krieg, der Fall der Deutschen in Italien. Ich sehe noch keinen italienischen Erzähler der Nachkriegszeit einen deutschen Heerführer mit liebenswerten Zügen schmücken.

      Die slawischen Völker

      Es ist heute so und wird auch früher wahr gewesen sein: die slawischen Völker haben von ihrer ursprünglichen Menschlichkeit vieles bewahrt. Sie sind unmittelbarer als andere, in der Güte, in der Reue, im Zorn. Sie nehmen die Seele, wenn ich recht verstehe, für den besten Teil der Wirklichkeit. Was mit Leidenschaft gefühlt und gedacht ist, findet sie zur Aufmerksamkeit, ja zur Nachfolge bereit.

      Die russische Oktoberrevolution läßt neben allen ihren notwendigen Voraussetzungen gewiß eine besondere zu. Die konsequentesten Denker besaßen den Willen ihrer Überzeugung nicht nur selbst; sie begegneten bei einem Hauptteil des Volkes ihrer eigenen Aufrichtigkeit und Unbedingtheit. Das allein ermöglicht die geraden Taten und ihre Dauer.

      Es scheint mir erlaubt, vom Geringen auf das Große zu schließen, und meine eigene unbedeutende Erfahrung anzunähern dem öffentlichen Geschehen. Nicht in Moskau, aber in Prag fuhr ich, früher einmal, auf einer voll besetzten Straßenbahn und mußte stehen. Nicht lange, ein Mann mit den Kennzeichen eines Kleinbürgers winkte mir, seinen Sitz einzunehmen. Ich wollte es nicht glauben. Ich war im besten Alter, sah auch nicht krank aus. »Bietet er mir wirklich seinen Platz an? Warum?« fragte ich meine einheimische Begleitung. Antwort: »Weil er dich für einen Intellektuellen hält.«

      Denn ihr Präsident – Befreier Masaryk, ein Professor und Schriftsteller – hatte mit tapferen und erfolgreichen Handlungen den nationalen Glauben an die Macht des Denkenden bestärkt, wenn er ihn nicht geschaffen hatte. Das war auch die volkstümliche Wirkung Lenins. Es ist übrigens die einzige, jetzt erlaubte Wirkung auf die Völker. Der Staatsmann Churchill hat seine Wurzel in dem Schriftsteller Churchill. Roosevelt ist der vergeistigtste Typ, den Amerika kennt, und eben dank seinem Wissen um das neue Zeitalter, das er tätig einleitet, wird er im Gedächtnis der Vereinigten Staaten der außerordentliche Präsident bleiben.

      Als größter Realist unter den öffentlichen Männern hat Stalin sich der widerstrebenden Mitwelt herausgestellt. Gerade er verzichtet am wenigsten auf den Rang eines Intellektuellen. Eher noch ließe er seinen Marschallstitel fallen. Der einzige jetzt authentische Realismus deckt sich mit dem Ausbruch von Wahrheitsliebe, der dieses Zeitalter bewegt.

      Die beiden Revolutionen sind eine

      Vorerst hat der Ausbruch von Wahrheitsliebe 200 Millionen Menschen durchaus verändert, er hat sie befähigt für Siege, die nicht zuerst militärisch waren. Die Sowjetunion kann den Krieg gewinnen, weil sie vorher so viel Wahrheit besaß. Nicht ohnmächtige Wahrheit, sondern lebendige – das wirkliche Leben eingerichtet nach bester Erkenntnis, mit dem besten Willen für die Menschen.

      Das Phänomen der ausbrechenden Wahrheitsliebe wiederholt sich an jeder größten Zeitwende. Die Französische Revolution war ursprünglich der russischen wesensgleich. Nicht ganz früh erklärte sich, daß nur eine andere Klasse, statt der vorigen, zur Macht kam. Gewiß war es unmöglich, vor allen seither gemachten Erfahrungen zu wissen, was Freiheit heißt, solange es Besitzende und andere gibt. Übrigens besaß noch niemand die nationalen Grundwerte, außer dem Land, und das wurde aufgeteilt.

      Der Abstand der Französischen Revolution von der russischen ist allein zeitlich bedingt, niemals durch die verschieden bemessene Wahrheitsliebe, durch anders verstandene Menschenpflicht. Menschenpflicht und Wahrheitsliebe sind dasselbe, und es gibt sie nur in einerlei Gestalt.

      Die Französische Revolution hatte die Menschenrechte statuiert. Sie wirklich zu besitzen blieb jedem einzelnen überlassen. Der Ruhm des Jahres 1789 ist die Befreiung der menschlichen Persönlichkeit. Sie darf endlich so groß sein wie sie ist, so mächtig wie sie werden kann. Der Auszeichnung – und dem Abstand, sind keine Schranken gesetzt. Es ist erlaubt, unsterblich oder wenigstens reich, bald wird es erlaubt sein, Kaiser zu werden.

      Die Gleichheit bleibt unter diesen Umständen eine gedachte Voraussetzung. Beim Absprung ins Leben seien alle gleich. Aber setze dich durch, wenn du in Wirklichkeit benachteiligt, wenn du arm geboren, in Unwissenheit gelassen und womöglich von dunkler Hautfarbe bist! Schon die Verpflichtung auf eine einzige Sprache, die jeder mitbekommen haben muß, um sie in der Art aller zu gebrauchen, macht manche zu Unterlegenen.

      Eine neue Revolution wird sich sozialistisch nennen, weil sie vor allem, oberhalb jeder praktischen Einzelheit, auf die menschliche Gleichheit gerichtet ist. Unentschieden bleibt, ob Natur die Gleichheit begünstigt. Die Gesellschaft könnte sie schließlich verwirklichen. Sobald sie ihn braucht, stellt der gute Wille sich ein. Gefühlvoll wird er nicht zuerst sein. Was überwiegt nach langen Zeiten der sozialen Ungerechtigkeiten, ist der entschlossene Überdruß an ihnen insgesamt. Ihre Gesamtheit – ist die Ungleichheit. Oft von Natur bestimmt, noch öfter an den Zufall der Macht gebunden, die Ungleichheit ist nicht mehr erträglich, die Gesellschaft will sie begrenzen.

      Als erste hebt der revolutionäre Staat die Ungleichheit der Arten auf. Die Sowjetunion begreift die kaukasische und andere Rassen ein: aber Unterschiede gelten nicht mehr. Die höchstentwickelten Arten – höchstentwickelt nur nach westlichem Maß – sind nicht beispielhaft von Amts wegen, geschweige bevorrechtet. Sechzehn Republiken, jede mit einer homogenen Bevölkerung, bekommen gleiches Gesetz, jede ihre angepaßte Verfassung. Sie behalten ihre Sprachen, die russische wird nur gelehrt, nicht übergeordnet.

      Nun ist tatsächlich erwiesen, daß lauter Ungleiche, staatlich bisher durch bloße Gewohnheit verbunden, auch mit eigener Zustimmung ihre Pflichten tragen, wenn jeder die Rechte der anderen besitzt. Das Vaterland selbst wird mehr als eine auferlegte Schuld. Es übertrifft den sentimentalen Gegenstand, der es sonst gewesen war. Es wird deutlich wie der Acker vor dem Haus. Es wird daher verteidigt, überzeugt, unbedingt, als ob es der eigene Acker wäre. Dies ist das Vaterland nach Aufhebung der Ungleichheit. (»Das Leben für den Zaren« – und Stalingrad.)

      Als die Französische Revolution die Gleichheit nur voraussetzte – schon der Gedanke der Gleichheit machte die Nation unbesieglich. Wie erst, wenn eine andere Nation ihre Gleichheit – die schwierige Gleichheit der Arten – durchsetzt und verwirklicht! Hier steht Gleichheit nicht im tatsächlichen Widerspruch zur Freiheit: sie ist ihr Anfang, der wirksamste Versuch ihrer Erfüllung. Den Beweis durch das Gegenteil gibt der Feind, der dieses Land überfallen wird. Der deutsche Feind hat aus der Ungleichheit der Arten seine Waffe gemacht.

      Der eigentliche menschliche Gegensatz ist hier Deutschland, das Objekt einer Rassenpsychose, die Sowjetunion, das Versuchsfeld für die Gleichheit der Arten. Das ist der Punkt. Die Gleichheit der Arten fordert von selbst die Gleichheit der Klassen und Individuen. Sie verbietet einen übertriebenen Unterschied des Besitzes und der persönlichen Pflege, wie sie den Vorrang einer Rasse leugnet. Kommunismus, so verstanden, existiert auf höherer Ebene als nur wirtschaftlich. Er ist ein technisches Mittel der wahrhaft gemeinten Gleichheit der Menschen.

      Der Feind, diese Deutschen, wie sie jetzt sein müssen, erklären den Sozialismus der Sowjetunion für erniedrigend, das Merkmal angeborener Knechtschaft. Gleichwohl liegt er für die Sowjetunion auf dem Weg ihrer – mehr als ökonomischen – Befreiung. Durch Gleichheit zur Freiheit – wird dort erprobt. Der Versuch scheint wenigstens weitherziger als der enge deutsche.

      Ein Volk von zusammengesetzten Beständen, altdeutschen, slawischen, keltisch-römischen, jüdischen – mit geringen nordeuropäischen Spuren, will nicht nur Rasse haben. Schon damit sagt es zuviel. Aber überdies Herrenrasse, das Herrenvolk schlechthin, – da hört

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