Die große Sache. Heinrich Mann
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Er war seit seiner Jugend ein erfolgreicher Techniker. In Kleinasien und in Rußland hatte er Brücken und Straßen gebaut, zuerst unter der Leitung anderer, dann aber persönlich dazu berufen. Sein Name machte den Weg durch die Welt, den, alle verschiedenen Gebiete unserer Tätigkeit zusammengerechnet, doch nur einige hundert Namen machen. Schon zur Zeit der letzten Pariser Weltausstellung 1900 war Birk so weit, daß er dem obersten internationalen Ausschuß angehörte.
Seine zahlreichen selbständigen Arbeiten hatten ihm ein Vermögen eingetragen, das immer in bürgerlichen Grenzen blieb. Aber es hätte seinen Kindern über die schwierigen Anfänge forthelfen können. Statt dessen verschlang die Inflation 1920-23 es restlos. Damals wunderte Schattich sich nicht schlecht über seinen Jugendfreund. Sie wohnten noch nicht am gleichen Ort, viel weniger im selben Hause wie später; aber sie begegneten einander in Berlin oder sonstwo, und jedesmal ließ Schattich sich berichten, wieviel Birk schon wieder verloren hatte. Schattich selbst fing gerade damals an, groß zu verdienen, und der Vermögensverfall des anderen weckte seine Teilnahme als Gegenbeispiel. Er klopfte Birk auf den Arm, lachte und bedauerte ihn, wie man das tut. Aber seine stille Genugtuung sagte ihm, alles sei in Ordnung und eine innere Gerechtigkeit walte. Daher hütete er sich, Birk jemals finanziell zu beraten; oder höchstens beriet er ihn falsch. Dies bedeutete eine Probe. Hätte Birk noch irgendeine Berechtigung gehabt, zu den Besitzenden zu gehören, würde er den Rat Schattichs nicht befolgt haben.
Im Sommer 1922 gab Birk sein väterliches Erbe aus. Er hatte es immer getrennt, es hatte ihm sowohl sein Studium wie seine ersten Arbeiten ermöglicht. Als alles von ihm selbst Erworbene von selbst zerronnen war, blieben ihm, wie in seiner Jugend, wieder nur die 60 000 Mark, sein Anteil an dem Nachlaß seines Vaters. Jetzt freilich war ihr Wert so sehr verringert, daß er davon mit den Seinen gerade sechs Wochen im Gebirge sich erholen konnte. Dann hatte Oberingenieur Birk als Kapitalist ausgelitten und erwachte als Proletarier.
Er fand es zuerst nicht leicht, mit fünfzig Jahren die gesellschaftliche Klasse zu wechseln. Schon seine Vorfahren in langer Reihe waren wohlhabend gewesen. Jeder hatte wieder mit frischer Kraft zu arbeiten angefangen, aber doch immer geschützt vor der Not und einigermaßen versichert, daß es sich lohnen werde. Das war nun aus, sowohl für Reinhold Birk wie für seine Nachkommenschaft. Zugleich mit dem Geld endete auch die Selbständigkeit. Man konnte nicht länger wie ein Tenor auf gutbezahlte Auslandsgastspiele gehen. Birk mußte sich von seinem Jugendfreund Schattich recht und schlecht anstellen lassen und noch dankbar sein. Im Zusammenhang mit allen diesen Verlusten ging noch etwas anderes verloren: der persönliche Name. Die Berühmtheiten tauchten zu dieser Zeit in das anonyme Heer der Arbeit zurück. Keineswegs, daß sie nicht mehr genannt und gezeigt worden wären, aber es geschah in Gesellschaft tausend anderer. Allein die Zeitschrift dieses Konzerns führte vierzehntägig etwa siebenzig verdiente Techniker aller Grade ihnen selbst und der Mitwelt im Bilde vor.
War der neue Zustand aber schwer, so spannte er dafür doch die Kräfte eines Alternden unverhofft an, machte ihn beweglicher, sorgloser und stellte seine Verbindung mit den jungen Leuten her. Die hatten das Leben nie anders gekannt, als wie es jetzt geworden war. Sie wurden gleich anfangs von ihm dafür geschult, sich nicht zu fürchten, weder vor der ungesicherten Zukunft noch besonders vor der jeden Augenblick drohenden Arbeitslosigkeit. Natürlich fürchteten sie sich dennoch; aber wenn Birk seinen eigenen Schwiegersohn, Emanuel Rapp, ansah – eine Art Bewegungsrausch half dem Jungen hinweg über die Existenzangst. Der Junge hatte ein gutes Dutzend Berufe hinter sich, die Gelegenheitsarbeiten und den Kriegsdienst nicht mitgerechnet. Das war viel, wenn einer nichts gelernt hatte. Beamter des Konzerns war er auch nur ohne geprüfte Vorbildung und durch Zufall geworden. Es gelang vermöge seiner Heirat mit Margo Birk, der Tochter des Oberingenieurs. Warum Margo? Ihre Schwester Inge hätte vielleicht besser zu ihm gepaßt, die war ungehemmter und scheinbar zeitgemäßer als die Träumerin. Aber nur dem Vater gab es zu denken, daß Margo träumte. Die Mutter hielt sich dabei nicht auf. Frau Ella Birk sah, solange sie lebte, keine anderen Unterschiede zwischen ihren Kindern als die mehr oder weniger feste Gesundheit und die Aussichten auf Glück, die jedes von ihnen in sich trug. Sie glaubte nicht, daß alle keß und sachlich sein müßten. Margo schien ihr richtig veranlagt und jedenfalls mehr wert, als nur die Frau dieses Emanuel zu sein. Aber ihr Widerspruch gegen die Heirat war vergeblich gewesen, Birk hatte sich in den Jungen nun einmal verliebt. Die Mutter warf ihm vor, er ziehe ihn allen seinen eigenen Kindern vor. Man konnte es glauben.
Aber was wollte Frau Birk, wenn sie ihrer Tochter den Mann verdachte? Er hatte freilich nichts gelernt, war ein unruhiger Kopf, bisher noch ohne Ausdauer und bestimmte Richtung. Emanuel Rapp fügte dem Hause Birk gewiß kein Mehr hinzu. Aber die Familie von Bottin, aus der Frau Birk kam, war ihrerseits eine völlige Niete, verschuldeter Landadel, der durch die neueren Umschichtungen an Einfluß nicht gerade gewonnen hatte. Auf dem Weg ihres Gatten war sie auch früher nur immer mitgenommen worden, sie hatte ihm nichts nützen dürfen. Nora Schattich förderte wenigstens die Anfänge des großen Mannes, bevor sie gegen ihn in Nachteil geriet. Sie war daheim in Bezirken, zu denen er erst hinstrebte. Ella Birk hätte ihr Leben lang nichts auszuspielen gehabt gegen ihren Mann, als daß sie von Adel war. Glücklicherweise war es unnötig, denn sie liebten einander.
Sie wußte genau, was sie an ihm hatte, an dem Vater ihrer sieben Kinder, das tote mitgerechnet – der sie sonst nicht oft ansah, sie wenig unterhielt und unausgesetzt für sich allein in Entwürfen und schwerwiegenden Ausführungen saß. Er lebte dennoch umgeben von ihnen allen, und das hin und her geleitete Gefühl belebte gleichwohl ihn und sie. Er liebte kleine Kinder, daher hielt sie ihn für gut. In anderer Hinsicht fand sie ihn gar nicht gut: nämlich, weil er ihr so viele gemacht hatte. Sie hätte selbst um keines weniger haben wollen, aber der gewissenlose Birk hatte sie mit der Mutterschaft vielleicht doch nur beschäftigt und sozusagen mattgesetzt? Das war ihm gelungen. Sie durfte nichts mehr kennen, außer dem Dienst an den Ihren – besonders seit dem Verlust des Vermögens. In Stunden der Müdigkeit und Gereiztheit häufte sie alle Schuld auf das Haupt des Mannes – auch die Schuld daran, daß das eine hatte sterben müssen. Er hatte dann ihr ganzes Leben zerstört. Sie saß eine Weile da und war adelig, bis die Kleinsten nach ihr riefen.
Die Umstände erzogen eine schon nicht mehr junge Frau zur Selbständigkeit; eigentlich verlangte Ella Birk nach mehr Führung. Der Mann führte nicht mehr, wie früher – zum Beispiel noch ihr Vater auf Klein-Bottin, ihrem Gute. Die Geldlosigkeit machte alle gleich, auch die Gatten. Sie versuchte, dem Mann ihren guten alten Bruder auf Klein-Bottin vorzuhalten; aber was hieß das, wenn der Bruder ihr nicht einmal mehr die kleine Rente aus dem Familiengut auszahlen konnte. Sie mußte selbst sorgen. Sie hielt den bürgerlichen Stil des Hauses aufrecht mit der Präzisionsmechanik ihres Hausfrauentalentes. Dabei blieb sie sogar elegant. Aber in Augenblicken der Härte sagte sie zu Birk: »Was soll aus uns allen werden, wenn dir etwas zustößt?« Er gab im Inneren zu, daß er sich vor ihr nicht verantworten konnte, daher überließ er ihr seine Einnahmen und vermutete, daß sie irgend etwas erübrigte und in Geschäften anlegte – er ließ dahingestellt, in welchen. Als sie starb, stellte sich heraus, daß sie sich an einem Kino beteiligt hatte und daß sie dort noch Geld schuldete.
Wohin zwei Gatten, deren Jugend zu Ende war, in diesen Zeiten noch gelangten! Eine Frau wie Ella Birk, durch Existenzangst zur Revolte getrieben, brachte es fertig, ihrem Reinhold mit Betrug zu drohen – worauf er ihr den jungen Neger im Café Central empfahl; der werde zwar viel beansprucht. Schon während er dies aussprach, wußte er, daß er hart und taktlos war. Sie fragte: »Warum