Ein Zeitalter wird besichtig. Heinrich Mann

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Ein Zeitalter wird besichtig - Heinrich Mann

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der Battle of Britain

      Einer Nation von klarem Selbstbewußtsein darf man ihre Größe nicht vorhalten, man träte ihr zu nahe. Ein Fremder, der, während dieser Zeiten oder vorher, einer Engländerin britische Eigenschaften rühmte, zog sich die Antwort zu: »Wir wissen es, aber wir wollen es nicht hören.« Wenn er ihr bestätigt hätte, sie selbst sei das Vornehmste auf Erden, sie würde es eingesteckt haben. Auf ihre Nation bezogen, ist die Gewißheit heilig und wird nicht genannt. Bekenntnisse verbietet die Selbstachtung.

      Großbritannien hat nicht, wie Frankreich, letzthin Zweifel zugelassen an seiner Festigkeit und Würde. »Unselig« konnte es nie gescholten werden, so nahe ihm zeitweilig der Untergang schien. Nach Dunkerque hat dieses Land allein den Kampf nicht nur fortgesetzt, es war sogar fähig, ihn entblößt und wehrlos dennoch zu bestehen. Seine eigene Rüstung im Verein mit den amerikanischen Waffenfabriken holte eilig auf. (Über dem drangvollen Augenblick vergaß man nicht, solider zu arbeiten als die Deutschen. Wie einen Maßanzug im Frieden.)

      Dies aber geschah, während jeden Tag, ein Jahr hindurch, die Existenz des Reiches und der Insel in Frage stand. Bis der Angreifer, weil er mußte, auch noch die Sowjetunion überfiel. Die deutsche Niederlage vor Moskau beendet für Britannien die Gefahr, vor der es jedem Land geschwindelt hätte. Über Sein oder Nichtsein hatte es selbst entschieden.

      Die Battle of Britain hat den Krieg gegen Deutschland entschieden. Aber erstens, wer sieht das zur gleichen Stunde. Am 9. September 1914 oder mehrere Tage später, da in Deutschland von einer Schlacht an der Marne nichts bekanntgemacht wurde, habe ich wohl erraten, nicht nachgeprüft, daß virtuell das Ende ausgehandelt sei. Nur daß ich dieser Grundtatsache zeitweilig beinahe vergaß in den folgenden Jahren der langwierig hingeschleppten Schlächtereien.

      Mit den gebotenen Abwandlungen vollzieht sich jetzt das gleiche. Deutschland ist eine Landmacht; es mußte in Stalingrad verunglücken, wenn es jemals begreifen soll, daß keine Landmacht die unbedingt stärkste bleibt, es gibt immer noch eine stärkere. Überdies aber soll Deutschland endlich lernen, daß eine Landmacht überhaupt nicht den Stoff hat, die Welt zu besiegen und zu behaupten. Im scheinbaren Besitz des Kontinents unter Ausschluß der verhängnisvollen Insel, hat Deutschland in Wirklichkeit nicht gesiegt, und herrschen wird es nie. Diesen Sinn ergibt die Luftschlacht über England vom Jahre 1940 für den Verlierer, gesetzt, er faßte ihn.

      Großbritannien muß damals ebenso ungeschickt gewesen sein, den Vorgang zu begreifen. Wie ging die Insel aus ihm hervor! Verwüstete Küsten, eine Hauptstadt, durchsetzt mit aufgerissenen Lücken, die Bevölkerung straßenweise ohne Obdach, zwischen Trümmern im Schmutz ihrer Bedürfnisse, in der Not ihrer Blöße. Die einzige Arbeit einer unermeßlichen Siedlung anständig gewöhnter Menschen war fortan das Nachgraben, Abräumen, das Suchen und Bergen der Gefallenen – der Kinder unter den Leibern ihrer Mütter. Wer hätte bei voller Arbeit, unterbrochen nur durch Flucht in die Unterstände, an Guernica gedacht.

      Guernica, eine spanische Kleinstadt, ist die erste, schwache Anspielung der Zerstörung von London. Dort fielen die Bomben auf eine Schule, nunmehr das Muster für die Schulen des Jahrhunderts: seither sind sie bestimmt, ihre Schüler unter sich zu begraben. Die Vorübung der fliegenden Landsknechte, ein eingefangener Kindermörder hatte sie schlicht und glaubwürdig erklärt. »Der deutsche Soldat denkt nicht. Er gehorcht.« Das war richtig für die spanische Kleinstadt, über die sie herfielen, sie wußten selbst nicht wieso.

      Während ihrer Luftschlacht um England, das kann beschworen werden, hat jeder einzelne das Hochgefühl seiner Berufung genossen. Die Erwähltheit seiner Herrenrasse war noch das wenigste. Sogar eine Jahrtausendgestalt, den Liebling der Weltgeschichte, ihren Hitler, konnten die beflügelten Knechte nicht dauernd im Auge behalten. Immer gegenwärtig war England, erkennbar des Nachts an den Bränden, tagsüber in dem Wabern von Haß, den sie gleichfalls hinunterspien. »Umgürte dich mit dem ganzen Stolze deines Englands.« Endlich hilft das nicht mehr. Endlich muß der Brite kriechen. Aus mit dem vornehmen Gönner, für den die Wilden kämpften, und das Geld des Weltalls floß gratis hierher, in dasselbe Land, das jetzt raucht und wo sie kriechen.

      Die Knechte sind glückselig erinnert worden an ihre eigene Kriecherei vor dem Übermut jedes Stärkeren. Sie vor ihrem Hitler, ihrem General, ihrem Industriellen, sie vor Versailles, dem Engländer in Köln, dem Franzosen in Düsseldorf, – aber vor ihnen der stolze Brite. Alles kriecht, sie sind endlich auf gleich. Kniend im Geröll, angelt der Brite unter wankenden Steinen nach seinen Sovereigns und verfehlte sie, die Mauer erschlägt ihn. »Rein in den Untergrundbahnhof! Raus aus dem Untergrundbahnhof, immer gleich tausend Briten. Nochmal tausend Briten bitt' ich mir aus, damit sie einander massenhaft erdrücken, flüchten kann nicht jeder im Mercedes. Die armen Leute sind mir die liebsten, weil ich selbst nichts habe, und zeig' ihnen wer ich bin. Ich bin ein Deutscher, so sehen wir aus.«

      Stoßgebete aus der Höhe des Gefühls: »Gott strafe England!« (1914.) »Wo ich England treffe, greife ich es an.« (Der Führer.) »Polen existiert nicht mehr. Nur noch das britische Weltreich bleibt zu vernichten.« (Seine Leute.) »Alles vernichten, was nicht deutsch ist, und wenn ich wählen soll, England!« (Der fliegende Landsknecht.) »Ha! Es geht, es klappt, es passiert: Kampfflieger haben sie keine. Was sie haben? Fesselballons. Ich siege, vernichte, ich strafe, die Rache macht selig.« (Das ganze Deutschland, das brünstig mitfliegt.)

      Auf zehn deutsche Flugzeuge kam allenfalls ein britisches. Jedes muß überaus besonnen gekämpft haben, wenn es standhielt. Einer gegen zehn war nicht das ärgste. Das Schicksal Londons war nicht das ärgste, obwohl hier zuerst versucht worden ist, ein so weites, vielfältiges Gebilde menschlichen Lebens umzubringen, alle seine Teile gleichzeitig: die Viertel der Armen, die Gebäude, die England darstellen, sein Herkommen, seine Macht.

      Bei einem französischen Katholiken las ich aufgezählt die katholischen Kirchen, die über die ganze Stadt verteilt, wie auf Verabredung dennoch alle getroffen sind. Die Docks scheinen weniger empfindlich gewesen zu sein als Westminster, das nicht weniger greifbaren Wert hat als die Schiffswerften: es stellt um einiges mehr vor. Was es bedeutet und auch das Alter des Monumentes mißfiel dem Feind (der seither die Beschädigung von Nürnberg für eine Kulturschande erklärt hat, heute aber dem Untergang Berlins die Tragik abspricht).

      Dieser Feind ist der erste und bleibt der einzige, der es wirklich auf die Kultur abgesehen hat, insofern eine Nation ihr Gedächtnis verliert und endlich selbst verlorengeht, wenn ihre Denkmäler fallen. Heute, im fünften Jahre des Krieges und angesichts seines schimpflichen Endes, sind deutsche Gelehrte in den Archiven der besetzten Hauptstädte tätig. Sie versehen das Amt, Dokumente verschwinden zu lassen, uralte Zeugnisse vom Ursprung und der Eigenheit der Nationen. Keine Inkunabeln mehr, keine Vergangenheit. Eine geschlossene Ecole des Chartes ist mehrere Schlachtensiege wert.

      Dies ist »Deutsch-Europa«, wie es gemacht wird mit Hilfe der deutschen Kultur, die genau das gehorsame Gesicht der Forscher in den Archiven hat. England aus der Luft herab einzudeutschen, bleibt ein ungelöstes Problem. Der Schwan von Avon, ob sein Geburtshaus dem Erdboden gleichgemacht würde, ist für alle, die jemals einen Vers hörten, ja für alle, die nie einen hören werden, der größte Dichter Europas, und ist ein Brite, kein Deutscher. Goethe sprach ungefähr: »Es ist falsch, mich dem oder jenem (Tieck) zu vergleichen. Ich messe mich nicht mit Shakespeare.«

      Die Gefahr, ihre Geschichte, die Geschichte einer meisterhaften Gestaltung, verschwinden zu sehen, war bei weitem nicht die ärgste während der Battle of Britain. Buckingham Palace wurde eine Ruine, die königliche Familie mußte ausziehen. Nun vertritt das Haus Windsor, seit dem Abgang Habsburgs, allein noch die ehrwürdige Überlieferung, deren Europa bedarf, um es selbst zu bleiben – und um seiner künftigen Erinnerung willen, falls mit ihr gerechnet wird.

      Man erreicht sie nicht durch Abrasieren, durch wohlberechnete Bombentreffer und die Akribie von diebischen Philologen. Ehrfurcht wird verlangt vor der Gesamtheit unseres Daseins, das ein und dasselbe

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