Ein Zeitalter wird besichtig. Heinrich Mann

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Ein Zeitalter wird besichtig - Heinrich Mann

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die schwer vergleichliche – in mehr als einer Hinsicht seltene – Sowjetunion macht Schwierigkeiten auch dann noch.

      Gut, die deutschen Erfolge waren in der Friedenszeit, die 1914 endete, außerordentlich gewesen. Vor allem ging es damit schnell – verhältnismäßig schnell. Die nachmaligen Erfolge der Sowjetunion und ihr Tempo seien nicht herbeigezogen. In jenen vierundzwanzig Jahren ist kein anderes Land nach diesen Massen industrialisiert worden. Keines hat sich, in Anbetracht der knappen Zeit, so sehr bereichert. Die Deutschen erstaunten selbst, sie kamen aus der Selbstbewunderung nicht heraus. Aber man muß von sich selbst im Grunde schlecht überzeugt sein, damit das Glück so schlecht vertragen wird. Wäre die Sache »mit rechten Dingen zugegangen«, das heißt normal, und ihnen wohl bekömmlich gewesen, sie hätten von sich nicht all das Aufheben gemacht: die Periode Wilhelms II., die ganz Prahlerei und Überhebung ist, wäre anders verlaufen.

      Gleich der erste Nachfolger Bismarcks kündigte den Vertrag mit Rußland: das russische Bündnis mit Frankreich war demgemäß beschlossen. Die Regierungen des prahlsüchtigen Kaisers, vor allem er selbst, haben England herausgefordert, so oft sie konnten: folgte das britisch-französische Einvernehmen. Dem Dreibund des ersten deutschen Kanzlers – Deutschland verbündet mit Österreich und Italien, aber nicht mehr bei Rußland rückversichert – stand seither gegenüber die doppelte Entente dreier Mächte, die zusammen volkreicher und stärker waren als Deutschland mit seinen beiden Freunden. (Italien ist auch zu der Zeit Bismarcks kein überzeugter Freund Deutschlands gewesen, nur der Minister Crispi war derselbe verrannte Ehrgeizige wie später Mussolini.)

      Zwei feindliche Gruppen von Mächten werden endlich Krieg haben. Die Drohung hat sich bis 1914 hingezogen trotz Krisen: die Völker nahmen sie merkwürdig leicht. Den Krieg in Europa kannte nach einem langen Frieden niemand mehr; er wurde, so oft er drohte, nicht ernsthaft geglaubt: das war ein Grund des gewährten Aufschubs. Nicht einmal der Nation, die angreifen sollte, wurde es mit vollem Bewußtsein zugemutet. Was einmal geübt ist, wiederholt man, und wäre es das erstemal noch so übel verlaufen. Das deutsche Phänomen wäre unwahrscheinlich, aber zu viele erfahren es jetzt am eigenen Leibe.

      Deutschland, im ersten Weltkrieg geschlagen, geht leichten Herzens in den zweiten – nur zwanzig Jahre nach seiner Niederlage. Hätte es fünfzig Jahre aufgehalten werden können, auch Deutschland wäre, lange nach allen übrigen, inzwischen zur Besinnung gelangt. Die zwanzig Jahre sind genau die Zeit der Spannung, in denen ein schwer belehrbares Volk sich zwischen zwei Kriegen fühlt und den nächsten erwartet – ohne ihn wirklich zu wünschen. Aber es handelt wahnsinnig, damit er kommt.

      Deutschland hat 1939 unvergleichlich mehr getan als 1914. Es hat, anders als damals, jetzt die ganze Schuld auf sich genommen. Sein Vorwand, der Vertrag von Versailles, besagt geradezu, daß es an der vorigen Entscheidung nicht genug hat und eine neue wünscht. Es nimmt sich einen Führer – oder läßt ihn über sich kommen –, der ohne Grund und Gegenstand wäre, ausgenommen allein den Krieg. Für den Krieg hat er sich selbst bestellt von Beginn seiner Laufbahn.

      Im Besitz der Macht, nähert er sich mit jeder seiner Handlungen dem Krieg. Die Aufrüstung allein täte es nicht. (Sie hatte vor ihm begonnen.) Der Terror in Deutschland ist geboten, damit kein Widerspruch laut wird gegen den Krieg. Man gibt vor, den Schrecken weltanschaulich zu gestalten. Hingerichtet, aus ihrem Land vertrieben, gefangen gehalten, ausgebürgert werden Sozialisten, Juden, Intellektuelle, Christen. Ihr Haupttitel bleibt: Kriegsgegner. Verdächtig fremder Freundschaften und eines Gewissens für Europa – einbegriffen Deutschland – damit wird man der Feind und entzieht sich durch die Flucht einem qualvollen Tode, wenn man es noch kann.

      Die Arbeiter sind entrechtet worden, der Mittelstand proletarisiert. Verfolgt wird die christliche Kirche, mit ihr jede moralisch bestimmte Vereinigung und die sittlichen Individualitäten. Eine gleichförmige Masse ohne Gedanken, bar jeder eigenen Kraft, ist hergestellt worden als bequemes Objekt einer einzigen Partei. Die allein übrige Partei hatte als Vorwand ihrer Tyrannei den Krieg: oder sie wäre nur dagewesen, um sich zu bereichern. Ihr sinnloses Regiment hätte sie bald verbraucht, sie hätte sich in Diebesbanden auflösen können. Was sie am Leben erhielt, war lange vor dem Krieg der Krieg, das Pressen der Nation in den geistigen – auch schon in den wirtschaftlichen – Zustand des Krieges, die lückenlose Erziehung des Landes für den Krieg.

      Die Partei und ihre Führer sind, wenn sonst bei niemandem, gerechtfertigt vor sich selbst seit dem Ausbruch des Krieges. Wer hätte, wenn nicht sie, die gute »Moral« der Nation erzwungen auf diesem hochgehenden Meer des Wahnwitzes. So viele Siege, die keinen Deutschen etwas angehen! Alle die unterjochten Nationen: Feinde für hundert Jahre; aber wer achtet dessen. Die Partei und ihre Führer haben den Deutschen fügsam gemacht bis zu dem Grade, daß ihn nunmehr auch die Niederlagen nichts angehen! Die Front kämpft unverdrossen, indessen das Innere sie vergessen hat. Es ist einzig bemüht, seine brennenden Städte zu fliehen. Die Front flieht auch, in planmäßigen Rückzügen. Das Innere nimmt geordnete Evakuationen vor.

      Es dürfte keinen Deutschen wundern. Hierfür – hierfür allein ist zehn Jahre lang gelebt, gewütet, erduldet, und ist immer gehorcht worden. Keine Arbeit, kein Entbehren – »Kanonen statt Butter« – nichts, außer für den einen Zweck. Block und Beil, das vergossene Blut der Empörer, – die Absicht immer dieselbe. Eine Sintflut erlogener Weltanschauung, hergeholter Einbildungen, Glaubenssätze aus dem Tollhaus, – alles ging um das Leben, die ganze lange Zeit.

      Jeder Deutsche, dem sein Leben lieb war, stellte sich schwachsinnig oder verlor den Verstand. Bewiesen war ihnen allen, ihr kaum mittleres Land trage in seinen Falten den Sieg über die ganze Welt.

      Die unwürdigen und unbrauchbaren Unternehmen bedürfen um so mehr einer großspurigen Ideologie, die in alle Köpfe gerannt wird. Da sitzt sie – und verewigt den Krieg, nachdem es ihr gelungen ist, ihn schwindelhaft zu beweisen. Das Herrenvolk, über seinen Kopf hinweg zum Herrenvolk ernannt, und unterwürfig genug, den Titel anzunehmen, – heute hat es kein Land mehr.

      Die Städte liegen in Trümmern, die Bewohner werden abgeführt, nach deutschen Gegenden, die unheimatlich sind, nach fremden Ländern, die sie für erobert halten sollen. Sie könnten sich aus eigener Anschauung überzeugen, daß gar nichts erobert ist als nur der Haß: er schlägt über ihnen zusammen, sie atmen ihn, schlucken ihn, sie ersticken.

      Sie, wohlbestalltes Herrenvolk, irren obdachlos durch dasselbe Europa, dessen Völker sämtlich verstreut, in das Elend verschleppt werden – um der Größe des Herrenvolkes willen, und dem ergeht es ebenso. Ihm fällt das Los sogar schlechter. Alle seine kräftigen Männer, die schwächlichen auch schon, sind außer Landes, sind ohne Verbindung mit ihren geflüchteten Leuten, führen an den Fronten ein Leben für sich, bis sie fallen. Sie fallen in unvorstellbaren Mengen wie nicht einmal der geprüfteste ihrer Gegner, und der kämpft in seinem Land, um sein Land. Sie – für Deutschland nicht. Für Hirngespinste.

      Das Luftgebilde, sie seien die erwählten Herren, hat sie schwerlich verlassen. Das Falscheste wird am zähesten festgehalten, zufolge der Mühe, die es macht, dank der Vergewaltigung des gesunden Instinktes, die es verlangt. Aber gesetzt, sie gäben ihre Herrlichkeit auf, sogleich tritt die andere Zwangsvorstellung ein. »Die Nation, die verliert, wird aufgehört haben zu existieren, weil –«. Der Scharlatan, der sie führt, hat seine Logik. Wenn er etwas behauptet hat, begründet er es damit, daß er dasselbe noch einmal behauptet. »Weil es wahnsinnig ist, von dieser Schlacht etwas anderes zu erwarten als Sieg oder Untergang.«

      Aber was ist es, welchen Namen – welche Sanktionen – fordert es heraus, wenn einer die Nation, die ihm überantwortet war, in »diese Schlacht« führt? In den Krieg, der ein infames Spiel um das Leben ist! Nicht mitgerechnet – da er selbst keine Regung hierfür fände –, daß mehr als nur die eine Nation auf die Glücks- oder Todeskarte gesetzt ist. (Glückskarten sind nicht im Spiel.)

      Welcher dürftige Schurke, ein Verbrecher durch Armut des Geistes und Herzens,

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