Ein Zeitalter wird besichtig. Heinrich Mann
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Ein Verein boshafter Dilettanten, haben sie »sich das Gericht gegessen«, als sie daran gingen, die Sowjetunion in sechs Wochen niederzuwerfen. Auf dem Boden des überrannten, nicht wirklich besiegten Frankreich hätten sie höchstens sechs Wochen bleiben dürfen.
Die gesunde Wahrheit ist ihnen lange vorenthalten worden, die »unbesiegbaren deutschen Heere« wurden von allen Nichtbeteiligten, oder die sich dafür ansahen, mit aufgerissenen Mäulern bestaunt. Das erste Wort fand ein Brite: der General der berühmten 8. Armee, – die Landmacht Großbritannien hat berühmte Armeen. Die militärischen Gegner pflegen einander hochzuachten, wenigstens tun sie so. Das Verdienst des Siegers mißt sich an den Talenten des Unterlegenen.
Sir Montgomery nannte mit britischer Einfalt seinen geschlagenen Rommel eine krasse Mittelmäßigkeit. Das hätte man ihnen längst versetzen sollen – nicht dem einen Bürschchen, sondern dem Quark insgesamt. Sie würden es gehört, ihre Sicherheit würde gelitten haben. Im Grunde wissen sie: Hochmut kommt vor den Fall. Der Satz sagt mehr als eine ganze Rassenlehre.
Kapitän Langsdorf
Großbritannien und Deutschland waren nicht in jedem Fall unvergleichbar. Ich bin weit entfernt, die falsche Meinung zu unterstützen, als gäbe es nur unehrenhafte Deutsche. Es wäre gegen die Selbstachtung. Es wäre gegen die Wahrheit, die man unter anderen dem Kapitän Langsdorf schuldet.
Sein Tod ist lange her, Dezember 1939, ein überholtes Vorkommnis, schon vergessen. Ich habe es mir gemerkt, hier soll es stehen.
Der deutsche »Taschenkreuzer« »Admiral Graf Spee«, ein Korsar, wie diese Vereinzelten, Verzweifelten genannt werden, hat das Unglück gehabt, britischen Kriegsschiffen zu begegnen. Es geschah ihm nahe von Uruguay und wahrhaftig nicht mit Absicht. Schlachten zu liefern, den Auftrag hatte er nicht. Er sollte, entgegen dem Seerecht, die Handelsschiffe, feindliche wie neutrale, versenken. Wenn es sich machen ließ, nahm er wohl die Besatzungen auf. Wenn nicht, ertranken sie.
Der »Admiral Graf Spee« versah kein lobenswertes Geschäft, obwohl er seine Pflicht tat. Der erste der begegnenden Briten war kleiner als er selbst, der Deutsche wäre mit ihm fertiggeworden.
Indessen kamen zwei andere Einheiten der britischen Flotte rechtzeitig hinzu. Schwer beschädigt, mit sechsunddreißig Toten und achtzig Verwundeten, flüchtete der »Graf Spee« in den Hafen von Montevideo.
Vielleicht hätte er vor der Schlacht, ohne Kampf, das Weite suchen können. Er war der Schnellere. Er hatte Grund sich dafür zu halten. Er mußte darauf gefaßt sein, daß in diesen belebten Gewässern sein Gegner alsbald Beistand fände. Aber er hat das Feuer des »Exeter« erwidert. Unter anderen Umständen wäre er für tapfer, sehr tapfer gerühmt worden. Deutschland ist verrufen, sein Kreuzer ein Korsar, und noch so viele bewiesene Seemannsehre rechtfertigt seine vorigen Verrichtungen nicht. Die Augenzeugen aus der Gegend hatten denn auch kein Wort für ihn, sie bewunderten einzig die Taktik der Engländer. In Berlin empfing man zu derselben Stunde auf drahtlosem Wege die Photographie des Kreuzers nach seiner Beschießung. Trotz dem Augenschein beeilte man sich, ihn als Sieger auszuschreien. Dabei wußte man: das kranke Schiff in der feindlichen Ferne hat vierundzwanzig Stunden, keine mehr, um seine Verletzungen zu heilen. Es fährt aus, in welchem Zustand immer, oder wird für die Dauer des Krieges interniert. Draußen erwarten den »Graf Spee« zwei der Engländer, mit denen er schon im Gefecht gewesen ist, und statt des dritten, das gelitten hatte, ein neues.
Aber der Befehl ergeht, er muß ausfahren. Hitler selbst verbietet sowohl die Internierung als auch eine Niederlage. Kapitän Langsdorf trägt die Verantwortung für seine Beschlüsse.
Das Telephongespräch am siebzehnten, zwischen Berchtesgaden und Montevideo, betraf die Ehre des Führers. Seine Ehre, ein Ableger der Propaganda, verträgt keine Internierung seiner Kreuzer, die übrigens gezählt sind. Die britische Flotte hätte an dreien nicht so viel verloren, wie die deutsche an dem einen. Der »Graf Spee« ist von Hitler aufgegeben, unter dem Vorbehalt, daß Menschenverluste zu vermeiden sind. Sie würden der Menschlichkeit des Führers nichts ausmachen, um so mehr der persönlichen Geltung, die er sich beimißt.
Kapitän Langsdorf hat das Schicksal seines Schiffes vor Augen gehabt. Er hat seine Toten begraben, nicht auf dem englischen Friedhof, wie der großbritannische Gesandte ihm angeboten hatte. Der deutsche Kapitän hat sich und sein Schiff für outlaw erachtet – schlimmer, er kannte keine zivilisierte Gemeinschaft mehr. War gegen sie nicht nur empört, sondern verachtete sie, mitsamt dem ritterlichen Anerbieten des Feindes, den Besiegten die Gräber zu gewähren. Grüße aus englischen Gewehren über die Särge von Piraten – »da lach ick öwer«, hat dieser deutsche Seemann gedacht. Er hat bei sich entschieden: »Die sollen nicht auch noch die Gerechten spielen, weil sie die Stärkeren sind. Mein Handwerk war gemein – weiß ich, und will um so weniger ihre ehrbaren Salven hören. Sie fahren zur See nach Recht und Gesetz, sind aber in anderen Zeiten Räuber gewesen, Jacke wie Hose, jetzt bin ich's. War es, – aber wenn das Ende kommt, fällt der Schein weg und gilt kein Name.«
Kapitän Langsdorf hat weiter erkannt, daß alles zwecklos gewesen war von Anfang her, sein Amt und Dienst, das feindselige, heimliche Schweifen in Weiten und Gebreiten, wo er nur den Wehrlosen begegnen durfte, um sie zu vernichten. »Wofür? für wen? Mein Land kann mir nichts danken, jeder meiner Dienste hat nur seine Lage verschlechtert. Dies Deutschland kommt zu spät, mit allem was jetzt los ist, um Hunderte von Jahren zu spät, und handelt daher falsch, und nicht ehrbar, sondern verhaßt. Seekrieg – wir, und jetzt, und auf unsere Art! Wer war ich? Nicht einmal ein Korsar. Es ist an dem, ich fahre aus, aber Tote will ich nicht mehr, außer einem vielleicht. Der Mensch in Berlin hat nicht nötig gehabt, mir groß zu befehlen, wer der sein soll. Mich internieren sie hier nicht. Die draußen auf mich warten, die Ritterlichen, die von meinesgleichen die Meere säubern und den Dank der Welt haben, weil sie die Angenehmen sind, und nicht sind wie ich, – die kriegen mich auch nicht. Die sollen diesmal nichts zu tun bekommen. Was übrig ist, kann ich allein.«
Auch die verlängerte Frist lief ab, sie wurde nicht nochmals erneuert. Neun einheimische Arbeiter flickten an dem großen Schiff, das weder fahren noch kämpfen konnte. Langsdorf setzt der Behörde auseinander, die Küche sei nicht fertig, – ein ironisches Schriftstück, so breit wie möglich, damit sie lesen sollten und die Zeit verginge. Zur Not wäre er über die Bucht bis Buenos Aires gelangt. Ein Aufschub; aber an diesem 17. Dezember war ihm danach nicht zumute. Ihn verlangte es, abzuschließen.
Um 11 Uhr abends verließ der Kreuzer »Admiral Graf Spee« den Hafen von Montevideo. Fünf Seemeilen entfernt, versenkte er sich selbst, vor den Augen des überlegenen Feindes, der zusehen mußte, und von zweihundertfünfzigtausend Gaffern, die auf eine große Seeschlacht gehofft hatten. Da war es vier Uhr früh, die Sonne ging auf. Die Verwundeten waren vorher ausgeschifft. Tausend von der deutschen Mannschaft gingen an Bord eines deutschen Frachtdampfers, sind dann interniert worden, wie auch das Handelsschiff. An der Sprengung des Kreuzers beteiligten sich Freiwillige. Auf Deck waren alle Offiziere und der Kommandant. Als die Lunte schwelte, haben sie das letzte Boot bestiegen. Niemand ist umgekommen, bei der Versenkung niemand. Argentinier haben sie abgeholt. Die Matrosen sagten: »Für uns ist der Krieg aus«. Der Kommandant erklärte sich befriedigt.
Die Sache scheint unblutig verlaufen, wenn das genug ist, um sich befriedigt zu finden. Das Ende war dann doch die Internierung samt und sonders, für die Dauer des Krieges, – ganz entgegen der Propagandaehre. Die Propagandaehre verbot indessen noch dringender einen großartigen Sieg