Die große Sache. Heinrich Mann
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»Dich besuchen die Arbeiter.«
»Dieser kommt auch zu dir, wenn du todkrank bist. Oder, sollte er sich dann noch zurückhalten, kommt er etwas später.«
Schattich verzog den Mund.
»Zartfühlend waren deine Scherze nie, alter Freund.«
Birk sagte aufrichtig: »Meine Gesinnung ist besser. Ich glaube tatsächlich, daß der Mann dich volkstümlicher findet als mich.«
»Menschenbehandlung! Sie brauchen immer eine Enthüllung. Plötzlich muß ihnen klarwerden, daß ich stärker bin als sie. Dafür dient mir meine Personalkenntnis. Unter meinen wenigen positiven Eigenschaften ist die Personalkenntnis«, sagte er mit einem Blick von erstaunlicher Demut. Denn Schattich hielt es für notwendig, den »alten Freund«, der zu viel von ihm wußte, von Zeit zu Zeit zu entwaffnen.
»Zur Zeit der Inflation war ich ein Industriebeamter, aber findig. Ich informierte damals die höchsten Provinzialbeamten über jeden einzelnen der Gegner, die unsere Reichsregierung und die Industrie stören wollten bei der Erhaltung der Sachwerte. Ich erzähle es nur dir, weil du mich schon kennst. Als ich dann selbst Reichskanzler wurde, wußte ich, wie es gemacht wird.«
»Warum weiß ich das nicht?« fragte Birk, immer wieder überrascht von der Überlegenheit der andern.
Schattich erklärte es ihm gönnerhaft. »Du bist nun mal kein Edison.«
»Wirklich?« sagte Birk. »Das müßt ihr erst am eigenen Leibe spüren?« fragte er rätselhaft. Seine Augen schienen im Hintergrunde des Zimmers etwas zu suchen. Gleichzeitig verließ seine Tochter ihren Platz beim Fenster und stellte sich vor einen Tisch, so daß sie ihn verdeckte. Schattich näherte sich ihr.
»Und Sie, Fräulein?«
Da erkannte er sie.
»Nun aber, Sie sind die Verheiratete! Ich hatte Sie die ganze Zeit nicht richtig sehen können. Das freut mich mal wirklich.«
Er redete, nahm ihre Hand und wollte Margo vom Tische wegziehn. Er erreichte nur, daß sie ihm im Kreise folgte und den Tisch von einer anderen Seite verdeckte. Schattich tat, als kümmerte es ihn gar nicht. Er redete bald zu Birk, bald zu seiner Tochter.
»Als junger Mensch war ich depressiv«, sagte er auf gut Glück. »Ich litt am Leben. Einmal fiel ich daher durch das Examen, erinnerst du dich, alter Freund? Die Jahre, gnädige Frau, und natürlich auch die Erfolge stellen uns fest auf unseren Platz.«
Jetzt bemühte er sich, Margo dort festzuhalten, wo sie stand, und um sie herumzuspähen. Sie vereitelte auch dies, und Schattich, der nichts zu merken schien, sprach weiter.
»Sieh mal meinen Verein zur Rationalisierung Deutschlands, alter Freund! Der trägt mich todsicher noch mal an die Spitze der Reichsregierung. Dafür ist er doch da!« erklärte er mit verblüffender Offenheit und hoffte endlich an den Tisch zu gelangen. Aber Margo war nicht zu verblüffen, weil sie die Reden des älteren Herrn überhaupt nicht beachtete.
»Gnädige Frau«, sagte der ältere Herr mit Schärfe. »Ich habe noch immer alles erreicht, was ich wollte.«
Damit tat er einen ihr unerwarteten Griff und hielt das Päckchen in der Hand.
»Ein Ei?« fragte er und wog es. »Ein Schokoladenei? Aber gefüllt, weil es schwer ist. Womit denn gefüllt?«
»Das ist ein Spielzeug für mein Kind« – sie sprach schnell und atemlos, sie flehte. Daher gab Schattich das Päckchen nicht ohne weiteres zurück. Er warf es ein Stückchen in die Luft und fing es statt ihrer, die zu entsetzt war, um zuzugreifen.
Ihr blasser Schrecken war ihm unverständlich, er wandte sein Gesicht, das dumm wurde, Birk zu. Dort begegnete er kalter Erwartung; der »alte Freund« hatte etwas Fremdes, Unheilvolles bekommen, wie er einem auf die Hände sah. Schaudernd erkannte der frühere Reichskanzler, daß in den Menschen, die man am wenigsten fürchtet, immer noch Gefahren liegen. Daher achtete er nicht mehr auf das Päckchen. Margo konnte es ihm fortnehmen und verschwinden lassen.
»Du hast es gut, alter Freund«, versetzte Schattich, unbekannt, warum.
Er mußte es erklären.
»So viele Feinde wie ich kannst du unmöglich haben. Wer alles auf meinen Sturz wartet!« sagte er vertraulich. »Bis zu dem Pfarrer von Sankt Stefan, dem ich es gelegt habe, mich schon um sechs Uhr mit seinem Glockengeläut aufzuwecken! Dauernd muß man Erfolge haben, um nur zu bleiben, wo man ist. Dem Konzern Geschäfte bringen, sonst wirst du abgebaut wie eine vertraglos angestellte Hilfskraft. Von jeder Erfindung, die Geld verspricht, soll man gleich Wind bekommen. Das wird verlangt.« Pause. »Aber deine Sorgen sind es nicht« – mit schnellem Seitenblick.
Er nahm seinen Hut.
»Du mußt einzig bloß zusehen, daß du schnell gesund wirst. So möcht ich auch mal daliegen.«
»Das ist noch leichter, wenn man Geld hat«, versetzte Birk.
Schattich schüttelte ungläubig den Kopf.
»Du willst doch nicht behaupten, daß du grade auf deinem Krankenlager an das Geld denkst? Du Glücklicher hast dein Leben lang nicht daran gedacht.«
»Mir fällt das Geld ein, das ich an dich verloren habe«, Birk ließ sich nicht beirren. Sicher war es das Fieber. Schattich zog denn auch die Brauen hoch.
»An mich? Du solltest dich schonen, alter Freund. Freue dich lieber, daß du bei dieser unsicheren Zeit kein Geld hast. Wir haben es alle nur auf Widerruf und leben in ewiger Angst. Die Begehrlichkeit der Massen! Moskau! Die Wirtschaftskrise!«
Gram und Verbitterung zeichneten den Mann. Sichtbar wurde, daß der Generaldirektor, genau wie seine fristlos kündbaren Untergebenen, Angst hatte zu verhungern. Auch er unterlag dem Zeitgeist.
Glücklicherweise ging es vorbei. Bei seinen Angestellten hielt es auch nicht an. Alle hatten die Flüchtigkeit gemeinsam. Dies dachte sich Birk in seinen Kissen, indes Schattich schon abging.
»Du mußt ausruhen«, sagte Margo. »Papa, jetzt lasse ich dich allein.«
»Nimm deinem Mann das Päckchen mit!«
»Hat es nicht Zeit, bis du gesund bist? Er wird Dummheiten machen mit deiner Erfindung.«
»Das kann er nicht. Niemand wird herausfinden, was es ist. Mein Geheimnis liegt schriftlich bei einem Notar, und er gibt es euch nur, wenn ich selbst es nicht mehr holen kann.«
»Emanuel wird alles – aber auch alles tun, um darauf Geld zu bekommen«, sagte sie ohne Besinnen. »Papa! Er liebt Inge.«
Sie hatte ein weißes, verzweifeltes Gesicht. Ihr armes Gesicht war ganz klein geworden. Der Vater nickte.
»Gib es ihm! Mein Kind, es wird dir helfen.«
Dies begriff sie nicht; aber aus Gewohnheit glaubte sie ihrem Vater. Sie steckte das Päckchen in ihren Mantel, dann küßte sie Birk, der schon die Augen geschlossen hatte. Er öffnete sie wieder und sagte: »Verliere den Mut nicht, wenn es erst einmal schlimmer kommt!«
Sie ging durch das Haus, dabei