Ein Zeitalter wird besichtig. Heinrich Mann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Ein Zeitalter wird besichtig - Heinrich Mann страница 17
![Ein Zeitalter wird besichtig - Heinrich Mann Ein Zeitalter wird besichtig - Heinrich Mann](/cover_pre961322.jpg)
Seinen Auftrag, zu intrigieren, hat er inzwischen selbst als kindisch erkannt: dies sind die Jahre, die alles verwandeln. Als dieser Heß vorgab, er wäre geflüchtet, log er. Jetzt fände der geborene Ägypter ein längeres Verweilen in Deutschland tatsächlich unerwünscht.
Faschistische Sympathien können in England schlechterdings nicht einbekannt werden. Bei der Fügsamkeit des menschlichen Gemütes und solcher Gemüter, heißt dies auch schon: sie sind abgelegt. Geduldet wird der Antikommunismus. Aber jemand muß der Mann sein, sich vor die Brust zu schlagen und den Ton des herausfordernden Bekenntnisses zu gebrauchen. Auch darf er nicht vergessen, die Sowjetunion zu schonen.
Man redet dann: »Einem russischen Kommunisten würde ich ausweichen. Neben einem britischen Kommunisten möchte ich nicht einmal begraben sein.« (Engländer werden anrüchig durch Meinungen, die den Russen eben noch hingehen.) Die mannhafte Stimme gehört einer Dame, von britischer Herkunft ist sie wohl nicht. Damit wäre erklärt, daß sie den Verdacht der Unmoral nicht scheut. Britisch ist es, unter allen Umständen seinen Frieden mit der Moral zu machen. Neue Zugeständnisse, die für vernünftig und unausweichlich erkannt werden – so die Anerkennung eines mehr oder weniger kommunistischen Staates und seiner universalen Auswirkung –, werden in England moralisch gewertet. Wenigstens bekommen auch die sonst Unkundigen den überzeugenden Eindruck.
Es bleibe dahingestellt, ob vielmehr ein neu geoffenbartes Sittengesetz das Früheste ist. Vielleicht lag es zugrunde und wartete nur, bis die Schule des praktischen Lebens es tauglich erwies und ans Licht zog. Nehmen wir für alle Fälle an, daß zuerst die russischen Erfolge kamen, dann die Einsicht: ein Staat und Volk wie diese können nicht länger bemakelt bleiben. Es ist keine Schande, Kommunist zu sein, da Einrichtungen und eine Auffassung vom Leben, die kommunistisch heißen, in zwanzig Jahren ein Land groß und siegreich machen. Dem Siege vorbestimmt ist die proletarische Revolution – ist immer die echte Revolution. Stalingrad gleicht Valmy.
Hinzugerechnet die Schicksalsgemeinschaft. Denn die große britische Verwandlung vollzog sich unmittelbar, bevor auch die Sowjetunion um ihr Leben kämpfen mußte – um die Nation selbst, wie Großbritannien. Aus einem Mittler und Gönner von vornehmer Statur wird der nackte Mensch, verkrümmt von lange ungewohnten Anstrengungen: nicht wahr, da erkennt man den Proletarier, errät seine Seele.
Einer schien für immer gesichert, die edle Langsamkeit der Entschlüsse, eine praktische Vernunft ohnegleichen saßen ihm wie angeboren. Schneller als es sich sagen läßt, wird er ein großer Dulder, spannt sich an, kehrt um, bis er der erstaunlichste Abenteurer, ein Don Quichotte gar ist. Nicht wahr, das eröffnet Einblicke in das Wesen der Sowjetunion.
»Unser Bündnis mit Rußland wird den Krieg überdauern.« Nicht nur, weil beide auf der gleichen Seite kämpfen. Erst recht, weil sie mit verwandter Seele gekämpft haben und, ob sie wollten oder nicht, einander die Nächsten wurden. Wo ist das Jahr 1940, als England, zu spät, der französischen Republik die Vereinigung der beiden Reiche anbot! Großbritannien und die Sowjetunion, nur sie enthalten alle Kräfte, deren Europa bedarf, gesetzt, es sollte nochmals leben. Verantwortet wird das neue Europa von ihnen allein.
Großbritannien und die Sowjetunion haben niemals daran gedacht, einander nachzuahmen. Wollten sie es, wäre viel zu überwinden, ein konventioneller Abstand, noch größer als der praktische. Das Bewundernswerte ist, wie sie ohne Absicht, ohne Vorbild, dennoch zu gleichen Vollendungen gelangen. Nicht allein ist die britische Auffassung der Freiheit nunmehr abgewandelt in Richtung der Gleichheit – (ohne daß sie erreicht wird; wörtlich besitzt auch die Sowjetunion sie nicht). Sondern die andere Parallele, unerwartet, aber tief vorbereitet, tritt zutage. Die Sowjetunion errichtet wahrhaftig ein zweites Commonwealth.
Das sieht unmöglich, es sieht wie eine im voraus verlorene Wette aus. Jede der sechzehn Republiken soll ihre eigene auswärtige Politik haben; Polen würde mit der Ukraine zu tun bekommen, anstatt mit Moskau. Übrigens ist es dahin so weit wie zum britischen Kommunismus. Man begnüge sich mit der Neigung und dem Bekenntnis. Die Logik der Dinge wird begriffen, lange vor ihrer Verwirklichung. Offenbar verwandelt keine zentralisierte Autokratie sich über Nacht in eine Föderation. Das britische Reich hat mehr als hundert Jahre gebraucht.
Die Selbständigkeit der Sowjetrepubliken ist in ihrer Verfassung vorgesehen – nicht nur für ihre auswärtigen Angelegenheiten, sogar für ihre militärischen. Wenn beides schon heute durchgeführt wäre, könnte die Union diesen Krieg nicht bestehen. Damit wäre nicht bewiesen, daß der Vorsatz unernst ist. Aus der anerkannten Gleichheit der Menschenarten ergeben sich Rechte – auch Rechte, die in der Zukunft liegen, worauf es ankommt: den Punkt eins zu erreichen, wo die Selbstbestimmung der Republiken die Union nicht unsicherer macht, sondern sie befestigt. Das britische Commonwealth ist freiwillig und verbürgt einem Viertel der Erde seinen inneren Frieden.
Die Briten haben niemals befürchtet, Hitler werde mit der Sowjetunion fertig werden, weder in sechs Wochen noch überhaupt. Wer sowohl Antifaschist als auch Antikommunist war – aber Demokratie ist das noch nicht, sie setzt sich nicht aus Antis zusammen –, hat allenfalls gewünscht, Nazis und Rote möchten einander aufreiben und unschädlich machen. Das war alles, was man tun konnte, um die innere Annäherung an Rußland zu durchkreuzen. Es ist wenig. Unvergleichlich kühner handelte zu derselben Zeit die Moral.
Das Buch des Dean of Canterbury über die Sowjetunion, so bedeutend es ist, fällt doch nur unter die Symptome. Die wiedergeborene Moral schreit dermaßen zum Himmel, daß einer der höchsten Priester des Landes, wo sie das meiste gelten, nicht anders kann, als einstimmen. Es war aber sein Traum von je, so sprechen zu dürfen, von dem Heiland als seinem Zeitgenossen, von den Verheißungen des Heilands an die Armen, nur an sie, und von dem Ende des verhängnisvollen Unterschiedes, den die christliche Welt bisher krampfhaft festhält, zwischen Wirklichkeit und Lehre.
Der Abstand vom Wissen zum Handeln ist verringert, wenn nicht aufgehoben, in der Sowjetunion. Dies allein geht den Dean an, – nicht Worte wie Kommunismus. Die meisten machen sich mit Worten bezahlt. Wenn sie Entrüstung in die Aussprache des Wortes Kommunismus legen, fühlen sie sich mannhaft oder doch erleichtert. Es ist ihr fragwürdiges Gewissen, das sich hiermit beruhigt.
In Rußland ist mit der Verstaatlichung der Produktionsmittel der Kommunismus durchgeführt. Was die Gerechtigkeit schlechthin betrifft, werden Kommunisten wie andere Sterbliche sich ihr allenfalls annähern: ihr gleichkommen nie. Schon die Wirtschaft des einzelnen kann nach seinem Belieben außerhalb der Gemeinwirtschaften bleiben. Nur ist dafür gesorgt, daß wirtschaftliche Übermacht weder erlangt noch mißbraucht wird. So einfach ist das.
Den Antikommunisten außerhalb der Sowjetunion, den handgreiflichen wie den sprachlichen, fehlt die technische Kennerschaft dieses Geistlichen. Sie werden niemals richtig wie er angeben, was vorgeht bei den Sowjetvölkern, in dem kollektiven Ackerbau oder der Ölgewinnung, der Technik und Wissenschaft, die beide, von Rücksicht auf den Handel befreit, der menschlichen – und internationalen – Wohlfahrt helfen dürfen. Es wird ihnen keinen Eindruck machen, wenn sie hören, daß die Höchstgeehrten im Lande die Lehrer sind.
Die Abschaffung, das tatsächliche Ende aller Verfolgungen von Rassen, Religionen, Gedanken, dürfen sie nicht sehen – liberal, wie die Antikommunisten zu sein pflegen, und auch Juden sind sie oft. Aber sie sind ungläubig, daher würde sogar eine bessere Informiertheit sie nicht weiterbringen. Sie wollen nicht, und können nicht wollen.
Eine ganz ungewöhnliche Begabung muß sich, unter Schwierigkeiten wie den jetzt zeitgemäßen, finden und hervorarbeiten, damit jemand Moralist wird – vielleicht, ohne es zu wissen. Da ist Chaplin, ein Schauspieler, kein sittenstrenger Geistlicher. Sicherlich hat er, ganz von