Bilder der Levante. Michael Jansen

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Bilder der Levante - Michael Jansen

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und gewaltsamer Zwischenfälle, die mit Streiks einhergingen. Im Dezember 1974 hatte das Fischereiunternehmen des ehemaligen Präsidenten Camille Chamoun versucht, vor der Küste von Sidon ein Monopol zu errichten, was zu Fischerprotesten im Süden von Beirut geführt hatte, die sich bis in den Norden ausbreiteten. Am 26. Februar 1975 organisierte der charismatische Abgeordnete Marouf Saad in Sidon Massenproteste. Als Saad in der ersten Reihe der Demonstration mitmarschierte, wurde er angeschossen – es hieß, von einem Armeescharfschützen – und starb eine knappe Woche später. Seine Beisetzung am 7. März brachte das sunnitisch geprägte Sidon und Saads Verbündete in den nahegelegenen palästinensischen Flüchtlingslagern gegen die maronitisch dominierte Oberschicht auf.

      Am Tag, als Maryas Schule geschlossen wurde, schickte Godfrey seinen ersten Bürgerkriegsbericht an den Economist.

       Beirut, Libanon, Februar 1976

      Auf dem Fußboden vor seinem Krankenzimmer stand ein großer Blumenstrauß. Im Bett saß ein Mann mit verbranntem, verquollenem Gesicht, die Hände verbunden, den Körper mit einem leichten Tuch bedeckt. Er krächzte eine Begrüßung. »Das wussten wir nicht«, sagte Godfrey. Marya wich entsetzt zurück, ich sagte nichts. Er war nicht wiederzuerkennen.

      Jemand, ich weiß nicht mehr, wer, erzählte uns, Brahim sei in die Zeitungsredaktion der irakischen Baath-Partei gegangen, eben in jener Nacht, als die Syrer zuschlugen. Als der Chefredakteur an seinem Schreibtisch umgebracht wurde, war Brahim schon in den Keller gegangen, um sich die arbeitenden Druckerpressen anzusehen. Er liebte den Geruch der Druckertinte, das Zischen und Klappern der Pressen. »Die Syrer haben über eine Rampe Benzinfässer in den Keller gerollt. Jeder, der fliehen wollte, wurde erschossen. Brahim hat sich auf dem Boden zusammengekauert, unter dem Rauch, bis er sich wieder hinaustraute. Die Blumen sind vom syrischen Informationsminister.«

      Wir fuhren mindestens jeden zweiten Tag nach Beirut. Brahim erholte sich allmählich, sein entzündetes Gesicht nahm wieder seine normale Größe und Form an; den verbrannten Körper wuschen wir ihm mit kaltem Wasser. Christianne, seine Frau, kam aus Kairo, ebenso Jacqueline, seine zweite Ehefrau. Seine Lebensgeister kehrten zurück, aber das Krankenhausessen konnte er nicht ausstehen. Ich kochte Rahmspinat und machte Götterspeise aus frischgepresstem Orangensaft, weiche Speisen, die nach etwas schmeckten. Brahim wurde stärker und machte wieder Witze. Er redete mit Godfrey über den Krieg. Gerade, als er zu genesen schien, fanden wir ihn eines Tages auf der Intensivstation, an Maschinen angeschlossen; er atmete röchelnd. Godfrey setzte sich zu ihm und hielt seine Hand, bis er starb. Der Arzt sagte, wenn er kein Raucher gewesen wäre, hätte er vielleicht überlebt.

      Brahim war einer von Godfreys ältesten und engsten Freunden. Sie hatten sich in Kairo kennengelernt, während Godfreys erster Entsendung als Presseattaché in der ersten ägyptischen Vertretung des unabhängigen Indiens. Wie Muhammad Sid Ahmad – und so viele andere junge Ägypter damals – war auch Brahim Kommunist gewesen. Er war ein erstaunlicher Mann, hatte in der Koranschule Arabisch lesen und schreiben gelernt, sich aus den Hintergassen Alexandrias emporgekämpft und im Hafen gearbeitet. Dort hatte er sich selbst nach und nach mit einem Wörterbuch Englisch beigebracht. Als er in einer Razzia gegen Linke der vorrevolutionären ägyptischen Polizei festgenommen werden sollte, setzte Godfrey, damals indischer Presseattaché in Kairo, ihn in ein Flugzeug nach Indien, mit der Aussicht auf einen Job beim arabischsprachigen Programm von All India Radio. Als den Ägyptern klar wurde, dass Brahim an Bord war, befahl der Fluglotse dem Kapitän, zurückzukehren. Der weigerte sich, da er den ägyptischen Luftraum bereits verlassen hatte. In Indien lernte Brahim Christianne kennen, und sie heirateten. Unter Nassers republikanischem Regime saß er sieben Jahre im Gefängnis, arbeitete dann für verschiedene Medien und verließ Ägypten schließlich, um als Korrespondent für eine jugoslawische Zeitung zu arbeiten.

      Godfrey floh trauernd aus Beirut nach Jerusalem. Ich schnitt Zweige vom Mandelbaum in unserem Garten in Schemlan und legte sie, auf einer Moscheetreppe in Südbeirut, auf Brahims Sarg. Dann brachte Christianne ihn zur Beisetzung nach Hause nach Kairo, in die Stadt, die er einst verlassen hatte.

       Beirut, Libanon, März 1976

      Wir fuhren nach Beirut, damit Marya für ein paar Tage ins Collège Louise Wegmann gehen konnte; den Campus in Bchamoun bei Schemlan hatte das Collège geschlossen. Wir zogen in eine enge Wohnung beim alten Leuchtturm am Ende der Hamrastraße. Die Wohnung gehörte den Eltern unserer Nachbarin Penny und lag nah bei der Schule. Im Smith’s-Supermarkt kauften wir Lebensmittel und Kerzen, bezogen die Betten mit mitgebrachter Wäsche und stellten uns auf Stromausfälle ein, die es in Schemlan nicht gab. Nachts hörten wir, wie Plünderer die Metallgitter der Geschäfte aufrissen, eines nach dem anderen, und die Straße heraufkamen, bis sie unter unserer Wohnung waren. Marya schlief weiter, aber Godfrey und ich lagen wach und machten uns Sorgen, sie könnte aufwachen und Angst bekommen.

      Eines Abends saßen wir auf dem Balkon und sahen auf dem Fernsehgerät der Nachbarsfamilie die Nachrichten, als ein Offizier das Fernsehstudio betrat, sich auf einen Stuhl an Nicole Maillards Tisch setzte und seine Pistole auf den Tisch legte. Nicole war sprachlos. Sie war eine enge Freundin, arbeitete damals als Fernsehmoderatorin und sprach die Frühnachrichten im Radio.

      Der Mann stellte sich als Abdel Aziz al-Ahdab vor, Kommandant der Militärgarnison von Beirut, und ernannte sich selbst zum zeitweiligen Militärgouverneur Libanons. Er forderte den Rücktritt von Präsident Suleiman Frangieh und Premierminister Raschid Karami. Ahdab sagte, er wolle verhindern, dass die Armee in konfessionelle Fraktionen zerfalle, und Libanon von seinem einjährigen Bürgerkrieg befreien – in der Zeit bombardierten Milizen Beirut, entführten Zivilisten, plünderten, teilten die Stadt in einen christlichen Osten und einen multikonfessionellen Westen auf und schossen auf jeden, der von einem Sektor in den anderen wollte. Die Regierung sei gelähmt und könne nichts tun, um dem Chaos Einhalt zu gebieten, die Bevölkerung zu schützen oder die Armee aufrechtzuerhalten.

      Ringsum saß die Nachbarschaft erstarrt vor ihren Bildschirmen, die in der Dunkelheit schwach leuchteten, dann jubelte einer nach dem anderen und in ganz Beirut ertönten Freudenschüsse; Kirchenglocken läuteten zur Unterstützung. Nur wenige schliefen gut in jener Nacht. Viele hofften, der Konflikt werde nun enden und Politiker und Milizen würden Ahdab ernst nehmen.

      Am nächsten Morgen spazierten wir nach Raouché zum Haus unserer Freunde, den Radis. Ma Radi kochte wie immer, ihre Töchter Selma und Nuha durchsuchten das libanesische Radio nach Neuigkeiten über den Putsch, über Ahdab, den plötzlichen Helden. Kriegsmüde Libanesen aus allen Gemeinden riefen bei Radiosendern an, um Ahdab ihre Unterstützung zuzusichern und seinen Schritt gutzuheißen, den Krieg zu beenden. Anrufe kamen aus den sunnitischen Städten Sidon und Tripoli, aus christlichen und drusischen Bergdörfern, und von beiden Seiten der Beiruter Trennlinie. Anrufer nannten ihre Namen und riskierten damit Vergeltung durch lokale Milizen.

      Die libanesische Regierung und Syrien, das Frangieh unterstützte, ignorierten Ahdab. Kurz nach dem fehlgeschlagenen Coup trat Frangieh mit 65 Jahren zurück. Für einen Augenblick setzte der Krieg aus.

       Schemlan, Libanon, Frühjahr 1976

      In einer durch den Krieg aus den Fugen geratenen Welt war mir das zyprische Radio ein Rettungsort. Ich saß in der kühlen, von einem Feigenbaum überschatteten Bibliothek unseres Hauses und hörte Mikis Theodorakis’ Revolutionslieder und Manos Hadjidakis’ poetische Melodien. Auf einem gelben Notizblock

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