Die große Sache. Heinrich Mann

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Die große Sache - Heinrich Mann

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Birk hoffte, daß sie es bedauerte; ihn selbst quälte der Gedanke, sooft er für ihn Zeit hatte.

      Jetzt fragte er sich, zwischen anderen Sorgen, immer wieder: wird Ella kommen? Er war gewiß, daß Inge und Margo, die mittleren, kamen. War irgend jemand noch pünktlicher, dann sicher Emanuel, der junge Gatte Margos. Birk hatte viele Kinder, die ihn liebten; die eine Ella aber beschäftigte ihn in seiner Lage mehr, als ihr zukam. Daran merkte er, daß es schwer gewesen wäre, plötzlich Abschied zu nehmen.

      Er hatte schon einmal sich ohne jede Vorbereitung trennen müssen – von der Kleinen. Sie war lange Zeit die Jüngste gewesen und hieß immer noch die Kleine. Die Eltern hatten das Kind in einem Augenblick, als die Armut unausweichlich schien, in die Lehre gegeben. Es war ein Blumengeschäft, die Kleine trug Kränze aus. An dem Morgen, als sie sterben sollte, war der Kranz besonders schwer; sie kam nicht schnell genug über den Fahrdamm, so erfaßte sie das Lastauto. Der Kranz wurde beschädigt, daher konnte er später ohne Mehrkosten auf ihrem eigenen Sarge liegen.

      Birk hatte augenscheinlich Fieber. Gewesenes nahm zu genaue Formen an; das tote Kind trat leibhaftig zu den sechs Lebenden, deren eins ihm auch schon starb. Um so mehr bemühte er sich, zu klären, was er gerade jetzt zum Besten derer, die noch sein waren, vorhatte und sich ausdachte. Er war überzeugt, daß sie eine handgreifliche Lehre brauchten, um ein für alle Male das Leben richtig zu erfassen. Die von ihm geplante konnte schlimm ausgehen, er hatte gezögert, solange er ganz gesund war. Sein jetziger Zustand ließ ihn die Dinge weniger gefährlich sehen.

      Die erste, die ankam, war Inge. Er hätte es vorauswissen sollen: Inge, die Leichteste, die Schnellste. Sie rief gleich bei der Tür: »Pappi! Was machst du für Dummheiten!«

      So und nicht anders hätte er es sich von ihr gewünscht.

      »Inge, mein Liebling«, sagte er leise, ob aus körperlicher Schwäche oder nur infolge seiner Nachdenklichkeit. »Es wurde langweilig, findest du nicht? Etwas mußte geschehen.«

      »Dann doch lieber mir!« rief sie bereitwillig.

      »Aber Inge, du hast mit deiner vorigen Liebe so schwere Erfahrungen gemacht.«

      »Das ist wahr, Pappi. Der Junge war fromm. Stell dir das vor, mal hat er mich ausgesperrt, weil er meinetwegen in die Hölle kommt. Aber er hatte wieder seine bestechende Seite, er konnte so schön pfeifen.«

      Sie sprach wunderhübsch, Inge hatte eine Stimme voll Kraft und Klang. Ihr bürgerlicher Vater wußte genau, daß sie in Wahrheit nichts schwernahm; sagte er das Gegenteil, war es ironisch gemeint. Ihm selbst gingen ihre Erlebnisse länger nach als ihr. Er empfand sich als ungehörig, wenn er offen mit ihr über ihre Abenteuer sprach, daher seine Ironie. Indessen war ihm klar genug, daß ein Mädchen, das arbeitete, auch ihrer Natur folgen konnte. Die Natur Inges war, mutig und leicht zu sein.

      Margo und ihr Mann trafen gleichzeitig ein. Emanuel Rapp, ein Zeitgenosse, der dem Leben alles mögliche zutraute, schien durch seinen Unglücksfall ergriffen wie nie. Birk neigte sonst zum Zweifel; aber erstens, warum sollte der arme Junge sich anstrengen, um eine zitternde Stimme nachzuahmen, und absichtlich seine Glieder aus der Gewalt verlieren. Außerdem erinnerte sich sein Schwiegervater, daß Emanuel, falls er selbst verschwand, fürchten mußte, abgebaut zu werden. Die ehrlichste Zuneigung war nicht genug, damit wir aneinander hingen. Hinzukommen mußte das Interesse, bei uns Armen! So bedachte Birk, und die Folge war, daß er kränker und verfallener aussah.

      Er lächelte aber seiner Tochter Margo zu. Sie überließ ihm die Hand, nach der er verlangte. Ihre forschenden dunklen Augen blieben völlig ernst. Genauso würde ihre Mutter ihn betrachtet haben im Augenblick der Katastrophe, die sie so lange erwartet hatte!

      »Ich mache euch die Sorgen nicht gern«, versicherte der Kranke zu seiner Entschuldigung. »Sollte es tatsächlich mit mir aus sein, will ich euch folgendes sagen.«

      Hier trat Rolf ein. Der Arzt blieb vor Staunen starr: seine drei Geschwister stehend versammelt um den Vater, der Abschiedsworte sprach – alles wegen einer Quetschung! Andererseits war er überzeugt von der Urteilskraft seines Vaters, kannte auch seine Art, mit Kunstgriffen zu erziehen. Diese Komödie mußte einen Zweck haben – dachte Rolf, da erhielt er auch schon den schnellen Blick, der ihn ermahnte, ruhig zu bleiben.

      »Ich will euch sagen«, wiederholte Birk, »daß ihr in der Hauptsache auf euch selbst gestellt sein werdet. Ihr verzieht keine Miene, ihr habt es euch schon gedacht. Mein Schutz, lieber Em, würde dich auch nicht davor bewahrt haben, aus deiner Stellung zu fliegen, wenn du nicht ein Junge wärest, der sich richtig legt.«

      »Das walte Gott. Schon mehr als zwanzigmal habe ich mich in allerlei Berufen richtig gelegt.«

      »Nun siehst du. Und auch die beiden Mädchen nimmst du leicht noch mit. Außerdem haben sie selbst gerade genug Sinn für die Wirklichkeit.«

      »Sei völlig beruhigt!« bat Inge. Ihr glaubte er es.

      Margo schwieg. Aber er bemerkte, daß ihre forschenden Augen bereit waren, feucht zu werden. Da fühlte er erst selbst, was es geheißen hätte, diese armen und schönen jungen Leute allein zu lassen. Sie schienen ihm ungewöhnlich schön: blond und vollendet gewachsen die eine, die andere, dunkle, von einer ihm unbekannten Ausgeglichenheit des Leibes und der Seele, Ihnen gesellte sich ein junger Mensch –

      Er hörte Margo schluchzen und erschrak. Sie hatte genau in dem Augenblick aufgeschluchzt, als er von ihr zu Emanuel sah. Vielleicht hatte sie Gründe, besondere und schlimme Gründe, den Tod des Vaters zu fürchten. Der junge Mensch, dem sie gehörte, mit seinem glatten Haar und glatten Gesicht! Vom Sport geübt, nicht überentwickelt, nur gelöst und gekräftigt, dazu der Ausdruck von Klarheit und Bereitschaft! So waren wir nie, dachte Birk.

      Dafür freilich war so einer ungefestigt – in einer ungefestigten Welt, dachte Birk. Er hatte nicht »fertig« studiert, dazu ließen weder Krieg noch Frieden ihn kommen; auch füllte er keinen Beruf von Natur aus. Jeder andere Junge hätte ihn ersetzen können und er jeden anderen. So waren sie. Wenn es nur nicht ähnlich stand zwischen ihm und Margo, die schluchzte. Waren auch dort beide ersetzbar? Dies befürchtete der Vater, wenn er ansah, was er gegebenen Falles zurückließ.

      Nur mit Rolf stand es so günstig wie möglich. Er war der einzige, der sich ohne Zuschuß selbst erhielt. Sein Fach hatte ihn etwas freier erhalten von den Krisen des Erwerbes und denen der Menschennatur. Er ging noch immer dieselbe Bahn, das kannte sein Vater. Das hatte er selbst gehabt, und es langweilte ihn. Die drei Abenteurer standen heute seinem eigenen Empfinden näher. Sie konnten zugrunde gehen, und sie konnten auch sehr glücklich werden. Birk, der für seine Person weder dies noch jenes mehr zu erwarten hatte, liebte es, die ungewissen, erst bevorstehenden Schicksale mitzufühlen. Er war geradezu begierig auf das Verhalten der Kinder bei den Eröffnungen, die er ihnen machen wollte.

      »Zur Sache!« sagte er. »Ich habe etwas erfunden. Ihr sollt es verwerten, falls ich nicht mehr dazu komme. Es ist ein Sprengstoff – der stärkste, der bisher erfunden ist. Ein Sprengstoff von äußerster Brisanz wird gerade verlangt, unser Konzern wird ihn euch abkaufen. Ihr seid dann gegen das Schlimmste doch gedeckt.«

      Seine Stimme senkte sich, sie sahen, daß er genug gesprochen hatte und einschlafen wollte.

      »Großartig!« rief Emanuel gedämpft. »Solch eine Überraschung, und was ist Brisanz?«

      »Ich muß mich wundern, Pappi. Damit kommst du erst jetzt? Heimlichtuer?« Das war Inge.

      »Ich möchte doch lieber, daß Papa seine Erfindung selbst verwertet«, hörten sie hierauf Margo sagen. Gleich beteuerten die beiden anderen: »Das sowieso. Pappi wird bald gesund werden. Wie lange dauert

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