Die große Sache. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die große Sache - Heinrich Mann страница 5
»Gott sei Dank! Pappi hat etwas erfunden«, sagte Inge mit einem langen Seufzer. »Ich möchte wohl mal vier Wochen nur Dame sein.«
»Vier Wochen?« Emanuel überzeugte sich, daß die Augen seines Schwiegervaters fest geschlossen waren. »Das ganze Leben lang, mein Kind! Wir alle haben ausgesorgt. Das ist die Erfindung, auf die man wartet, sage ich euch.«
»Warum gerade auf die?« fragte der besonnene Rolf.
»Wie? Ein Sprengmittel von äußerster – Nun also, ein erstklassiges Sprengmittel, ich mache euch damit zu Millionären. Glaubst du es, Margo?«
»Alles!« beteuerte die stille Margo und bekam Leidenschaft. »Ich will alles glauben, wenn dich nur dein Leben wieder freut, Em.«
»Freut es einen von uns?« wollte er wissen. Inge antwortete:
»Man kann sich ausleben. Sonst hat man nichts.«
»Der Sport?« schlug Rolf vor. »Ihr seid doch auf allen Sportplätzen.«
Margo hatte ihre Ruhe ganz verloren.
»Spiele ich zum Vergnügen so schrecklich viel Tennis? Setze ich uns jeden Sonntag den furchtbarsten Autounfällen aus? Das Büro ist nur so drückend, man muß wieder Luft bekommen.«
»Und es läßt uns zu viel Kraft übrig«, erklärte Emanuel. »Wen soll die Arbeit anspannen?«
»Wenn sie nie zu was führt«, erklärte Inge.
»Höchstens zur Entlassung«, schloß Margo. Da machten alle eine Pause.
»Wie lange dauert es, bis man überaltert ist?« fragte einer. Die anderen dachten es gleichzeitig.
Sie schwiegen nochmals. Dann wieder eine Stimme: »Und wer bestimmt über uns? Das ist geheim. Es kann jemand sein, den wir nie zu sehen bekommen.«
Alle drei flüsterten einen Namen: »Karl der Große.«
»Unsinn!« rief endlich Emanuel und schüttelte sich. »Die höchsten Gipfel des Konzerns werden sich gerade mit uns beschäftigen. Dafür sind die unteren Prominenten da.«
»Schattich!« meinten Margo und Inge. Ihr Bruder Rolf vermutete dagegen, daß selbst der frühere Reichskanzler, wenn auch weniger unsichtbar als jene höchste Person, die Karl der Große hieß, in ihr bescheidenes Leben doch schwerlich eingreifen werde.
»Dafür seid ihr noch nicht wichtig genug«, erklärte der Arzt offen.
»Wir sind jung«, sagte Inge tapfer. Margo ergänzte: »Wir brauchen keine Angst zu haben wegen der Arbeitslosenziffer.«
»Aber wir haben doch Angst«, erwiderte Emanuel, verlegen über sein Geständnis. »Unser guter Vater ganz allein hält uns bis jetzt außerhalb der großen Masse. Wenn er nicht mehr da wäre, müßten auch wir, wie alle anderen, acht Tage nach der Entlassung anfangen zu hungern.«
Alle Augen verweilten auf dem bleichen, geschlossenen Gesicht Birks, und im Zimmer war es still.
»Nein«, rief Emanuel stärker, als er vor dem ruhenden Kranken gedurft hätte. »Wir sind jung. Wir wollen nicht nur leben – ohne Angst leben – und leben, ohne uns zu verkaufen. Wir wollen sogar Einfluß und Macht bekommen, bevor es zu spät ist, bevor die große Maschine uns endgültig schluckt! Dafür haben wir jetzt die Erfindung, sie soll alles von Grund auf ändern.«
»Der Sprengstoff?«
»Das Sprengmittel von äußerster – ihr wißt schon. Wie kann Papa die Sorge haben, daß wir künftig noch auf unsere Arbeitskraft allein gestellt sind.«
Er flüsterte eifrig.
»Dann unterschätzt er doch bedeutend die Möglichkeiten, die gegeben sind, wenn man eine solche Erfindung an Hand hat. Papa ist der wertvollste Mensch, den ich kenne, aber er hat zu wenig Selbstvertrauen.«
»Darin ist er alte Schule«, schob Inge ein.
»Er hat die Erfindung gemacht. Ich werde sie richtig aufziehen.«
»Dazu müßte er doch erst – Er überläßt sie uns nur für den Fall, daß er –«
Margo brachte dies kaum hörbar vor. Aber sie hatten verstanden.
Inge sagt schnell: »Pappi wird gesund werden. Dann überläßt er es Em, die Erfindung zu verwerten. Klar, daß nur Em das kann!«
Margo antwortete nicht, denn sie fand dies nicht so klar. Warum fand Inge es? Margo betrachtete die beiden, aber sie schienen gerade gar nichts miteinander zu tun zu haben. Inge war fragend zu Rolf gewendet, Emanuel sah nach, ob Birk wirklich schlief.
»Wir wollen gehen«, sagte Margo. »Sonst wecken wir Papa noch auf. Ich komme später noch einmal«, erklärte sie ihrem Bruder, dem Arzt. »Oder findest du es richtig, daß ich allein hierbleibe und mich still hinsetze?«
Sie tat, als beachtete sie die beiden anderen gar nicht, obwohl sie in diesem Augenblick nur Sinn hatte für das Verhalten ihrer Schwester und ihres Mannes.
»Das ist das beste«, bestimmte Emanuel. »Du bleibst hier. Ich gehe inzwischen in die Afa, ich brauche etwas für das Auto, morgen ist Sonntag.«
»Ich habe denselben Weg«, entschied Inge – und während sie schon ihre Sachen anzog: »Morgen werden wir nicht weit fortfahren, wegen Pappi.«
Sie war unbefangen, sie zeigte sogar Herz. Margo warf es sich vor, daß sie ihrer Schwester nicht mehr traute. Aber so war es nun.
Als Emanuel die Tür schon geöffnet hatte, fiel ihm das Sprengmittel wieder ein.
»Wo ist es denn? Ich muß es den Leuten doch zeigen können.«
Inge meinte: »Sie kennen Papa, sie werden dir glauben. Sage einfach, es ist ein Sprengstoff –«
»Von äußerster –«, fuhr der Junge fort, »von äußerster –«
»Brisanz«, sagte Birk, der die Augen aufschlug.
»Ach, du schläfst nicht?« fragten sie überrascht. »Seit wann bist du wach?« fragten sie. Denn nicht alles, was man sprach, war für die Älteren bestimmt.
»Habe ich geschlafen?« fragte Birk dagegen. »Das letzte, das ich hörte, war: was ist eigentlich Brisanz? Ist das schon so lange her?«
»Nun, Pappi, was ist es denn?« Inge lehnte ihren Kopf an seine Wange, wie sie es seit ihrer Kindheit tat.
»Es heißt nur Sprengkraft, mein Kind. Was soll ein Sprengstoff sonst haben. Verrate es deinem Schwager Emanuel nicht! Aber geh zu meinem Mantel, da steckt es drin!«
»Dir geht es besser nach dem Schläfchen, lieber Vater«, bemerkte der junge Schwiegersohn mit der verführerischen Stimme, die er sich geben konnte. Birk hatte plötzlich die Erkenntnis, daß ein Junge mit solcher Stimme zu allem fähig sei. Wie erst, wenn er ein Wirkungsmittel in die Hand bekam wie jenes, das Inge soeben aus dem Mantel holte. Zu spät, sie holte es schon. Die Bedenken