Die große Sache. Heinrich Mann

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Die große Sache - Heinrich Mann

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Sie war sicher, daß er sie verstand.

      Er hatte indes nur Sinn für Brüstung dort unten, der von ihm Nachricht über Inge erwartete. Heute abend sollte der Boxer kämpfen im Sportpalast vor der tausendköpfigen Menge, noch immer aber kam er wegen Inge! Ernst war ein Junge, dem vorläufig seine Schwester und ihre Sache mit Brüstung wichtiger erschienen, als was in Hinsicht des Herzens ihm selbst zustoßen konnte. Anders, wenn es sein Verhältnis zu der Luftfahrtgesellschaft betroffen hätte.

      Er sprach zwischen seinen Handflächen in den Park hinunter.

      »Sie ist aufgestanden. Ausfahren? Noch nicht sicher – wegen Vater. Warte mal! Ob sie nicht kommt? Bist du in Form?« fragte er auch noch.

      Aber Brüstung zeigte ihm jetzt von unten ein Päckchen. Ernst begriff sofort. Er ging hinein, schon kam er mit einem Seil zurück. Er ließ es hinab, Brüstung hängte das Päckchen daran.

      Kaum hatte Ernst es oben, war Inge da.

      »Was treibst du? Ach so. Das will ich aber nicht.«

      Sie hatte über Brüstung hinweggesehen, unvermeidlich war nur, daß sie bemerkte, was die geplatzte Hülle des Päckchens verriet. Silberlamé funkelte im Morgenstrahl. Es versetzte Inge einen Stoß; sie nahm das Geschenk und wollte verschwinden. Ihr kleiner Bruder rief ihr nach: »Wenn du es nimmst, muß er auch –«

      Sie war fort. Ernst beugte sich tief über das Geländer des Balkons.

      »Bruno! Jetzt glaube ich, daß es wird.«

      »Woher?« fragte der Boxer gedämpft und angstvoll.

      »Dein Geschenk regt sie auf. Grade das Kleid hat sie sich gewünscht, sie sprach davon.«

      »Ich habe sie vor dem Schaufenster beobachtet«, sprach Brüstung nach oben, »da wußte ich Bescheid.«

      »Du bist ein feiner Kerl«, sagte Ernst hinunter, »ich möchte Boxer werden.« Er war begeistert, seine Stimme klang ganz hell.

      »Glaubst du, sie liebt mich jetzt?« Auch Brüstung sprach glücklich erregt. Beide jungen Leute hatten das Gefühl, allein zu sein, und wäre der öffentliche Park auch schon besucht gewesen. Er gehörte aber sich selbst und ihnen im Tau und ersten Licht, mit allen Laubschleiern. Dahinter die noch verschlossenen Häuser, alles im Schlaf, nur sie beide nicht; und neu erwacht, wie sie, waren der Park und seine frische Luft.

      Im Gefühl, allein zu sein, sagten sogar beide, wie Inge schön sei.

      »Ich sehe sie durch das Fenster«, meldete Ernst. »Sie hat dein Kleid an.«

      »Wenn ich das sehen könnte!« verlangte der Boxer.

      »Dann komm herauf«, beschloß ihr Bruder kühn. »Gleich frühstücken wir.«

      Schon lief Brüstung. Ernst lag noch eine Weile über dem Geländer und spuckte hinunter. Dabei teilten sich seine dunklen Haare, und die merkwürdige weiße Strähne erschien, die er lieber versteckte … Bedenken kamen ihm. Nichts vom soeben Gesprochenen schien ihm noch voll berechtigt. Worte hatten niemals die Zuverlässigkeit einer laufenden Maschine. Der Siebzehnjährige lernte dies täglich – an anderen, an sich selbst. Er zog die Brauen fester zusammen und ging hinein.

      Im Wohnzimmer deckte Margo den Tisch. Die kleine Susanne ging ab und zu, sie brachte die Sachen. Dann war noch Emanuel da, er kehrte aber den Rücken her. Es wurde nicht gesprochen.

      »Sie ist in unserem Zimmer«, flüsterte Susanne. »Sie probiert ein neues Abendkleid.«

      Margo erschrak. Sofort sah sie sich nach Emanuel um – der nicht hörte oder nicht hören wollte. Margo zog dennoch die Jüngste bis unter die Küchentür.

      »Woher hat sie ein neues Abendkleid? Gestern konnte sie nicht mal die Bluse kaufen, und die braucht sie.«

      »Willst du sie sehen?« fragte Susanne, um sich zu rechtfertigen. Aber aus Gutmütigkeit sagte sie: »Von Emanuel hat sie es sicher nicht.«

      Margo warf den Kopf zurück.

      »Kommt nicht in Frage«, sagte sie blaß und mit brennenden Augen.

      Plötzlich wandte ihr junger Gatte sich an Ernst.

      »Du kannst den Wagen haben.«

      »Wieso? Ihr fahrt nicht hinaus – wegen Vater?«

      »Ich – wegen Vater«, erwiderte Margo. »Emanuel muß andere Gründe haben.«

      Das reizte ihn.

      »Ich lasse mir doch nicht vorschreiben, wen ich mitnehmen darf und wen nicht.«

      Margo fühlte Tränen, daher wechselte sie wieder die Stellung. Sie blickte jetzt in Richtung der Schlafzimmer; grade aber ging die Tür auf, Inge stand da. Die Schwestern sahen einander an. Die Augen Inges glitten einmal schnell hinüber zu Emanuel, dann sahen sie einander weiter an.

      »Inge, fahr mit mir!« bat Ernst in bester Absicht. Die sanfte Margo aber zeigte ihm ein drohendes Gesicht.

      »Inge ist erwachsen, merke dir das, mein Junge. Sie weiß, mit wem sie fahren soll. Sie weiß auch, von wem sie Geschenke nimmt.«

      Da klopfte es an der äußeren Tür. Ernst öffnete, und es war Brüstung.

      »Der gute Bruno!« sagte Emanuel etwas zu gönnerhaft, und dabei war der Boxer nahezu durchgedrungen, die Zeitungen brachten sein Bild.

      »Sollen wir ihn zum Frühstück einladen?« fragte Emanuel. Ernst umwölkte sich; so sprach man nicht mit Boxer Brüstung.

      Dieser gab inzwischen allen die Hand, und wer sie ihm gegeben hatte, ward einen Augenblick nachdenklich.

      »Danke«, sagte Inge, die ihm die Hand nicht gab.

      »Danke wofür?« fragte Margo.

      »Er hat mir etwas geschenkt.« Sie äußerte sich nicht näher.

      Margo und Emanuel verhielten sich hierauf beide stumm und ernst.

      »Werden Sie es tragen?« fragte Brüstung.

      »Ich hoffe«, antwortete Inge. »Aber Pappi ist so krank. Ich muß noch warten.«

      »Heute in acht Tagen? Beim Ball im Sportpalast?«

      »Wer weiß, wie es kommt«, sagte sie, ohne jemand anzusehen.

      »Zuerst siegen Sie mal heute abend! … Hast du schon angerufen?« fragte sie ihre Schwester.

      »Papa schlief noch«, erklärte Margo. »Ich gehe nach dem Frühstück zu ihm.«

      »Ich fahre dich hin«, versprach Emanuel versöhnlich. Erst dieser Ton machte, daß ihre Lippen schmerzlich zuckten.

      Ernst hatte gegessen und sah in die Luft. Sie dachten wie gewöhnlich, daß er Löcher stierte. Er hatte aber gerade genug hinzugelernt heute morgen über die Unverläßlichkeit der Menschen und der Dinge, soweit sie nicht technisch gesichert waren.

      Die kleine Susanne sagte inzwischen, daß sie beabsichtige,

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