Bilder der Levante. Michael Jansen

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Bilder der Levante - Michael Jansen

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versteckt sie ihre Kamera am Boden unter einem Schal und zieht nur ihr Tonbandgerät hervor. Ein junger Ägypter in unserer Nähe beobachtet die Situation und greift ein. »Reden Sie nicht mit denen und kommen Sie mit.« Er führt uns bis zum Platz, wo wir in ein zerbeultes schwarz-weißes Taxi steigen und durch die wäscheverhangenen staubigen Hintergassen Bulaks fahren, bis wir schließlich die Brücke nach Zamalek überqueren. Unser Entführer stellt sich als Hussein vor. Als wir drei in der Nähe der Buchhandlung Diwan aussteigen, gibt er uns seine E-Mail-Adresse.

      Ägypterinnen und Ägypter, die zum Tahrirplatz wollen, strömen durch Zamaleks verwinkelte Straßen und breite Alleen zur Kasr-el-Nil-Brücke. Dort bilden sie fröhlich Schlangen von einem Löwenpaar zum anderen. Kleine Jungen mit Flaggen klettern auf die Statuen. Verschwunden sind die Haufen von Pflastersteinen, die Knüppel und Schilde, mit denen die Verteidiger die Kontrolle der Revolution über den Platz aufrechterhielten. In einem plötzlichen Gesinnungswandel stehen jetzt Soldaten in Flakwesten und Helmen bereit, um die Demonstranten vor Angreifern zu schützen. Vizepräsident Omar Suleiman ruft Eltern auf, ihre Kinder nach Hause zu holen. Doch die Eltern und Großeltern sind selbst auf dem Platz und feiern ihre Befreiung.

      Auf der Hauptbühne beklagt ein Mann am Mikrofon dreihundert Märtyrer. Isolde Moylan, elegant in Hosenanzug und Seidenschal, kommt auf den Platz, um den Leuten zuzuhören. Christen bieten Muslimen Schutz, indem sie sich während der täglichen Gebete um sie stellen. Ein koptischer Priester predigt einer hauptsächlich muslimischen Gemeinde. Alle zusammen singen wir Biladi, die ägyptische Nationalhymne. Mira, eine Studentin, hält ein Plakat in die Höhe, auf das ein Ausweis gemalt ist: »Name: Bürgerin; Religion: Ägypterin; Geburtsort: Tahrirplatz; Beruf: Revolutionärin.«

      An den Barrikaden zum Tahrirplatz sagen Soldaten, wir dürften den Platz nur mit ägyptischen Presseausweisen betreten. Nach einem Anruf bei der Pressestelle wird uns der Zutritt gewährt. Gleich am Rande des Platzes stehen in zwei Reihen Männer mit Trommeln und Tamburinen. »Wartet, wartet«, ruft der Dirigent. Und während wir an ihnen vorbeigehen, singen die Männer: »Raus, raus, Omar!«, schlagen auf ihre Trommeln und schütteln die Tamburine. General Hassan al-Rawini, Chef des Zentralkommandos der Armee für Kairo, betritt den Platz. Er ist umringt von bewaffneten Soldaten und klettert auf die Bühne. Als er verkündet: »All eure Forderungen werden heute Abend erfüllt«, tragen jubelnde junge Männer ihn auf den Schultern umher.

      Wieder tritt Mubarak im Abendprogramm auf und wieder erklärt er, er werde bis zur Präsidentschaftswahl im September des Jahres im Amt bleiben. Der Tahrirplatz gerät in Rage. In der Abenddämmerung des 11. Februar, ein Freitag, verkündet Omar Suleiman, blass und sichtlich mitgenommen, einen Offizier an der Seite, Mubarak habe »entschieden, sein Amt als Präsident niederzulegen« und das Militär zur Regierungsmacht ernannt. Der Tahrirplatz tost vor Freude, Feuerwerke werden gezündet, leere Straßen füllen sich mit hupenden Autos, die die Scheinwerfer aufflackern lassen. Die Ägypter tanzen auf der Straße, umarmen einander, weinen, lachen, schreien »Hurriya, hurriya!« (Freiheit, Freiheit!).

       Kairo, Ägypten, 12. Februar 2011

      Die Bevölkerung geht auf die Straße, geht zum Tahrirplatz. Mit Besen und Eimern, Plastiktüten, Farbeimern und Pinseln bewaffnet, überqueren Menschen die Kasr-el-Nil-Brücke. Ein Abschleppwagen zieht ausgebrannte Autos aus dem Zugang zur Metrostation Sadat. Ägypterinnen und Ägypter mit Mundschutz und Handschuhen fegen Müll zusammen und leeren ihn in Säcke. Eine gut gekleidete Frau in kniehohen Lederstiefeln, eine ägyptische Flagge um die Schultern gelegt, schwingt ungeübt einen Besen. Schmutzige Straßenkinder schieben Karren voller Mülltüten zu Sammelstellen, von denen Laster die Säcke wegfahren. Auf dem Boden ausgebreitete Plastikplanen werden mit Blumen belegt, um zu markieren, wo Märtyrer gestorben sind. Andere Teams schrubben Graffiti von der Statue Abdel Moneim Riads und von Gebäudefassaden. Jugendliche streichen ein Wachhäuschen vor der Villa, in der sich das Außenministerium befand, und erneuern die schwarz-weißen Streifen an Bordsteinkanten. Barrikaden werden abgebaut und fortgetragen. Mädchen, die die Straße kehren, haben auf ihren Pulloverrücken Zettel befestigt: »Entschuldigen Sie bitte die Unannehmlichkeiten. Wir bauen gerade Ägypten auf.«

       Larnaka und Agios Dometios, Zypern, 14. Februar 2011

      Andreas schob den bezahlten Parkschein in den Automaten, um die Schranke an der Ausfahrt des Flughafens zu öffnen. Er schimpfte mich aus: »Meine Frau und ich haben uns Sorgen um Sie gemacht. Wir haben im Fernsehen gesehen, was in Ägypten los ist. Als Sie mich nicht angerufen haben, damit ich Sie vom Flughafen abhole, haben wir uns Sorgen gemacht. Ich war mal in Ägypten. Wir sind mit dem Schiff nach Alexandria und dann mit dem Zug nach Kairo. Auf der Reise wollten alle Ägypter Geld von uns.«

      Er parkte vor meinem Tor bei der hohen schiefen Pinie und hob meinen Rollkoffer aus dem Kofferraum des Mercedes. Ich nahm den Koffer, legte mir meine Laptoptasche um und stieg die Stufen zur Veranda hinauf. Zwischen dem schmiedeeisernen Gitter und dem Türglas steckte ein Zettel: »Bitte melde dich.« Noch jemand Besorgtes. Im Hausflur war es kühl, ein wenig feucht. Nadeln der gefährlich schiefen Pinie vor dem Haus waren unter der Tür hindurchgeweht und hatten sich am Saum des rot-grünen Beduinenteppichs auf dem Terracottaboden gesammelt. Ich sah mein Gesicht und meine Schultern in dem Spiegel, in dessen Holzrahmen drei Pfauen geschnitzt waren, die Arbeit eines Insassen im Gefängnis von Baaklin, an einen Beiruter Trödelladen verschleudert, nachdem die Ehefrau des Häftlings sich beklagt hatte, Pfauen brächten Pech. Über der Tür zum Wohnzimmer Maaths Gemälde von fünf um einen Tisch versammelten Clownsköpfen mit dem frechen Titel »Das letzte Abendmahl«. Über der Tür zum Arbeitszimmer das Bild eines zyprischen Malers im Stil van Goghs, Explosionen strudelnder winziger blauer und goldener Ovale. Auf dem persischen Kelim über den Holzdielen lagen Faxe, das rote Licht des Anrufbeantworters blinkte. Als ich den Computer angeschaltet hatte, rief ich Marya, meine Tochter, an und sagte ihr, ich sei wieder sicher zu Hause.

      Sie antwortete lebhaft und voller Energie, Brian und Lili gehe es gut. »Ich habe auf Facebook erwähnt, dass du in Ägypten bist und alle haben gefragt, was du dort machst. Also habe ich Links zu deinen Artikeln gepostet.«

      Auf dem Bücherregal neben Telefon und Fax stand der Porzellanrahmen mit Godfreys Foto; die Hand zur Betonung seiner Rede geöffnet, blickte er mich mit geschürzten Lippen an. Er hätte die Szenen auf dem Tahrirplatz großartig gefunden und sie in sehr viel bessere Worte als ich gefasst. »Du hast dein Bestes getan, vergiss den Rest«, hätte er gesagt.

      Ich lüftete das Wohnzimmer, in dem neben dem verrußten Kamin der grün-goldene Metallpfau Wache stand, und öffnete die Türen zur Seitenveranda. Ich holte den Weihnachtsstern herein und stellte ihn in den silbernen Topf auf das Kupfertablett, unsere Tischplatte. Unter dem Tisch lag Grandma Fanchers rosa-weiß-blauer Saruk, 1908 von ihr erstanden, im Geburtsjahr meines Vaters.

       2Ausbruch

       Bay City, Michigan, USA, vierziger Jahre

      Grandma Fancher erlaubte nur ein paar leichte Möbelstücke auf ihrem Saruk; Schuhe waren verboten. Aber sie hatte nichts dagegen, wenn ich mit meinem Spielzeugauto über die blau geblümte Fahrbahn entlang des Teppichrands fuhr. Der Saruk ist viel herumgekommen. In Iran geknüpft, in Bay City erstanden, nach Denver und wieder zurück transportiert, dann nach Beirut, Damaskus und schließlich in das zweitausend Jahre alte Agios Dometios, die Mischung aus Vorort und Dorf, wo ich heute wohne.

      Grandma Fancher bewohnte eine Zimmerflucht in dem schönen Haus mit Garten ihrer Schwester Minnie. Der Saruk bedeckte die Holzdielen im Salon meiner Großmutter, um ihr Bett im Nebenzimmer waren drei blaue chinesische Seidenteppiche gelegt. Auf ihrem Frisiertischchen ein silbernes Art-Déco-Set, Handspiegel, Kamm und Bürste, verziert mit einer Frau mit fließendem Haar. Grandma Fancher frühstückte im Bett, saß dort in ihrer wattierten Jacke, das Essen vor sich auf einem

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